Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Auf Segeltour rund um Istanbul: Viel Verkehr und sprunghaftes Wetter
> Hobbysegler an der türkischen Schwarzmeerküste sind selten. Das Wetter
> kann sehr unbequem werden. Segler aus Istanbul steuern viel lieber das
> südlich gelegene Marmarameer an.
Bild: Segelboote vor der Kulisse von Istanbul.
Pitschnass von Gischt und Regen waren wir schon. Die Sonne, die eben noch
die Wellen des Schwarzen Meeres ab und an zum Glitzern brachte, war jetzt
ganz verschwunden. Sile, unser Zielhafen an der türkischen
Schwarzmeerküste, schien immer weiter in der Ferne zu verschwinden.
Unser Segelmast ächzte bedenklich, doch noch hielt er. Bäuchlings auf dem
Kabinendeck liegend, um den Mastfuß aus der Nähe in Augenschein nehmen zu
können, zeigten sich allerdings bedrohliche Veränderungen des
Normalzustandes. Die vormaligen Haarrisse im unteren Drittel des Holzmastes
hatten sich teilweise zu fingerdicken Spalten geweitet. Es wurde höchste
Zeit, die Segelfläche zu verkleinern. Ohne Vorsegel und dem dritten Reff im
Groß sah es dann schon wieder etwas weniger bedrohlich aus.
Allerdings kamen wir bei dieser Beseglung kaum noch gegen die steife Brise
an, die uns just aus Nordost, von dort, wo der Siler Hafen lag,
entgegenblies. Schließlich warfen wir den kleinen Dieselmotor an und
kämpften uns auf einem etwas direkteren Kurs an den Hafen heran.
Als wir es schon kaum noch glauben konnten, tauchten endlich die
Hafenlichter in der Dämmerung auf. Halb erfroren liefen wir schließlich im
Hafen ein.
Dass man am Schwarzen Meer mit launischem Wetter rechnen muss und es
insbesondere bei Nordnordostwind sehr unangenehm sein kann, hatte man uns
natürlich vor unserer kleinen Tour schon viele Male gesagt. Nun, das kennt
man ja von der Ostsee: Es wird schon nicht so schlimm sein, dachten wir.
Launisches Wetter
Am Schwarzen Meer kommt allerdings erschwerend hinzu, dass die türkische
Küste überwiegend steil ins Meer abfällt und wenig bis gar keine Deckung
bietet, um eine Verschnaufpause einzulegen.
Liebliche Buchten wie am Mittelmeer gibt es hier nicht, und auch Schutz
bietende, vorgelagerte Inseln oder Sandstrände, an denen man notfalls
auflaufen kann, sind selten. Man muss es schon bis in einen der wenigen
Häfen schaffen, die mit großen Wellenbrechern dem Meer abgetrotzt sind,
andernfalls hat man schlechte Karten.
Dafür darf man sich dann auch als Pionier fühlen. Wo immer wir mit unserem
kleinen Segelboot am nördlichen Ausgang des Bosporus und den angrenzenden
Häfen auftauchten, waren wir die einzigen Freizeitkapitäne. Die Häfen am
Schwarzen Meer gehören den Fischern. Auch der Hafen von Sile war
vollgepackt mit großen Fischtrawlern, die im Gegensatz zu uns rechtzeitig
vor dem heranziehenden Tief die Biege gemacht hatten. Es schien alles
vollgeparkt, doch schließlich fand sich noch ein Plätzchen. Anders als in
den überlaufenen Segelmarinas am Mittelmeer werden wir hier herzlich in
Empfang genommen.
"Wir haben euch schon weit draußen gesehen", meinte einer der Fischer, der
vom Pier aus unsere Leine entgegennahm. Sein Gesichtsausdruck zeigt Respekt
und Verwunderung darüber, dass wir bei dem Wetter überhaupt draußen waren.
Die Fischer in den Schwarzmeerhäfen sind in Kooperativen organisiert, die
alle eine Art Vereinshaus betreiben, das eine Mischung aus Teegarten und
Restaurant ist. Hier ist der Treffpunkt für alle, die gerade nicht auf See
sind, und hier wurden wir erst mal etwas aufgepäppelt, bevor man uns in die
Nacht entließ.
Verglichen mit Hamburg oder anderen europäischen und amerikanischen Städten
am Meer ist Istanbul noch ein Segelrevier im Entstehen. Zwar gibt es sowohl
auf der europäischen als auch auf der asiatischen Seite der Stadt jeweils
eine Segelmarina für Hunderte von Booten, doch angesichts der fantastischen
Lage und der Einwohnerzahl von knapp 15 Millionen ist die Anzahl der Segler
doch sehr bescheiden. Segeln gilt noch immer als Elitensport, findet aber
in den letzten Jahren mehr und mehr Anhänger.
Das eigentliche Revier der Istanbuler ist das Marmarameer. Dieses
Verbindungsstück zwischen der Ägäis und dem Schwarzen Meer ist ideal für
Anfänger. Es ist überschaubar, es gibt von Istanbul aus attraktive Ziele in
der Nähe, und der Wetterbericht ist sehr zuverlässig. Die meisten Segler
bleiben deshalb in aller Regel im Marmarameer oder segeln durch die
Dardanellen in Richtung Süden. Der Weg der Argonauten, durch den Bosporus
ins Schwarze Meer in Richtung Kolchis, dem heutigen Georgien, ist unter
Seglern die absolute Ausnahme.
Denn schon das Stück vom Marmarameer den Bosporus hinauf ist zumindestens
für leicht motorisierte Segelboote eine Herausforderung. Die Strömung, mit
der das Wasser durch die Meerenge vom Schwarzen Meer ins Marmarameer
fließt, kann bis zu sechs Knoten betragen - das entspricht der maximalen
Geschwindigkeit unseres Boots, wenn man das Gaspedal bis zum Anschlag
durchdrückt.
Fischkutter am Bosporus
Es gab deshalb auch einige Abschnitte, wo wir aufpassen mussten, trotz
Vollgas nicht zurückzutreiben. So toll es ist, mit dem eigenen Boot mitten
durch die grandiose Kulisse von Istanbul zu gleiten, die Strömung und der
enorme Verkehr von Tankern, Frachtern, Fähren bis hin zu Kreuzfahrtschiffen
erfordern die volle Aufmerksamkeit und lassen nur selten Zeit, die
prächtigen Rekonstruktionen osmanischer Villen am Ufer zu bestaunen.
Nur mühsam ging es voran, und wir mussten jede ufernahe Gegenströmung
nutzen, die das Boot weiterträgt. Doch die Mühe lohnte sich. Als wir am
Nachmittag in einem kleinen Flusshafen unterhalb der Burg einliefen, die
Mehmet II., der Eroberer Konstantinopels, im Jahr 1450 bauen ließ, hatten
wir das Gefühl, Istanbul ganz neu kennengelernt zu haben. Der obere Teil
des Bosporus wird dann ruhiger und breiter, bei Wind aus südlicher Richtung
hätte man sogar segeln können.
Unser nächster Halt in Poyrazköy, am Ausgang des Bosporus, hatte dann mit
der Stadt nichts mehr zu tun. Hier liegt ein Teil der Istanbuler
Fischereiflotte und wartet auf den Palamut, eine Thunfischart, die in
Schwärmen vom Schwarzen Meer in die Ägäis zieht und an der ersten Engstelle
gleich in die Netze gehen soll. Nervös manövrierten etliche Fischtrawler in
der Eingangsmündung des Bosporus hin und her, damit ihnen kein Schwarm
durchschlüpfen konnte.
Oberhalb des Hafens in Poyrazköy, auf einem steil ansteigenden Hügel, liegt
wie auf einer Terrasse ein Teehaus, von dem aus man den Hafen und die
Meeresenge bequem überblicken kann. Das Teehaus ist der Versammlungsort der
alten Kapitäne, die von hier aus beobachten, wie die junge Generation der
Fischer sich so macht. Wehe, wenn wieder ein Boot leer zurückkommt. Die
Kommentare können ätzend sein.
Als wir am nächsten Tag dann endlich in die Weite des Schwarzen Meeres
eintauchten, war es zunächst sehr ruhig. Leichter Wind aus nördlicher
Richtung schob uns voran, es wirkte sehr friedlich, auch wenn es stark
bewölkt war.
Doch das Schwarze Meer wurde seinem Ruf gerecht. Das für den folgenden Tag
angekündigte Tief war schneller da als erwartet und erwischte uns weit vor
Sile, unserem Zielhafen in östlicher Richtung. Die meisten Fischer hatten
die Situation besser eingeschätzt und waren längst im Hafen, als es
stürmisch wurde. Nur noch die großen Tanker zogen in der Ferne vorbei.
Hätte unser Mast gehalten, wären wir wohl trotzdem ohne größere Probleme
noch in den Hafen gekommen, bevor die Wellen sich richtig aufgebaut hatten.
So durften wir den Wellengang voll auskosten.
Dafür erlebten wir am folgenden Morgen die Solidarität echter Seeleute.
Noch als wir überlegten, wo die nächste Werft sein könnte, kam der Fischer
vom Nachbarboot bereits mit einem großen Werkzeugkasten an. Stunden später
sah unser Mast aus wie ein geschienter Beinbruch, aber auf dem Rückweg
hielt er bestens.
29 Jul 2010
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Reiseland Türkei
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.