# taz.de -- Subkultur: Erosion der Gegensätze | |
> Die eine regiert das Land, die anderen machen Technoparties mit | |
> subversivem Anspruch. Als die Finanzsenatorin das "Neuland"-Projekt | |
> besuchte, verstand man sich | |
Bild: Finanzsenatorin Karoline Linnert hat keine Angst, dass auf sie scharf ges… | |
"Hier prallen zwei Welten aufeinander", sagte Finanzsenatorin Karoline | |
Linnert (Grüne), als sie am Freitagmorgen das temporäre Kulturprojekt | |
"Neuland" besuchte. Sie selbst repräsentierte die eine davon: den Staat mit | |
seinen Gesetzen und seiner Verwaltung. Also genau das, womit die | |
alternativen Künstler und DJs, die seit sechs Wochen in der stadteigenen | |
ehemaligen Suchtklinik an der Neuenlander Straße residieren, am liebsten | |
gar nichts zu tun haben würden. | |
Die Subkulturschaffenden hatten den Besuch deshalb mit gemischten Gefühlen | |
erwartet. Dass die zweite Bürgermeisterin zu ihnen kommen wollte, stimmte | |
skeptisch: "Daran sieht man doch, dass wir hier als weicher Standortfaktor | |
betrachtet werden", hieß es vorher. Eben dies wollte man vermeiden - zu | |
gegenwärtig sind die Erfahrungen aus Berlin oder Hamburg, wo die Kreativen | |
vor allem deshalb hofiert werden, um das Standortimage aufzuwerten. | |
"Ich habe gehört, dass es Menschen gibt, die sich benutzt fühlen", sagte | |
Linnert dazu. So richtig verstehen, könne sie dies aber nicht: "Wenn wir | |
nix machen, sind wir blöd und wenn wir was tun, dann heißt es, wir benutzen | |
die freie Szene." | |
Sie begründete ihren Besuch damit, dass sie sich ansehen wolle, wie | |
Zwischennutzung funktionieren kann. Ihrem Ressort ist die Immobilien Bremen | |
zugeordnet. Die verfügt über rund 100 leer stehende Gebäude, von denen | |
immerhin ein Zehntel für eine Zwischennutzung geeignet ist - so wie die | |
"Neuland"-Klinik. Den Vertrag mit den Künstlern hatte die | |
Zwischennutzungsagentur ZZZ vermittelt. Dass die ein "formalisiertes | |
Verfahren" anbietet, um Immobilienbesitzern die "Angst zu nehmen, die | |
Zwischennutzer nie wieder los zu werden", fand Linnert "gut". | |
Gut fand das auch eine junge Künstlerin, die Linnert berichtete, ohne das | |
Neuland ihr Atelier "in einen Keller" verlegen zu müssen. Als Linnert | |
fragte, ob man angesichts solcher Raumnot "Beharrungskräfte" fürchten | |
müsse, wiegelte man ab: Dass man nach dem Sommer wieder ausziehen werde, | |
sei ausgemachte Sache. Im Gegenzug versprach die Senatorin, sich auch bei | |
den übrigen städtischen Gesellschaften für Zwischennutzung einzusetzen. | |
"Die sollen sich da nicht so anstellen." | |
So erodierten die Antagonismen schneller, als man hinschauen konnte. Dabei | |
haben die Neuland-Betreiber handfeste Probleme: Seit kurzem müssen sie ihre | |
Techno-Parties schon um ein Uhr morgens beenden, im Regelfall ausgebildete | |
Türsteher beschäftigen. "Dabei geben wir alles dafür, sowas selber mit | |
Diskussionen und Einsicht zu regeln", sagte Kriz Sahm, der mit dem | |
"Zucker"-Club in das "Neuland" umzog. Ob das Stadtamt ihnen gegenüber | |
"boshaft" sei, wollte Linnert wissen? "Nein, nein." Gesetze seien nun | |
einmal nicht mit Experimenten alternativen Lebens kompatibel. | |
Linnert zitierte daraufhin voller Verständnis den anarchistischen | |
Staatstheoretiker Leopold Kohr. Der wollte den Staat nur dazu benutzen "um | |
an seiner Überwindung zu arbeiten". Das war ihren Gastgebern so | |
sympathisch, dass sie sich schließlich mit der Senatorin zu einem | |
Gruppenfoto in einer Holzarche aufstellten. | |
23 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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