# taz.de -- Der Traum von einer Kommune: Einmal Hippie und zurück | |
> Wir machten uns auf die Suche nach einer Kommune mit Matratzenlager – | |
> doch im Jahr 2010 ist der Charme der 68er Geschichte. | |
Bild: Von zwei jungen Frauen, die auszogen, um Hippies zu werden. | |
Eigentlich sind Kommunen doch eine feine Sache; man lebt nicht allein, | |
teilt sich Miete und die Arbeit im Haushalt und zum Feiern ist auch immer | |
jemand da. Raus aus unserer kleinen Studentenbude und rein ins bunte | |
Hippie-Leben. Gruppensex, Drogenexzesse und Anarchie; nackt durch die | |
Wohnung tanzen, die Haare bis zum Po und immer über alles reden. | |
Unser Bild von Kommunen ist durch Filme wie „Das wilde Leben“ über die | |
Kommune 1 in Berlin geprägt. Dabei ist die Idee des gemeinschaftlichen | |
Zusammenlebens außerhalb der Kleinfamilie viel älter, erzählte unser | |
Philosophie-Professor. Schon in Platons Akademie lebten Schüler und | |
Lehrende gemeinsam, genauso wie in den mittelalterlichen Gründungsphasen | |
der ersten Hochschulen. Aber wie sieht das Leben heute in einer Kommune | |
aus? Ist die Idee der alternativen Kommune zu einer spießigen | |
Wohngemeinschaft geworden? | |
In Nordhessen suchen wir die Antwort. Mitten in Kassel haben sich 29 | |
Menschen, zwischen vier und 62 Jahren, in der Villa Locomuna | |
niedergelassen. Locomuna? Wie „loco“, spanisch für verrückt? Diese Kommune | |
wollen wir sehen! In bunt gebatikter Harems-Hose mit dem tiefen Schritt | |
machen wir uns auf den Weg. Vielleicht kann man gleich schon einen Antrag | |
auf Mitgliedschaft ausfüllen - Hippies here we are. | |
Doch erst mal wird vor dem Bahnhofsgebäude mit dem Finger auf uns gezeigt | |
und wir werden spöttisch mit „Salem Aleikum“ begrüßt. Das geht ja gut lo… | |
Müssten die Kassler nicht an solch einen Anblick gewöhnt sein oder | |
verlassen die Kommunarden ihre Villa nicht? | |
Irritiert stehen wir vor der angegebenen Adresse. Die Villa versteckt sich | |
hinter einem modernen Neubau und von besetztem Häusercharme mit Graffiti an | |
den Wänden ist rein gar nichts zu sehen. Dagmar, die seit einigen Jahren in | |
der Kommune lebt, begrüßt uns. Sie trägt Jeans und einen grauen Pullover. | |
Rein optisch scheinen wir die einzigen Hippies hier zu sein. | |
Im Inneren des vermeintlichen Neubaus wird schnell klar, dass dies keiner | |
ist. Das Haus ist aus den 60er Jahren und wirkt nur durch die Dämmung der | |
Außenfassade wie neu. | |
Auf vier Stockwerke sind die Bewohner verteilt. In jeder Etage gibt es eine | |
Küche und ein Badezimmer. In der „Locomuna“ gibt es Grafikdesigner, | |
Flight-Case-Bauer, Dolmetscher und Yoga-Lehrer, die nicht nur in der | |
Kommune leben, sondern sich auch ihren Arbeitsplatz in der angrenzenden | |
Villa eingerichtet haben. Andere gehen ganz „spießig“ ins Büro - ein | |
normaler „Nine-to-Five-Job“. Denn was die Blumenkinder Ende der 60er Jahre | |
populär machten, kommt heute für Menschen aus den unterschiedlichsten | |
Gesellschaftsschichten in Frage. | |
Dagmar nimmt uns mit in den zweiten Stock und wir setzen uns in die | |
Gemeinschaftsküche. Hier riecht es wie im Bioladen. Dinkel oder Grünkern? | |
Wir wissen es nicht. Mitbewohner Ramon stößt zu uns, der mit seiner langen | |
Mähne und seiner Leinenhose schon eher unseren Erwartungen eines | |
Kommunen-Bewohners entspricht. | |
Wir fragen die beiden, wie sich eine Kommune von einer Wohngemeinschaft und | |
Mehr-Generationen-Häusern unterscheidet. Dagmar sagt, diese basierten meist | |
auf Zweck und Pragmatismus. Hier in der Locomuna teilen die Bewohner eine | |
ähnliche Vorstellung vom Leben: Nachhaltig soll es sein, in allen | |
Bereichen. | |
Uns fällt sofort die ökologische Nachhaltigkeit ein und wir fragen, ob sie | |
ihr Gemüse selbst pflanzen. Dagmar und Ramon verkneifen sich ein Lachen und | |
sagen, dass die „Locomuna“ eine Stadtkommune ist: „Viel Platz zum Anbauen | |
haben wir hier nicht!“ Viele Nahrungsmittel beziehen sie von der Kommune | |
Niederkaufungen, die im Umland von Kassel liegt. | |
Auch ökonomisch denken die Bewohner im Kollektiv. Bezahlt wird aus der | |
Gemeinschaftskasse, in die jeder seinen Teil einzahlt, um die | |
Grundversorgung zu finanzieren. Aber privates Eigentum hat nicht jeder. | |
Einige Kommunarden wirtschaften gemeinsam - alles kommt in einen Topf. Das | |
ist nichts für uns. Wir wollen über unser eigenes Geld verfügen. | |
Derzeit hätten die Kassler ohnehin nur noch ein Zimmer frei: 20 | |
Quadratmeter Privatsphäre mit Blick über die Dächer von Kassel, ein Bad für | |
sechs Leute, ohne Schlüssel, dafür mit Guckloch in der Tür. Einziehen | |
könnte keiner von uns sofort. Denn ob jemand in die Gemeinschaft passt, | |
wird beim dreimonatigen Probewohnen festgestellt. Aber wir sind uns jetzt | |
sicher, eine verrückte Studenten-WG ist die bessere Alternative. | |
War ja eigentlich klar, die 68er sind nun mal Geschichte und längst selbst | |
im Establishment angekommen. Business-Punk und Mode-Hippie - wie wir! | |
Ramon fand die Harems-Hosen übrigens gut. | |
4 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Sarika Dietermann | |
Sarah Nina Rademacher | |
## TAGS | |
Kommunen | |
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