# taz.de -- Lars Lewerenz und Artur Schock über ihr Label Audiolith: "Punk war… | |
> Die Elektro-Bands des Hamburger Labels Audiolith laufen in diesem Sommer | |
> Gitarrengrößen auf den Festivals den Rang ab. | |
Bild: Leben trotz Erfolg am Existenzminimum: Artur Schock (links) und Lars Lewe… | |
taz: Herr Lewerenz, Herr Schock, auf dem Hurricane Festival im Juni in | |
Scheeßel musste die Polizei Besucher mit Pfefferspray von einer kleinen | |
Zeltbühne fernhalten, so viele Leute wollten dort das Konzert eurer | |
Elektro-Band Frittenbude sehen. Haben die Veranstalter da etwas nicht | |
mitbekommen? | |
Schock: Die haben einen Trend vielleicht unterschätzt. Aber im Hinblick auf | |
die Katastrophe bei der Loveparade muss ich sagen, dass die | |
Verantwortlichen auf dem Hurricane durchdacht gehandelt haben. | |
Eure Bands sind diesen Sommer fast jede Woche als Support auf Festivals | |
gebucht, auf denen Rockbands die Headliner sind. Hat sich da nach dem | |
Hurricane was geändert? | |
Schock: Ja, nächste Woche zum Beispiel ist in Ostfriesland das "Omas | |
Teich"-Festival, eigentlich auch ein Rockfestival. Da ist der | |
Frittenbude-Auftritt auf eine größere Bühne verlegt. | |
Habt ihr da nachgeholfen? | |
Schock: Nein, ich will niemand was aufdrücken. Das wäre ja lächerlich, wenn | |
wir sagen, wir spielen nur, wenn wir die Hauptbühne kriegen. | |
Du sagst, die Veranstalter hätten ,einen Trend unterschätzt'. Sind Indie, | |
Punk und Hardcore vorbei? | |
Lewerenz: Wo man früher eine Gitarre genommen hat, nehmen heute eben viele | |
einen Rechner und einen Synthesizer. Es gibt ja immer noch Gitarrenbands, | |
die gehört werden. Wir vergleichen uns aber nicht damit und sagen, wir | |
haben jetzt hier den neuen Sound. | |
Es scheint aber so zu sein. Bei eurer "Ravemeisterschaft" im Juni im Bremer | |
Schlachthof war der Laden mit über 1.000 SchülerInnen voll. Wenn da | |
einstige Punklegenden auftreten, spielen sie im Keller - und keine 50 Leute | |
kommen. | |
Lewerenz: Es wäre schade, wenn es so wäre. Außerdem haben wir diesen Sound | |
ja auch nicht erfunden. | |
Du hast in den 90er Jahren in der Hardcore-Band Linsay mitgespielt. Die war | |
in einer damals bis in die Haarspitzen politisierten Szene ziemlich | |
angesagt. Fehlt dir jetzt was bei dem, was ihr so rausbringt? | |
Lewerenz: Nein. Je älter ich werde, desto mehr Kritik habe ich an Punk und | |
Hardcore. Da ging es ganz viel um Äußerlichkeiten. Nur weil man gleich | |
aussieht, hat man aber nicht gleich eine Schnittmenge. Punk und Hardcore | |
wollte die Leute durch die Texte agitieren, das hat sich total erledigt, | |
das klappt eh nicht. Texte werden total überbewertet. | |
Immerhin gab es einen irgendwie subversiven Anspruch. Hätte es sich nicht | |
gelohnt, daran festzuhalten? | |
Schock: Das ist ein Allgemeinplatz, der immer wieder vorgebracht wird, dass | |
die Kids früher ach so politisch waren und jetzt nur noch Pillen einwerfen. | |
Punk war früher vor allem der Soundtrack zum Saufen, wenn du mich fragst. | |
Ich treffe heute so viele Jugendliche, die total engagiert sind. Und die | |
feiern halt auch gerne hinterher auf Elektro. Vielleicht ist das sogar ein | |
Fortschritt, denn die Punkkonzerte früher waren ziemlich aggressiv. | |
Lewerenz: Als Teenager hab ich gedacht, Hardcore und Punk sind das Gelbe | |
vom Ei und elektronische Musik ist Teufelswerk. Das war genauso beschränkt, | |
wie wenn heute die Leute denken, Elektro ist das Ding. | |
Punk diente vor allem dazu, sich abzugrenzen. Der Distinktionsgewinn für | |
Fans von Frittenbude und Bratze dürfte gegen null gehen. Warum interessiert | |
das keinen mehr? | |
Lewerenz: Distinktion funktioniert sowieso nicht mehr. Das hat was mit der | |
technischen Revolution zu tun. Heute gibt es alles über Myspace, es gibt | |
insofern keine Provinz mehr. Man braucht keinen exklusiven Input aus einer | |
Szene mehr, um Zugang zu bestimmter Musik zu kriegen. Da ist es schwer, | |
sich auf diese Weise abzugrenzen. | |
Was bietet ihr den Leuten denn dann? | |
Schock: Bei uns steht schon der Spaß im Vordergrund. | |
Lewerenz: Spaß muss sein, auf jeden Fall. Bei uns ist die klassische | |
Situation aufgehoben, dass die Band vorne steht und abgefeiert wird. | |
Elektropunk-Konzerte sind mehr eine Symbiose, dass das Publikum mitgeht, | |
ist sehr wichtig. Zum Glück haben die Leute bei uns nicht nur Bock auf | |
feiern, sondern auch auf Inhalte. | |
Bei den Konzerten von eurer Band Egotronic schwenken 15-Jährige | |
Israel-Fahnen und bejubeln die Bombardierung Deutschlands durch Engländer. | |
Meinst du das mit Inhalten? | |
Schock: Das ein Extremfall. Das Antideutsche hat sich extrem verpoppt und | |
Egotronic ist da eine Projektionsfläche für die Kids. Einerseits finde ich | |
es besser, wenn sie Israelfahnen schwenken als Deutschlandfahnen. | |
Andererseits ist das schon ein komischer Umgang damit. Das sagt Torsun, der | |
Sänger, aber auch auf der Bühne. Mit Inhalten meinen wir eher, dass sich | |
die Bands mit der Lebenssituation der Kids auseinandersetzen: Das Leben in | |
kleinen Käffern im Osten, das von Nazis eingeschränkt wird, oder dass | |
Jugendliche gern feiern gehen, den Kick und Spaß suchen, dann mit ihrem | |
Hangover klarkommen müssen und trotzdem wieder feiern gehen. | |
Darum geht es bei vielen. Das erklärt euren Erfolg wohl kaum. | |
Lewerenz: Es hat wohl auch was mit dem sozialen Netzwerk zu tun. Das ist | |
außergewöhnlich, es geht bei uns ziemlich familiär zu. Alle sind mehr oder | |
weniger befreundet, gehen zusammen auf Tour und machen und machen | |
hirnverbrannte Aktionen zusammen. Wir mögen einfach, was wir machen und das | |
kam dann halt gut an. | |
Schock: Wir wollten ja gar keine Plattenfirma aufmachen und da Business | |
draus machen. | |
Das sagen alle. | |
Schock: Bei uns stimmt das aber. Lars wollte Platten von seinen Freunden | |
rausbringen und ich wollte mich vorm Arbeitsamt drücken. | |
Lewerenz: Wir hatten nie vor, Audiolith als Marke aufzubauen. Aber die Acts | |
und die Leute identifizieren sich eben damit. Das können nicht viele von | |
sich sagen. Niemand würde sich ein "Sony Music" oder "Warner"-T-Shirt | |
anziehen. | |
Haben die mal versucht, Bands von euch abzuwerben? | |
Schock: Ab und zu wurde mal angefragt, aber das ist jetzt nicht so ein | |
Haifischbecken, wie viele glauben, wo jemand mit dem großen Geldkoffer | |
ankommt. Und die Bands versprechen sich auch nicht so viel von den Majors. | |
Lewerenz: Wir sind nicht mehr in den 80ern, als so viel Geld verbraten | |
wurde. Alle wissen, dass man heute mit Low Budget und viralem Marketing | |
viel erreichen kann. | |
Die scheidende Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck hat gerade ein | |
Förderprogramm für kleine Hamburger Labels aufgelegt. Die kleinen | |
Musikfirmen würden "erheblich zur Entwicklung des Musikstandorts" beitragen | |
und sollen deshalb mit bis zu 10.000 Euro gefördert werden. Wollt ihr davon | |
was haben? | |
Lewerenz: Das entscheiden wir von Fall zu Fall. Es ist vergleichbar mit | |
Sponsoring, es kommt vor allem darauf an, ob es den Künstlern zu Gesicht | |
steht. | |
Welchen Künstlern steht es denn zu Gesicht, ihre Musik für | |
Standortmarketing herzugeben? In Hamburg ist das ja eine schwer diskutierte | |
Frage. | |
Schock: Dieses Argument mit dem Dienst für den Standort, ich weiß nicht. Es | |
ist ja so, dass wir allein dadurch, dass wir hier sind, schon den Standort | |
aufwerten, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist, ob man sich dafür | |
bezahlen lässt, oder ob die sich einfach so damit schmücken. | |
Von Welck behauptet, sie wolle Künstler nicht für eine Image-Kampagne | |
instrumentalisieren, sondern nur Kreative fördern. Glaubt ihr das? | |
Schock: Vielleicht glaubt sie das wirklich selber. Aber deswegen muss es ja | |
nicht stimmen. Es ist schon klar, warum das bezahlt wird und warum an | |
anderer Stelle eben kein Geld fließt, zum Beispiel für soziale Zentren, wo | |
solche Musik entsteht. Das sollte man im Kopf haben, wenn man solches Geld | |
nimmt. In Hamburg spielt da natürlich die ganze Verdrängungssache und die | |
Diskussion um den Abriss der Flora eine Rolle. | |
Habt ihr schon mal öffentliches Geld genommen? | |
Lewerenz: Ja, für ClickClickDecker und Bratze. In Absprache mit denen haben | |
wir Geld aus Bundesmitteln beantragt. | |
Schock: Manche lassen sich vom Goethe-Institut auf Auslandstour schicken, | |
weil sie sonst nie ins Ausland könnten. Das kann ich schon verstehen. | |
Andere haben eben keinen Bock, sich als Aushängeschild der deutschen Kultur | |
vorführen zu lassen und da Vorfeldarbeit für deutsche Außenpolitik zu | |
machen. Das kann ich auch verstehen. | |
Ihr füllt Clubs, eure Bands spielen auf großen Festivals, kann man da noch | |
guten Gewissens Subventionen annehmen? | |
Schock: Ich wohn in Berlin in einer Penner-WG und wir versuchen auch sonst | |
alles günstig zu machen. Ein Konzert mit drei unserer Bands kostet zehn | |
Euro. Das rechnet sich so gerade. Es wäre aber auch gemein auszunutzen, | |
dass solche Konzerte für unsere Zielgruppe, die wenig Geld hat, so wichtig | |
sind, und 20 Euro von denen zu nehmen. | |
Lewerenz: Das geht aber auch nur, weil wir viele Unkosten gar nicht haben: | |
Die Bands arbeiten mit Laptops, die müssen keinen Kleinbus mieten und ein | |
Schlagzeug mitnehmen. Und ins Studio müssen sie auch nicht. | |
Wieso nicht? | |
Lewerenz: Das ist alles Homerecording, die machen das zu Hause am PC und | |
mischen selbst. Viele sagen, wir machen jetzt Konzerte mit 1.000 Leuten und | |
stehen dauernd in der Zeitung, jetzt hätten wirs irgendwie geschafft. Aber | |
eine Platte rausbringen und die Promo machen ist immer finanzielles Risiko. | |
Wir haben viel Geld in den Sand gesetzt. Wir haben zwar keine Schulden | |
mehr, leben aber immer noch am Existenzminimum. | |
25 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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