# taz.de -- Segelschiffe in der Ostsee: Gegenwind für Traditionsschiffe | |
> Segeln lernen auf einem alten Schiff ist spannend und erholsam. Doch | |
> historische Kähne dürfen in Dänemark meist nicht mehr anlanden. Und auch | |
> deutsche Bürokraten verlangen schwer zu erfüllende Sicherheitsstandards. | |
Bild: Zwei hanseatische Koggen - die "Wissemara"und die "Lisa von Lübeck" - kr… | |
"Yiiiieh!" - die erste Arschbombe landet fernab der Küste in der Ostsee. | |
Fast alle an Bord der "Sigandor" folgen, die meisten ziehen jedoch die | |
Strickleiter vor. Unsere Crew besteht aus 18 Leuten - neben der | |
zweiköpfigen Besatzung sind es alles UrlauberInnen, die für eine Woche zum | |
Segelnlernen in der dänischen Südsee aufgebrochen sind. Jetzt aber dümpelt | |
das über hundert Jahre alte Traditionsschiff vor der Bucht von Eckernförde | |
in der Flaute. Für uns Landratten überraschend macht die Galeasse dennoch | |
1,4 Knoten (2,5 km/h) Fahrt, und wir spüren, dass wir kräftig strampeln | |
müssen, um mitzuschwimmen. Gut, dass ein Seil mit Rettungsring neben dem | |
schwarzen Bootsrumpf treibt. | |
Später kommt wieder Wind auf: schon 6 Knoten! "Ist die Fock kaputt?", ruft | |
Kapitän Rieke Boomgaarden lachend, und zwei Frauen klettern ins Vordernetz | |
und packen auch das vierte Segel aus. "Backbordschot fieren" lautet seine | |
Anweisung kurz danach - nach drei Tagen wissen alle, dass das "Leine | |
lockern" bedeutet. 400 qm schön geblähte Segelfläche sind jetzt über uns. | |
Am liebsten würden wir jetzt gleich bis Dänemark durchsegeln. Das aber geht | |
auf keinen Fall, erklärt Boomgaarden. Wir müssen unseren Törn auf den | |
deutschen Teil der Ostsee beschränken, weil wir sonst riskieren, | |
festgesetzt zu werden. Zwei deutschen Traditionsschiffen ist das in diesem | |
Sommer schon passiert. Wir sind erstaunt und empört: Befinden wir uns nicht | |
in der freizügigen EU? | |
Seit etwa vier Jahren ist es für historische Kähne zunehmend riskant | |
geworden, dänische Häfen anzulaufen. Die dortigen Seefahrtsbehörden | |
verlangen den Nachweis internationaler Sicherheitsstandards; die aber sind | |
für neu gebaute Schiffe ausgelegt und können von den traditionellen Seglern | |
nicht erfüllt werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein altes Boot | |
mit viel Holz keinen hochmodernen Brandschutz bieten kann. Für | |
Traditionsschiffe gibt es jedoch maßgeschneiderte Konzepte, und viele | |
Länder - darunter Deutschland - haben entsprechend angepasste Vorschriften | |
aufgestellt. Dänemark aber erkennt diese Regelungen nicht mehr an. | |
Für uns ist das ärgerlich, aber nicht wirklich wichtig; schließlich müssen | |
wir keine bestimmten Häfen erreichen, und diese Woche herrscht sowieso | |
selten mehr als Windstärke 3. Anders sieht das für die Schiffsführer aus. | |
Deren Aktionsradius hat sich de facto mehr als halbiert - eine prekäre | |
Situation für alle, die mehrtägige Törns anbieten. Dabei ist der Ärger mit | |
dem Nachbarn im Norden nur eins von mehreren existenzgefährdenden | |
Problemen. | |
Als wir am nächsten Tag miterleben, wie unser Kapitän sein 35-Meter-Schiff | |
mithilfe einiger Taue trickreich in eine enge Hafenlücke bugsiert, erzählt | |
er beiläufig: "So um die 20.000 Euro pro Jahr müssen allein für das | |
Takelwerk und dessen Instandhaltung kalkuliert werden." | |
Und nicht nur Seile und Taue sind regelmäßig zu erneuern; auch der | |
Metallrumpf und die Bordplanken müssen geflickt und imprägniert werden. | |
Keine billige Angelegenheit - doch nach deutschem Recht darf auf | |
Traditionsschiffen kein gewerblicher Betrieb stattfinden. Deshalb haben | |
hierzulande bereits mehrere Schiffseigner kein neues | |
Schiffssicherheitszeugnis mehr erhalten. Hinzu kommt, dass die Behörden bei | |
der Definition von "historischen Schiffen" inzwischen sehr willkürlich | |
verfahren und für einige Kähne die Ausnahmeregelungen plötzlich nicht mehr | |
akzeptiert wurden. | |
"Das sind keine Einzelfälle", sagt der Kapitän. Er fürchtet, dass ein | |
Großteil des vielgelobten "maritimen Erbes" nach und nach in die | |
Illegalität gedrängt wird oder gar ganz aus der Ostsee verschwindet. | |
Beklommen fragen wir uns, warum unser Kapitän das alles auf sich nimmt. | |
Die Weite des Himmels, das Wiegen des Schiffs machen uns ruhig und dösig; | |
der Wind entscheidet, wohin es geht. In der vorletzten Nacht bleiben wir | |
200 Meter vor der Küste, der Anker liegt 30 Meter unter uns. | |
Abwechselnd halten wir Wache: Sollte der Wind drehen oder die Ankerleuchte | |
erlöschen, müssen wir Alarm schlagen. Doch nichts geschieht - der | |
Sternenhimmel und der Sonnenaufgang entschädigen für jede Müdigkeit. | |
Wehmütig gehen wir tags darauf von Bord. Die "Sigandor" läuft in wenigen | |
Stunden wieder aus - diesmal an Bord eine Crew diabeteskranker Kinder. | |
29 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Heike Aghte | |
## TAGS | |
Reiseland Deutschland | |
Schifffahrt | |
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