| # taz.de -- Nach dem Volksentscheid in Hamburg: Wie andere Bundesländer reagie… | |
| > Wie geht es weiter in den Bundesländern nach dem Scheitern der Reform in | |
| > Hamburg? Je nach Parteienkonstellation wird völlig unterschiedliche | |
| > Politik gemacht. | |
| Bild: Überlegen auch, was jetzt wohl am besten zu tun ist: Vorschulkinder in E… | |
| BERLIN/DÜSSELDORF/SAARBRÜCKEN/DRESDEN taz | Am Wochenende haben die Wähler | |
| in Hamburg die Schulreform von Schwarz-Grün in einem Volksentscheid | |
| abgelehnt. Auch in anderen Bundesländern diskutieren verschiedene | |
| Koalitionen schon länger, Schulen zusammenzulegen und länger gemeinsam zu | |
| lernen. Allerdings steht nicht überall die flächendeckende | |
| Gemeinschaftsschule auf dem Programm. Während die Opposition aus FDP und | |
| CDU in Nordrhein-Westfalen eine noch junge rot-grüne Minderheitsregierung | |
| angreift, ist im Saarland selbst die FDP für längeres gemeinsames Lernen. | |
| In Baden-Württemberg stehen im nächsten Jahr Landtagswahlen an, die | |
| Opposition im Landtag aus SPD und Grünen will dort Bildungspolitik zum | |
| Thema machen. Sie fordern einheitlichere Schulen. Ministerpräsident Stefan | |
| Mappus (CDU), Vertreter eines gegliederten Schulsystems, hat gestern einer | |
| Einschränkung der Länderhoheit bei der Bildung eine klare Absage erteilt. | |
| "Es gibt viele Punkte, wo ich mit Annette Schavan einig bin - dieser gehört | |
| nicht dazu", sagte Mappus am Dienstag. Bundesbildungsministerin Schavan, | |
| früher CDU-Kultusministerin in Baden-Württemberg, hatte nach dem Votum der | |
| Bürger gegen die Hamburger Schulreform gefordert, dass sich die Länder auf | |
| Eckdaten des Bildungssystems verständigen. Dem hielt Mappus entgegen, dass | |
| Baden-Württemberg bei der Bildung nicht so gut dastünde, wenn alles | |
| bundeseinheitlich geregelt würde. | |
| In Hamburg kämpft indes Christoph Ahlhaus (CDU) um Anerkennung bei den | |
| Grünen, die Vorbehalte gegen den als konservativ geltenden Politiker hegen. | |
| Der designierte Nachfolger des scheidenden Hamburger Bürgermeisters Ole von | |
| Beust (beide CDU) will vor der Basis des grünen Koalitionspartners | |
| auftreten. Er ist als erster nichtgrüner Politiker zu einem internen | |
| Mitgliederabend geladen. Bei den Grünen gab es in einer vierstündigen | |
| Debatte über den Rücktritt von Ole von Beust und die Niederlage beim | |
| Volksentscheid am Montagabend auch die Forderung nach dem Ende der | |
| schwarz-grünen Koalition und Neuwahlen. | |
| Wie es in anderen Bundesländern aussieht: | |
| Nordrhein-Westfalen | |
| Die schwarz-gelbe Opposition lässt in Nordrhein-Westfalen die Muskeln | |
| spielen. Die vorige Woche ins Amt gewählte rot-grüne Minderheitsregierung | |
| hatte angekündigt, Kommunen die Möglichkeit einzuräumen, | |
| Gemeinschaftsschulen einzurichten - nicht aber, sie per Gesetz | |
| flächendeckend einzuführen. | |
| Genau das befürchtet aber die Opposition, weil es Rot-Grün im Wahlkampf | |
| noch anders angekündigt hatte: "Trotz Hitzewelle: Rot-Grün muss sich warm | |
| anziehen", warnten der CDU-Landtagsfraktionsvorsitzender Karl-Josef Laumann | |
| und sein Generalsekretär Andreas Krautscheid. Ministerpräsidentin Hannelore | |
| Kraft (SPD) und Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) tarnten zwar | |
| "ihren Weg zur Einheitsschule" als "sanfte Tour", in Wahrheit wollten sie | |
| jedoch die Gemeinschaftsschule "mit der goldenen Brechstange" durchsetzen. | |
| "Wenn Löhrmann und Kraft ihre Pläne so wie angekündigt umsetzen, dann war | |
| das Hamburger Votum nur ein laues Lüftchen, gegen das, was in NRW | |
| losbrechen wird", heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung. | |
| FDP-Landtagsfraktionschef Gerhard Papke drohte: "Wer Hand an die Gymnasien | |
| legt, provoziert einen Volksaufstand." Die Hamburger Entscheidung sei "eine | |
| unüberhörbare Warnung an die neue Linksregierung in NRW, was ihr bei | |
| Durchsetzung der eigenen Schulpläne droht". | |
| Bildungsministerin Löhrmann reagierte gelassen auf die schwarz-gelben | |
| Kraftmeiereien. "Der Blick auf Hamburg bestätigt unseren | |
| nordrhein-westfälischen Weg", sagte sie. "Wir greifen auf, dass in vielen | |
| Gemeinden ein wohnortnahes, qualifiziertes Angebot nicht mehr gegeben sein | |
| wird, wenn wir nicht gegensteuern", sagte Löhrmann mit Blick auf sinkende | |
| Schülerzahlen. Vor allem auf dem Land müsse man Schulformen zusammenlegen, | |
| um weiterführende Schulen mit Gymnasialen Standards erhalten zu können. | |
| Saarland | |
| Auch das Saarland plant eine Schulreform: Die Landesregierung aus CDU, FDP | |
| und Grünen, auch Jamaika-Koalition genannt, will eine 5-jährige Grundschule | |
| einführen und alle bisherigen weiterführenden Schulen zu einer | |
| Gemeinschaftsschule zusammenlegen - mit Ausnahme der Gymnasien. | |
| Sebastian Geibel, Landeschef der Jungen Liberalen im Saarland (Julis), | |
| fordert nach der Hamburger Entscheidung auch für sein Bundesland ein Votum | |
| des Volkes. Die Landesregierung solle dafür umgehend die | |
| verfassungsrechtliche Grundlage schaffen. Das steht zwar auch auf der | |
| Agenda der Jamaika-Koalition. Die will aber bisher im Landtag eine Mehrheit | |
| finden. Dass das schwierig werden wird, weiß auch Bildungsminister Klaus | |
| Kessler von den Grünen. Die Regierung benötigt eine Zweidrittelmehrheit im | |
| Landtag, weil dafür die Verfassung des Saarlandes geändert werden muss - | |
| was ohne die Hilfe wenigstens einer Oppositionspartei nicht möglich ist. | |
| Die Linke winkt ab, bei der SPD wird noch diskutiert. Man müsse sich auf | |
| ein "gemeinsames, pädagogisch sinnvolles und strukturell konsensfähiges | |
| Konzept verständigen und dann bei der Bevölkerung um breite Zustimmung | |
| dafür werben", sagt der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im | |
| Landtag von Saarland, Ulrich Commercon. Eltern, Lehrer und Schüler | |
| bräuchten zudem ein echtes Mitspracherecht. Andere Sozialdemokraten lehnen | |
| die Reform rundweg ab. Bildungsminister Kessler glaubt zu wissen, dass es | |
| im Saarland weitaus weniger Widerstand gegen die Schulreform geben werde | |
| als jetzt in Hamburg. Schließlich sei das Gymnasium im Saarland | |
| verfassungsrechtlich abgesichert, ein Schulkampf sei nicht zu erwarten. | |
| Zudem gebe es noch bis Ende des Jahres Anhörungen zur Schulreform. Gegen | |
| den Willen der Bevölkerung, versprach Kessler, werde im Saarland nichts | |
| durchgesetzt. | |
| Thüringen | |
| In Thüringen will die große Koalition aus CDU und SPD die | |
| Gemeinschaftsschule einführen. Das hat das Regierungskabinett Ende Juni | |
| beschlossen, wie sie es zuvor im Koalitionsvertrag vereinbart hatte. Die | |
| SPD konnte sich damit im vorigen Herbst durchsetzten, weil sie für den | |
| Wahlverlierer CDU der einzig möglicher Koalitionspartner war. Anders als in | |
| Sachsen soll die Gemeinschaftsschule aber nicht als Schulversuch laufen, | |
| sondern gesetzlich verankert werden. | |
| Die entsprechende Novelle könnte bis Jahresende im Landtag verabschiedet | |
| werden. Noch vor der Gesetzesänderung hat jetzt das von SPD-Landeschef | |
| Christoph Matschie geführte Kultusministerium bereits sechs | |
| "Gemeinschaftsschulen im Aufbau" genehmigt. Sie können mit | |
| Schuljahresbeginn im August ihre Arbeit aufnehmen und ihre erarbeiteten | |
| Einzelkonzepte verwirklichen. Anders als in Hamburg setzt man in Thüringen | |
| auf Freiwilligkeit und den Willen von Eltern und Schulträgern. Darauf legte | |
| die CDU, die am liebsten bei der Schülerauslese nach der vierten Klasse | |
| geblieben wäre, besonderen Wert. | |
| Im Unterschied zu westdeutschen Bundesländern wird aber das längere | |
| gemeinsame Lernen von einer überwältigenden Mehrheit der Eltern im Osten | |
| gewünscht. Umfrageergebnisse schwanken zwischen 70 und 80 Prozent. Auch | |
| nach dem Hamburger Bürgerentscheid ist keine neue Diskussion in Thüringen | |
| aufgeflammt. Die SPD rechnet deshalb mit einer "Abstimmung mit den Füßen", | |
| die das Schulsystem praktisch von unten her aufrollt. Bereits 40 Bewerber | |
| sollen sich in Thüringen für das Modell interessieren. Lediglich die | |
| Landräte als kommunale Schulträger sprachen sich in der Mehrheit gegen die | |
| Gemeinschaftsschule aus. Was ohne Konsequenzen bleibt: Sie können den | |
| Antrag einer Schule nicht blockieren. | |
| 20 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| P. Beucker | |
| K.-P. Klingelschmitt | |
| M. Bartsch | |
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