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# taz.de -- Neues Stadtquartier im Möckernkiez: Das Paradies gibt's nicht für…
> In Kreuzberg entsteht mit dem Möckernkiez ein neues ökologisches
> Stadtquartier. Die Pläne der Genossenschaft sind ambitioniert: Auch
> sozial Schwache sollen mitbauen können.
Bild: Die Hoffnung wächst, dass der Möckernkiez doch irgendwann aussieht wie …
Mit offenen Armen präsentierte sich das geplante Stadtquartier Möckernkiez
vor wenigen Tagen zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit. Trotz
sengender Hitze waren über 200 zukünftige Nachbarn in die Kreuzberger
Heilig-Kreuz-Kirche gekommen, um der Vorstellung von "Berlins
ungewöhnlichsten Neubau- und Wohnprojekt" beizuwohnen und das Angebot
"einer zukünftigen Gestaltung des gemeinsamen Miteinanders im Kiez"
anzunehmen.
Am südöstlichen Rand des neugestalteten Gleisdreieck-Parks plant die
Initiative Möckernkiez auf einem rund 30.000 Quadratmeter großen Areal den
Bau eines barrierefreien Stadtquartiers mit 385 Wohnungen. Die Wohnfläche
für rund 1.000 Menschen soll etwa 25.000 Quadratmeter umfassen, dazu kommen
über 7.000 Quadratmeter für soziales Gewerbe vor allem entlang der
Möckernstraße und der Yorckstraße. Allein der Grundstückskauf kostet mit
allen Nebenkosten knapp zehn Millionen Euro, die Gesamtinvestition beträgt
ungefähr 72 Millionen Euro.
In den ersten Planzeichnungen gruppieren sich die Häuser wie ein kleines
Dorf um einen zentralen Platz, alles weitgehend autofrei. Nicht nur an
klassische Familien, sondern auch an Singles, größere Wohngemeinschaften
und Menschen mit Handicaps wird gedacht. Denn auf dem Baufeld "soll kein
Luxusviertel entstehen", betont Aino Simon vom Vorstand der neugegründeten
Genossenschaft "Möckernkiez e.G.", "sondern ein offener und bunter
Lebensraum, der zu Kreuzberg passt und sich nach außen öffnet".
Das Projekt ist in vielfacher Hinsicht sehr ambitioniert. So soll die
komplette Wohnanlage in Passivbauweise errichtet werden und den neusten
ökologischen Standards durch die Nutzung von erneuerbaren Energien
entsprechen. Mittels eines geplanten Kinder- und Jugendzentrums und einer
Kiezkantine soll das Projekt den "sozialen Zusammenhang im Kiez fördern und
stärken", erhofft sich die Diplom-Politologin Simon. "Und wir holen uns
damit das Außen herein!" Durch eine "barrierefreie Gestaltung" soll das
Areal sowohl eine Antwort auf die Frage "wie ein selbstbestimmtes Wohnen
und Leben im Alter gehen kann" sein als auch die "Inklusion von Menschen
mit Behinderungen" ermöglichen. "Hier geht es nicht nur um schöne
Wohnungen, hier geht es um ein besseres soziales Miteinander", betont Simon
auf der Veranstaltung. Als Beispiel für das "soziale Gewerbe" führt sie das
geplante Hotel an der Möckernstraße an, in dem nach dem Konzept des
Karlshorster Hotels "Mit-Mensch" der größte Teil des Betriebs von Menschen
mit Behinderungen erfolgt.
Auch wenn bei der Präsentation der Pläne das Wort "sollen" sehr häufig
auftaucht: Bei vielen Menschen weckt allein die Vorstellung, ihr ganzes
Wohnumfeld selbst völlig neu gestalten zu können, die oft verdrängte Frage
nach dem "wie will ich eigentlich leben?" Und so füllt die Initiative seit
Jahresbeginn zum wiederholten Mal den Gemeindesaal der
Jesus-Christus-Kirchengemeinde, um vor allem die konkrete ökonomische Seite
ihres Projektes vorzustellen und neue Genossen zu werben. Gebannt hören die
meist zwischen 40 und 60 Jahren alten Interessenten Ulrich Haneke vom
Vorstand der neu gegründeten Genossenschaft zu und beginnen sich in ersten
Phantasien zu verlieren.
Doch mit dem Satz "Irgendwann kommt die unangenehme Frage, was kostet dies
denn" reißt Haneke seine Zuhörer aus ihren Träumen. Rund 2.000 Euro kostet
der Quadratmeter, 30 Prozent davon müssen als unverzinste
Genossenschaftseinlage eingebracht werden - also für eine 100
Quadratmeterwohnung 60.000 Euro, die man allerdings beim Auszug
zurückerhält. Doch selbst dann wird die Miete in den ökologisch auf neustem
Standart errichteten Wohnungen 8,30 Euro Netto kalt pro Quadratmeter
betragen, dazu kommen die Betriebskosten und die Entgelte für Warmwasser
und Heizung. Dafür hat man dann ein quasi unkündbares Wohnrecht.
Um allerdings das nötige Eigenkapital für den Grundstückskauf aufzutreiben,
muss auch die Genossenschaft einen Teil der Wohnungen zu 100 Prozent
verkaufen, der Käufer "darf später im Rahmen der Genossenschaft seine
Wohnung vererben, verkaufen und weitervermieten", erklärt Haneke, und muss
nur noch für die Betriebskosten bezahlen.
Als die Zahlen auf dem Tisch liegen, trüben sich bei manchen Zuhörern die
Gesichter ein - aus der Traum. Andere rechnen schnell im Kopf durch, um
dann zu sagen, "da kann ich ja gleich selbst kaufen ohne lästige
Genossenschaft". Denn so herzensgut und gemeinschaftlich die Initiative
Möckernkiez gemeint ist, sie entkommt den Gesetzen des Kapitalismus nicht.
Rund 30 Prozent der Gesamtkosten sind als Eigenkapital auf den Tisch zu
legen, mehr als 70 Prozent finanziert auch die GLS-Bank oder die Umweltbank
nicht mit einem Hypothekenkredit. Und ein Neubau als Baugruppe in Berlin
kostet nun mal zwischen 1.850 Euro, wenn die zukünftigen Nutzer viel
Eigenleistungen einbringt, bis zu 2.400 Euro pro Quadratmeter, wenn die
zukünftigen Eigentümer die meisten Aufgaben an eine professionelle
Baubetreuung abgeben.
So regeln viele Baugruppen die sozialen Unterschiede vor allem über
unterschiedliche Preise pro Stockwerk. Bei einem fast so umfangreichen
Projekt in der Schwiebusser Straße im Kreuzberger Bergmann-Kiez ist in
einzelnen Häusern eine Wohnung im 1. Obergeschoss noch für 2.000 Euro pro
Quadratmeter zu haben, dann steigert sich der Preis bis hinauf zum
Dachgeschoss für 3.050 Euro pro Quadratmeter. Trotzdem bleibt der grüne
Mittelstand hier weitgehend unter sich, denn ein großer Teil der Berliner
Bevölkerung hat nicht mal die 2.000 Euro für das unterste Stockwerk.
"Aber diese Leute, denen das Geld fehlt, sind uns nicht egal", erwidert
Simon und berichtet, wie in vielen Einzelgesprächen mit der eigens
gegründeten AG Solidarische Finanzierung individuelle Lösungen gefunden
wurden. Es sind allerdings "private Lösungen", Menschen mit viel Geld
übernehmen zum Beispiel Patenschaften. Trotzdem seien bislang erst etwa
zwei Drittel der Wohnungen abstrakt vergeben, so Simon. Und sie will auch
über die psychologischen Aspekte reden: "Eigentum antwortet auf bestimmte
Ängste zum Beispiel vor Wohnungsverlust. Diese Ängste wollen wir ernst
nehmen, aber andere Antworten liefern als der gewöhnliche Kapitalismus, die
Leute sollen zu anderen Schlussfolgerungen kommen."
Nun redet sich Ulrich Haneke in Fahrt: "Es ist ein riesengroßer Unterschied
zu den Baugruppen, dort muss man auch 30 Prozent Eigenkapital mitbringen
und haftet zu 100 Prozent gegenüber der Bank, aber bei uns beschafft die
restlichen 70 Prozent Kredit die Genossenschaft und haftet dafür." Viele
der Interessenten hätten große Schwierigkeiten, selbst bei einer Bank einen
Hypothekenkredit zu bekommen. Jeder könne sich überlegen, was ihm die
Sicherheit der Gemeinschaft der Genossenschaft bedeute, "bei uns kauft man
ein ganzes soziales Umfeld mit".
Gekauft ist auf jeden Fall seit wenigen Tagen das Grundstück. Stolz
berichtet Haneke, dass die drei Bedingungen aus dem Kaufvertrag erfüllt
sind. "Wir haben die knapp zehn Millionen Euro zusammen, wir sind eine
richtig eingetragene Genossenschaft, und die Unterschrift unter den
städtebaulichen Rahmenvertrags wird Ende August im Bezirksamt Kreuzberg
erfolgen." Jetzt sei endlich wieder der Kopf frei, um sich mit den
inzwischen rund 450 Mitgliedern der Genossenschaft nach weiteren Lösungen
für soziale Fragen zu schauen. Und sich vor allem den konkreten Planungen
zuzuwenden.
Diese stellt auf der Veranstaltung Constanze Cremer von der Beratungsstelle
"GenerationenWohnen" vor. "Mir ist keine Initiative in Deutschland bekannt,
die eine solche Dimension angenommen hat", berichtet die langjährige
Mitarbeiterin von Stattbau. Im Sommer 2008 fand der erste Work-Shop statt,
inzwischen traf man sich mit jeweils weit über 100 Leuten zu diversen
Planungswerkstätten, um gemeinsam über die konkrete Umsetzung von
ökologischen Ansprüchen an das Bauen, Lärmschutz-Maßnahmen, das gemeinsame
Gestalten der Plätze und Freiflächen und die architektonische Integration
des Kinder- und Jugendzentrums zu diskutieren.
"Da entstehen viele kleinteilige Strukturen, da ist kein Haus gerade",
erzählt Cremer begeistert. "Aber noch haben wir erst einen städtebaulichen
Entwurf", betont die Beraterin, "erst jetzt werden sich die einzelnen
Hausgruppen zusammenfinden und bis Weihnachten diesen Jahres sollen die
Bauantrags-reifen Unterlagen beim Bezirksamt abgegeben werden". Wenn
weiterhin alles gut läuft, könnten die ersten Genossen für das Frühjahr
2012 ihren Einzug planen.
Bis dahin dürfte es aber noch ein weiter Weg sein. Haneke hofft, dass "sich
auch der Senat von Berlin etwas überlegt, um uns zu unterstützen". Eine
erste Gelegenheit hat die Politik allerdings schon versäumt. Bis vor
wenigen Jahren war nämlich das ehemalige Bahngelände am Gleisdreieck im
Besitz der öffentlichen Hand. Gegen Auflagen wie zum Beispiel
Belegungsrechte für einzelne Wohnungen für kinderreiche oder
einkommensschwache Familien hätte der Staat das Baufeld auch verbilligt an
die Initiative abgeben können. "Wir meinen es mit unseren sozialen und
ökologischen Anliegen bierernst", betont Simon und schließt mit einem
Appell: "Wir sagen ganz offen, helfen Sie uns, dass es uns gelingt!"
28 Jul 2010
## AUTOREN
Christoph Villinger
## TAGS
Neues Bauen
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