# taz.de -- Dienst am Strand: Der einsame Wachgänger | |
> Klaus Klar ist schon fast sein ganzes Leben Rettungsschwimmer. In diesem | |
> Sommer wacht er über einen Strandabschnitt auf Fehmarn - ganz allein. | |
> Dafür hat der Polizist aus Niedersachsen seinen Sommerurlaub genommen. | |
Bild: Das Meer im Blick: Der Polizist Klaus Klar hat den Strand immer im Auge. … | |
Jeder Arbeitstag von Klaus Klar beginnt mit dem Hissen der Flagge. | |
Vormittags ab halb zehn schraubt der braungebrannte Mann, nur in Badehose | |
und T-Shirt bekleidet, zwei Metallstangen zusammen und steckt sie in eine | |
Schlaufe an seinem Wohnmobil. Möwen umkreisen ihn dabei neugierig und | |
kreischen in den Ostseewind. Am Ende des Mastes hängen zwei Fahnen, die vom | |
Wetter schon ganz ausgeblichen und zerfleddert sind. Die obere zeigt das | |
Wappen der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), die untere ist rot | |
und gelb. Sie zeigt den Badegästen und Kapitänen auf dem Wasser an, dass | |
dies ein bewachter Strandabschnitt ist. | |
Für diesen Abschnitt ist Klar verantwortlich. Der 55-Jährige ist schon sehr | |
lange Rettungsschwimmer. Mit 15 Jahren hat er sich bei der DLRG | |
eingeschrieben. Drei Wochen Urlaub hat er sich in diesem Jahr genommen, um | |
im Sommer ganz alleine den Strand des Campingplatzes Wulfener Hals auf | |
Fehmarn zu bewachen. "Meine Devise lautet: Ich mach hier Urlaub, ich will | |
Spaß und ich mache den Rettungswachdienst", sagt Klar. | |
Hier auf der Insel ist er weit weg von seiner Arbeit als Streifenpolizist | |
in Niedersachsen. Weit weg von Familienstreitigkeiten, zu denen er gerufen | |
wird. Weit weg von eingeklemmten Unfallopfern, die er vor gaffenden | |
Zuschauern zu schützen versucht. Wie viele Leichen er in seinem richtigen | |
Leben als Polizist schon gesehen hat, weiß Klar nicht mehr. | |
Dafür weiß er ungefähr, wie viele Menschen dem Rettungsschwimmer Klaus Klar | |
ihr Leben zu verdanken haben. Es sind vier. Darunter ein Kind, das zu lange | |
unter Wasser war und wiederbelebt werden musste. Ein anderer war nach einem | |
Segelunfall stark unterkühlt und wäre ohne die Rettungsschwimmer | |
wahrscheinlich erfroren. Und was bekommt er zurück? "Auf ein Dankeschön | |
lege ich keinen Wert", sagt er. Ihn interessiere nur, ob jemand überlebt | |
habe. "Und das reicht." | |
An diesem Nachmittag im Juli kann Klar natürlich noch nicht ahnen, dass nur | |
wenige Tage später ein zehnjähriger Junge am Wulfener Hals ums Leben kommen | |
wird. Bei einem Tauchgang in der Ostsee war dieser nicht wieder | |
aufgetaucht. Eine weitere Urlauberin schwebte tagelang in Lebensgefahr. | |
Klar hätte an diesem Tag eigentlich wie gewohnt Wachgang gehabt. Aus | |
dienstlichen Gründen aber reiste er einen Tag vor Ende seines Sommerurlaubs | |
ab, der Strandabschnitt war deshalb unbewacht. Verhindern können hätte er | |
den Unfall dennoch nicht. Die Tauchergruppe war zu weit weg und zu tief | |
unten im Wasser, um von der DLRG beobachtet werden zu können. | |
Gefahr und Ödnis, so scheint es, sind ständige Begleiter von | |
Rettungsschwimmern. In den ersten zwei Wochen auf Fehmarn ist bei Klar | |
nicht so richtig viel passiert. Ein paar Schnittwunden von spielenden | |
Kindern, ein Hitzschlag, weiter nichts. "Die Umgebung ist prima, hier hab | |
ich meine Ruhe", sagt Klar, blinzelt in die Sonne und lehnt sich in seinen | |
Gartenstuhl zurück. Der steht auf dem Rollrasen des Deichs. Eine Reihe | |
Findlinge grenzen das vertrocknete Grün vom schmalen Strand ab. | |
Es ist kurz nach zehn und die meiste Arbeit des Tages hat Klar nun hinter | |
sich. Die DLRG-Flagge hissen, das Motorboot an die Boje binden, Temperatur | |
von Luft und Wasser messen, Gartenstühle raus und hinsetzen. Klar steckt | |
sich eine Zigarette an. Ab und zu müsse das mal sein, sagt er und grinst. | |
Der Duft des Rauches vermischt sich mit dem Geruch von Algen und | |
Salzwasser. So schmeckt Urlaub. | |
Spiegelglatt ist die Ostsee an diesem Morgen, die Sonne brennt. Noch ist | |
der Strand fast leer. Eine Frau mit schwarzem Badeanzug und kurzen, | |
weißblonden Haaren joggt gemächlich am Ufer entlang. Im Wasser spielen drei | |
Kinder mit einer Luftmatratze. Obwohl sie fast 100 Meter weit entfernt | |
planschen, trägt ein leichter Wind ihre Stimmen bis hinüber ans Ufer. Das | |
Lachen der Kinder und das der Möwen sind das einzige, was um diese Uhrzeit | |
die morgendliche Stille durchbricht. Einsam ist Klaus Klar aber keineswegs. | |
Er ist kein Mensch, der lange ruhig bleibt. Und er kann Geschichten | |
erzählen. | |
Geschichten aus der Zeit, als er auf Holzbrettern gesurft hat oder als | |
Tauchen noch ohne technischen Schnickschnack erlaubt war. Seinen ersten | |
Dienst habe er 1972 gemacht. Als Wachgänger arbeitete Klar damals auf einem | |
Turm am Timmendorfer Strand. "Der Wachgänger sitzt auf dem Turm, guckt, und | |
sagt Bescheid, wenn was passiert", umreißt er kurz die Aufgaben. Später war | |
er selbst Wachleiter an verschiedenen Stationen. Dafür bekomme man sechs | |
Euro am Tag, Wachgänger nur fünf Euro. Hinzu kommen noch Verpflegung, | |
Unterbringung und Fahrtkosten. | |
Noch nie habe er an einem Binnengewässer gewacht. Wachdienst an einem See, | |
das ist nicht seine Sache, sagt er und kneift er skeptisch die Augen | |
zusammen und runzelt die braungebrannte Stirn. Sein Herz schlägt für die | |
Ostsee. "Hier ist das Wetter besser als an der Nordsee", sagt er. Außerdem | |
sei es nicht so windig. | |
Sein Blick geht wieder zurück auf die See. Am Horizont scheint eine | |
Handvoll Segelboote festgenagelt zu sein. Die Sonne steht nun fast am | |
Zenit. Es ist heiß. Und dann kommt doch noch Leben an den Strand. Eine | |
junge Familie mit zwei Kindern rollt in Sichtweite ihre Decken aus. Der | |
Mann in Badehose piekst einen Sonnenschirm in den feinen Sand. "Moin!", | |
ruft Klar auf einmal. "Ganz schön spät dran heut!" Auf der Eisentreppe | |
zwischen Deich und Strand steht ein älterer, braun gebrannter Mann mit | |
grauem Haar und kurzen Hosen. Er lacht und zeigt auf die zwei blau-weiß | |
karierten Klapphocker in seiner Hand. "Meine Frau kommt auch gleich", sagt | |
er zu dem Rettungsschwimmer. Die beiden vertiefen sich in ein Gespräch über | |
den Bäcker auf dem Campingplatz. Der sei immer viel zu voll, klagen sie. | |
Und das bei diesem Wetter. | |
Der Mann wird nicht der letzte an diesem Tag bleiben, mit dem Klar klönt. | |
"Ich sag immer: Bei mir wird man nur mit einem Lächeln vorbeigelassen." Und | |
es funktioniert. Klar ist hier auf seinen 600 Metern Strand nicht nur | |
Lebensretter, sondern auch Animateur, wenn es sein muss. Weinende Kinder | |
bringt er zum Lachen, die Bedienung im Campingplatz-Restaurant zum Erröten. | |
Es gibt heute Senfeier. Klar bekommt hier etwas Rabatt und er darf die Zeit | |
seines Dienstes in einem Wohnwagen zwischen all den anderen Campern wohnen. | |
Der sei aber größer als sein Gefährt am Badestrand, sagt Klar und lacht. | |
Denn anders als an anderen Wachstationen, arbeitet er nicht auf einem Turm. | |
In dem kleinen Wohnwagen muss er all die Dinge unterkriegen, die er im | |
Notfall bräuchte. Den Rettungsrucksack mit der Sauerstoffflasche, | |
Schwimmwesten, das Fernglas und das Rettungsbrett. "Baywatch-Boje", nennt | |
er es, weil die meisten Menschen das Brett wahrscheinlich zum ersten Mal | |
unter der Achsel von TV-Rettungsschwimmer Mitch, alias David Hasselhoff, | |
gesehen haben. Mittlerweile leisten die Bojen aber auch deutschen Helfern | |
wertvolle Dienste. "Sie sind gut, wenn man jemanden rettet und in einen | |
Strudel gerät, weil man dadurch selbst Auftrieb hat", sagt Klar. | |
Hier in Wulfen auf Fehmarn musste er die Baywatch-Boje allerdings noch | |
nicht aus dem kleinen Camper holen. Der einzige Strudel, mit dem er hier | |
kämpft, ist die Zeit. Und die geht an richtig heißen Tagen noch langsamer | |
vorbei. Doch heute könnte das Wetter den Dienst von Klar schon früher | |
beenden. Es ist mittlerweile später Nachmittag, die errötete Kellnerin aus | |
dem Restaurant ist womöglich schon auf dem Weg nach Hause, da zieht sich | |
der Himmel zu. "Der Wind dreht", sagt Klar auf einmal mit ernster Stimme. | |
Was das bedeute? "Das weiß ich auch nicht, dafür bin ich noch nicht lange | |
genug auf Fehmarn." | |
Dann kommen die ersten Schwärme von kleinen, schwarzen Gewitterfliegen. Und | |
mit ihnen gehen die Strandbesucher. Zuerst das ältere Ehepaar. "Das reicht | |
auch für heute", sagt die Ehefrau etwas matt, als sie an Klar vorbei geht. | |
Sie hat einen rheinischen Akzent, kurzes rot gefärbtes Haar, die Haut | |
dunkelbraun. Dann zieht die Familie mit den Kindern ab. Minuten später die | |
Gruppe von Jugendlichen, die bis eben noch Volleyball gespielt hat. Klar | |
bleibt sitzen in seinem Gartenstuhl, raucht noch eine Zigarette und guckt | |
auf die See. "Man kann es hier gut aushalten", sagt er. In einer Woche ist | |
er wieder Polizist. Weit weg von der Insel. | |
21 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Uta Gensichen | |
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