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# taz.de -- Merkel-Sprecher Wilhelm wird BR-Intendant: Sprachrohr mit Stil
> Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wechselt an die Spitze des Bayerischen
> Rundfunks. Vielen Journalisten wird er fehlen, Kanzlerin Angela Merkel
> wohl am allermeisten.
Bild: Der bayerische Robert Redford wechselt die Seiten.
Wahre Größe zeigt sich in schwierigen Momenten. Der 24. Oktober 2009 bot
einen solchen. Berlin, Bundespresskonferenz: Angela Merkel, Horst Seehofer
und dessen neuer Duz-Freund Guido Westerwelle stellen den Koalitionsvertrag
vor. Die Pressekonferenz plätschert erwartbar dahin. Fragen zu
Steuersenkungen, Fragen zum Atomausstieg, nichts Besonderes, bis der
niederländischer Kollege Rob Savelberg Kanzlerin Angela Merkel fragt, wie
sie ausgerechnet Wolfgang Schäuble (CDU) das Finanzministerium anvertrauen
könne, wo der doch schon einmal "100.000 D-Mark in einer Schublade
vergessen hat".
Die Frage nach der Spendenaffäre lässt Merkels Gesichtszüge kurz, aber
deutlich sichtbar entgleiten. Ulrich Wilhelm hingegen verzieht keine Miene
und beweist einmal mehr: Es gibt keine Situation und keine Frage, die ihn
aus dem Konzept bringen könnte, stets bewahrt er Contenance.
Als Merkel ihn 2005 als ihren Regierungssprecher vorstellt, hat so mancher
Zweifel, ob Wilhelm der Aufgabe gewachsen sein würde. Ein CSU-Mitglied,
nicht in der Berliner Polit-Schlangengrube sozialisiert - zwar vom Aussehen
her eine Art "bayerischer Robert Redford", wie schnell geschrieben wird.
Aber doch auch einer, der das "Nichts-Sagen" in deutlich weniger
unterhaltende Arabesken kleidet wie Co-Sprecher Thomas Steg.
Doch Wilhelm lehrt die Zweifler, ihn nicht zu unterschätzen. Rasch zeigte
sich: Hier agiert kein bloßes Sprachrohr, niemand, der gemäß seiner
politischen Couleur bloß danach trachtet, die eigenen Leute gut zu
verkaufen. Wilhelm hat stets das große Ganze im Blick und das ist weder bei
der großen Koalition noch bei der amtierenden schwarz-gelben ein leichter
Job. Nie wurden Unions-Minister von ihm zu Ungunsten von Sozialdemokraten
oder FDP-Regierungsmitgliedern plump und offensichtlich besser dargestellt.
Dass ihm in Berlin allerorts fast nur Gutes nachgesagt wird, hat auch mit
seiner entwaffnenden Freundlichkeit zu tun. Noch einmal Berlin,
Bundespressekonferenz: Drei Mal pro Woche treten die Sprecher der
Ministerien zur Regierungspressekonferenz an. Natürlich ist dies nicht
bloße Informationsveranstaltung, sondern stets auch Bühne zur
Selbstdarstellung. Wer stellt die klügsten Fragen, wer schafft es am
besten, die Sprecher auf's Glatteis zu führen, auf dass sie dort dann doch
irgendetwas Verwertbares preisgeben?
Wilhelm kommt nie mit auf's Eis, aber er ist auch nie unfreundlich, wenn
jemand versucht, ihn dorthin zu lotsen. Selbst die (sogar aus
Kollegensicht) gelegentlich nervigsten Fragen beantwortet er mit immer
gleicher, lächelnder Freundlichkeit. Merkt er, dass ein Journalist was
verwechselt oder die 105. Novelle eines unaussprechlichen Gesetzes gerade
nicht parat hat, dann erklärt er mit einem unauffälligen "Wenn Sie so
wollen, ...." den Sachverhalt und niemand ist blamiert. Da gab es auch
schon andere Regierungssprecher, die das unten sitzende Journalistenvolk
deutlich spüren ließen, dass sie selbst über Herrschaftswissen verfügen und
man eigentlich nicht so blöd fragen solle.
Auch im kleinen Kreis, in den berühmten Hintergrundgesprächen, ist Wilhelm
fair. Dort wird ja angeblich wirklich offen gesprochen, "unter drei" nennt
man das verheißungsvoll und es soll bedeuten: Man erfährt vieles, darf aber
nicht darüber schreiben. Wenngleich man sich manchmal fragt: Was sollte man
denn schreiben, selbst wenn man dürfte? Der freundliche Charme des
Kanzlersprechers ist gelegentlich doch größer als der Informationsgehalt.
Doch dieses beruhigende, manchmal auch einlullende Element wurde zu
Wilhelms Markenzeichen. Die Regierung streitet, dass die Fetzen fliegen -
alles halb so wild. Minister rüffeln sich öffentlich - davon geht die Welt
nicht unter.
Auch so gesehen, passte Wilhelm gut zu Merkel. Oder kann sich jemand an
einen wirklichen Gefühlsausbruch oder Tobsuchtsanfall der Kanzlerin
erinnern - deutsche und südafrikanische WM-Stadien als Kulisse mal
ausgenommen?
Wilhelms Marktwert in Berlin ist auch deshalb kein geringer, weil man weiß:
Er spricht nicht bloß für die Merkel, er ist auch zu einem ihrer
wichtigsten Berater geworden.
Der Vollständigkeit halber sollte an dieser Stelle noch erwähnt werden, wie
Wilhelm Interviews autorisiert, das gehört ja schließlich auch zu seinem
Job. Doch leider, leider - diesbezüglich gibt es keine Informationen aus
erster Hand. Kollegen, die die Ehre hatten ein Kanzlerinnen-Interview zu
führen, berichten, Ulrich sei ein maßvoller Autorisierer, schreibt nicht
alle Antworten um. Der österreichische "Standard" selbst wartet seit fünf
Jahren auf ein Interview mit Angela Merkel - nimmt die in regelmäßigen
Abständen vorgetragenen freundlichen Absagen aber mittlerweile so gelassen
hin wie die Nicht-Teilnahme der rot-weiß-roten Nationalmannschaft am der
Fußball-WM.
Nun, am 30. Juli, endet also Wilhelms Job. Dass er seine Chefin in einer
ihrer schwierigsten Zeiten verlässt, war sicher keine Absicht. Nicht einmal
ein Talent wie Wilhelm konnte voraussehen (oder gar verhindern), dass die
Regierung nach einem dreiviertel Jahr so armselig schlecht dasteht.
Ja, könnte er doch nicht einfach ein wenig bleiben, möchte man fragen.
Seinen neuen Job tritt er doch ohnehin erst am 1. Februar 2011 an. Nein, er
kann nicht. Denn Wilhelm verlässt Berlin, weil er Intendant beim
Bayerischen Rundfunk, der viertgrößten ARD-Anstalt, wird. Ein direkter
Wechsel eines Regierungssprechers auf einen Intendantenposten wäre nicht
vermittelbar, wenngleich der 51-Jährige mit scheinbar entwaffnender
Naivität (auch so ein Wilhelmsches Merkmal) auf kritische Fragen nach der
Verquickung von öffentlich-rechtlichen Anstalten und Politik antwortet, er
müsse sich beim Bayerischen Rundfunk ja ohnehin erst einmal kundig machen.
Schließlich habe man damals, als er dort wegging, noch 16 Millimeter Filme
gedreht.
Doch so einfach lässt sich das Thema nicht vom Tisch wischen. Die
Verflechtung der öffentlich-rechtlichen Anstalten und der Politik sind kein
"Orchideenthema", das ohnehin nur die üblichen Verdächtigen in Polit- und
Medienkreisen diskutieren. Das zeigte der "Fall Brender". Dass Nikolaus
Brender auf Betreiben des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU)
als ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender vor die Tür gesetzt wurde, war
monatelang Thema und hat viele Bürgerinnen und Bürger maßlos empört.
Wilhelm muss also wenigstens eine Schamfrist von einigen Monaten einhalten,
bevor er von der Politik zum Bayerischen Rundfunk wechselt. "Ich bin ja
kein Politiker, sondern nur Beamter, der einzige übrigens am
Kabinettstisch", sagt er gerne, wenn die Rede auf seinen Einfluss kommt.
Formal korrekt, in der Sache ein wenig euphemistisch. Es gibt nur eine
Handvoll Personen, die so nah an der Kanzlerin sind.
Die Pause zwischen den beiden Top-Jobs hätte daher aus hygienischen Gründen
ruhig etwas länger sein können. Andererseits: Es gibt kein Berufsverbot für
ehemalige Regierungssprecher. Und Wilhelm weiß: Er wird bei jedem seiner
Schritte als BR-Intendant unter Beobachtung stehen wie kaum ein anderer.
Glatteis gibt es auch in München reichlich.
26 Jul 2010
## AUTOREN
Birgit Baumann
## TAGS
ARD
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