# taz.de -- Sommerinterview mit Harald Wolf: "Ich hätte noch ein paar Ideen" | |
> Die Krise ist in Berlin bislang zwar glimpflich verlaufen, aber noch sei | |
> sie nicht vorbei, sagt Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke). Ein | |
> Problem sei die Ausweitung des Niedriglohnsektors - dagegen setzt er auf | |
> Mindestlohnvorgaben bei öffentlichen Aufträgen. | |
Bild: Möchte Wirtschaftswachstum ohne die Unterstützung des Niedriglohnsektor… | |
taz: Herr Wolf, warum ist die Wirtschaftsverwaltung im Vergleich zum | |
restlichen Senat eigentlich so unbedeutend? | |
Harald Wolf: Sind wir das? | |
Das Land Berlin hat 105.326 Vollzeitstellen, davon nur 362 bei Ihnen. Keine | |
andere Verwaltung hat so wenige Beschäftigte wie Ihre. | |
Ach, sie machen das von der Zahl der Mitarbeiter abhängig. Die Bedeutung | |
eines Ressorts hängt doch nicht von der Zahl der Beschäftigten ab, sondern | |
von den Impulsen, die von ihnen ausgehen. Wir haben auch deshalb eine | |
schlanke Verwaltung, weil wir uns einer Reihe anderer Institutionen | |
bedienen, deren Aktivitäten von uns politisch gesteuert werden. | |
Wesentliches Instrument der Wirtschaftsförderung ist die Investitionsbank | |
mit mehreren hundert Beschäftigten, Berlin Partner und die | |
Technologiestiftung. | |
Sie haben aber auch nicht viel Geld für Impulse. Von den 22 Milliarden | |
Euro, die das Land Berlin in diesem Jahr ausgibt, verfügen Sie über knapp | |
600 Millionen Euro, also nur über 2,7 Prozent. | |
Wir sind keine Behörde, die tausende Polizisten oder Feuerwehrleute oder | |
Lehrkräfte beschäftigt mit der Folge eines großen Etats. Wir wirken mehr | |
nach außen. Die IBB setzt jährlich circa 410 Millionen für | |
Wirtschaftförderung ein, über meinen Etat stehen nochmal durchschnittlich | |
100 Millionen Euro an Fördermitteln zu Verfügung und die Verwaltung der | |
EU-Strukturfonds mit über 1,2 Milliarden Euro über die gesamte | |
Förderperiode liegt bei uns. Damit können wir Impulse setzen. Und wir sind | |
ganz wesentlich dafür verantwortlich, die Rahmenbedingungen für die | |
Wirtschaft zu setzen. | |
Wie geht es denn der Wirtschaft? Vor einem Jahr haben Sie im taz-Interview | |
befürchtet, für Berlin komme es wegen der Wirtschaftskrise dicke. Doch das | |
ist nicht passiert. Haben Sie sich getäuscht? | |
Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass es in Berlin nicht so schlimm | |
gekommen ist wie im Bundesvergleich. Das hat mit der besonderen Industrie- | |
und Wirtschaftsstruktur in Berlin zu tun. Bei uns ging das | |
Bruttoinlandsprodukt nur um 0,7 Prozent zurück im Vergleich zu 4,8 Prozent | |
bundesweit. | |
War Ihre Warnung vor einem Jahr übertrieben? | |
Es ist zwar gelungen, den dramatischen Einbruch 2009 dank der Kurzarbeits- | |
und Konjunkturprogramme abzufedern. Aber alle gravierenden Probleme, die | |
zur größten Wirtschaftskrise seit 1929 geführt haben, sind nach wie vor | |
existent. Die Finanzmärkte sind noch immer ohne Regulierung, die | |
Bankbilanzen noch immer nicht von den Schrottpapieren bereinigt, die | |
weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen Defizit- und | |
Überschussländern nicht abgebaut, der Euroraum in einer tiefen Krise. Die | |
Krise wurde vertagt, ist aber nicht zu Ende. Meine Sorge ist, daß der von | |
der Bundesregierung forcierte harte Konsolidierungskurs in Europa zu einer | |
deflationären Entwicklung führt. Dann wird es auch hier wieder schwieriger. | |
Bislang sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Wir haben aber auch | |
gesehen, daß die Wirtschaftsstruktur Berlins weniger anfällig ist. | |
Woran liegt das? | |
Die Autoindustrie und andere Branchen, die stark betroffen sind, sind in | |
Berlin nur wenig vertreten. Dafür haben wir viele Unternehmen aus weniger | |
anfälligen Branchen, zum Beispiel aus der Pharmaindustrie und der | |
Ernährungsindustrie. Auch die Tatsache, dass der Tourismus in Berlin weiter | |
geboomt hat, spielt eine Rolle - im Gegensatz zu Mitbewerbern wie London, | |
Rom oder Paris, die zweistellige Rückgänge hatten. | |
Gerade im Tourismus sind viele Jobs schlecht bezahlt. | |
Das ist ein Riesenproblem, das durch die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün | |
massiv angewachsen ist: Es gib einen deutlichen Anstieg des | |
Niedriglohnsektors, die Ausweitung prekärer Beschäftigung, gerade in | |
Hotellerie und Gastgewerbe. Das ist aber kein Thema, was wir in Berlin | |
lösen könnten. Leider können wir keinen flächendeckenden Mindestlohn | |
einführen. Wir wollen aber Qualitätssiegel an die Hotels und Gaststätten | |
vergeben, die ihre Leute vernünftig bezahlen. | |
Das klingt beinahe hilflos. | |
Was heißt hilflos? Mehr kann ich auf Landesebene nicht machen. Ich kann | |
auch nicht die Einkommensteuer für Spitzenverdiener erhöhen oder eine | |
Vermögensteuer einführen. Wir können nur im Bundesrat schöne Anträge | |
stellen und so Druck machen - aber die Zuständigkeit von Ländern können wir | |
nicht ändern. | |
Führt eine Politik, die auf Wirtschaftswachstum setzt, nicht immer auch zu | |
mehr Gentrifizierung? Es werden die Leute abgehängt, die keinen Job | |
abbekommen, weil die Mieten steigen und es auch sonst immer teurer wird, | |
den Lebensstandard zu halten. | |
Die Antwort auf Gentrifizierung kann ja nicht sein, dass wir keinerlei | |
Investitionen mehr in der Stadt tätigen. Ein Problem ist der | |
Niedriglohnsektor, daher wollen wir, dass die Arbeitsplätze, die in Berlin | |
geschaffen werden, auch gut bezahlt werden. Wirtschaftsförderung erhält | |
etwa nur, wer ein Bruttoeinkommen von 25.000 Euro pro Jahr bezahlt. Und wir | |
haben das Vergabegesetz geschaffen, um Mindeststandards für Unternehmen | |
festzulegen, die öffentliche Aufträge ausführen. | |
Es wird trotzdem noch Arbeitslose geben - wie sollen die sich das Leben in | |
ihrem Kiez weiter leisten? | |
Das müssen wir über die Stadtentwicklungspolitik angehen. Wir diskutieren | |
auch gerade innerhalb der Linken darüber, wie man diese | |
Auseinanderentwicklung in der Stadt stoppen kann. Ein Beispiel: Wenn | |
Gebäude aus der Wohnungsbauförderung rausgefallen sind und teilweise in die | |
Zwangsversteigerung gehen, warum ersteigern wir die nicht über unsere | |
kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, um dann auch ein Gegengewicht zu den | |
steigenden Mieten zu schaffen? | |
Wie lässt sich eine soziale Mietenpolitik denn mit dem Klimaschutz | |
vereinbaren? | |
Um den CO2-Verbrauch zu senken, müssten viele Häuser saniert werden - die | |
Kosten dafür werden auf die Miete umgelegt. Wir dürfen nicht in eine | |
Situation kommen, bei der auf der einen Seite der Klimaschutz steht und das | |
Soziale hinten runterfällt. Langfristig wird Klimaschutz sozial sein, weil | |
die Energiepreise wohl weiter steigen und man mit mehr Dämmung auch weniger | |
Heizkosten hat. Das heißt aber auch, dass wir am Anfang die Investitionen | |
in die energetische Sanierung unterstützen müssen - mit Zuschüssen in | |
einzelnen Fällen, Zinsvergünstigungen oder einem Energieeffizienzfonds. Wir | |
sind im Moment dabei, das auszuarbeiten. | |
Wer soll das bezahlen? | |
Es ist nicht so, dass das Land Berlin völlig mittellos ist. Wir haben einen | |
Haushalt von 22 Milliarden Euro. Die Investitionsbank hat Geld, es gibt | |
auch noch die Kreditanstalt für Wiederaufbau. | |
Die öffentliche Hand in Berlin kauft jedes Jahr bei der Privatwirtschaft | |
für vier bis fünf Milliarden Euro ein und ist damit der größte Auftraggeber | |
in der Stadt. Das Abgeordnetenhaus hatte im Jahr 2008 konkrete Vorgaben | |
beschlossen, wie diese Marktmacht genutzt werden kann, um grüne Impulse | |
beim Einkauf zu setzen. Warum wurde das weitgehend ignoriert? | |
Also, das sehe ich nicht so, dass das weitgehend ignoriert wurde. | |
Das Abgeordnetenhaus wollte, dass bei jeder Ausschreibung ökologische | |
Kriterien als Zuschlagskriterien genannt werden und mit einer Gewichtung | |
von einem Drittel in die Entscheidung über die Auftragsvergabe einfließen. | |
Wir haben die Ausschreibungen ausgewertet: Das ist nie geschehen, außer | |
einmal beim Stromeinkauf. | |
Es gibt bereits heute Verordnungen, die ökologische Beschaffung zum | |
Beispiel im Baubereich regeln und es gibt Ausschreibungen, von denen ich | |
glaube, dass die Vorgabe nicht sinnvoll ist. Etwa wenn man ein Unternehmen | |
für den Wachschutz sucht - nach welchem Umweltkriterium sollte man da | |
entscheiden? Wir haben ja inzwischen auch ein Ausschreibungs- und | |
Vergabegesetz beschlossen, in der nun folgenden Verordnung werden präzise | |
und praxistaugliche Vorgaben stehen, die man dann auch umsetzen kann. | |
Heißt das, die Vorgaben des Abgeordnetenhauses war Ihnen zu schwammig, | |
deswegen haben Sie sie ignoriert - in der Hoffnung, dass es keiner merkt? | |
Also hier im Haus haben wir ohnehin kaum europaweite Ausschreibungen und | |
auch nicht solche, bei denen sich ökologische Zuschlagskriterien angeboten | |
hätten. Aber grundsätzlich gilt: Wenn das Abgeordnetenhaus eine | |
Aufforderung beschließt, ist die Regierung in der Regel gut beraten, sich | |
daran zu halten. Aber sie ist im Rahmen der exekutiven Eigenverantwortung | |
nicht dazu verpflichtet. Das ist der Unterschied zwischen einem Beschluss | |
und einem verbindlichen Gesetz. Das Problem wird jetzt über genau so ein | |
Gesetz und über rechtsverbindliche Verordnungen gelöst. | |
Kritiker sehen in den bürokratischen Vorgaben und in dem Mindestlohn von | |
7,50 Euro während der Ausführung der öffentlichen Aufträge ein Hemmnis für | |
die Wirtschaft. | |
Es ist ein wirtschaftliches Hemmnis, wenn Unternehmen von uns Aufträge | |
bekommen und ihren Beschäftigten so wenig Lohn zahlen, dass ihren Lohn beim | |
Jobcenter auf Hartz-IV-Höhe aufstocken müssen. Wir dürfen doch solche | |
Unternehmen nicht mit Aufträgen unterstützen und damit ordentlich zahlende | |
Unternehmen vom Markt zu verdrängen. Es ist ein Gesetz gegen | |
Schmutzkonkurrenz. Teile der Wirtschaft begrüßen das Gesetz auch, die | |
Handwerkskammer und der Bauindustrieverband zum Beispiel. | |
Jetzt ist noch ein Jahr bis zur Wahl: Wie viel Spaß macht Ihnen der Job | |
eigentlich noch? | |
Ach, das ist wohl wie bei der taz: Manchmal macht es richtig Spaß, und | |
manchmal kann man sich die Krätze ärgern. Und ich hätte noch ein paar Ideen | |
für die nächste Legislaturperiode. Aber mal sehen, wie das Wahlergebnis | |
aussieht. | |
Was mögen Sie denn besonders gerne an ihrem Job? | |
Wenn es gelingt, etwas über die Dauer durchzusetzen, wie den Mindestlohn | |
bei öffentlichen Aufträgen. Wenn man sieht, dass in Berlin Dinge anders | |
gemacht werden als in anderen Bundesländern. Dann hat man auch das Gefühl, | |
das macht Sinn. | |
Und wann ärgern Sie sich die Krätze? | |
Ich ärgere mich, wenn Dinge nicht vorangehen, wenn Dinge neu diskutiert | |
werden müssen, die schon mehrmals diskutiert worden sind. Oder wenn ich | |
durch einen taz-Bericht herausfinde, dass wir eine Zeit lang über ein | |
kleines Programm auch die Ansiedlung von Niedriglohnjobs bei Call-Centern | |
gefördert haben. Ich habe das umgehend geändert - aber das ärgert mich, | |
weil so etwas darf eigentlich nicht durchrutschen. | |
Gibt es eigentlich noch ein anderes Ressort, dass sie besonders interessant | |
finden? | |
Es gibt viele interessante Ressorts, unter anderem mein Gegenwärtiges. | |
3 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
Kristina Pezzei | |
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