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# taz.de -- Gastarbeiter in Schweden: Sklavenarbeit im Beerenwald
> In Schweden sind vor allem Gastarbeiter aus Asien für die Ernte
> zuständig. Sie leiden unter katastrophalen Arbeitsbedingungen.
> Schwedische Medien werfen Sklaverei vor.
Bild: Mühsame Arbeit ohne Garantielohn für die Gastarbeiter — Beerenpflück…
STOCKHOLM taz | Am Freitag machten sich die 170 Chinesen auf den langen
Marsch. 30 km von der lappländischen Einödsiedlung Långsjöby nach Storuman,
dem Sitz der Kommunalverwaltung. "Help!" und "SOS" stand auf einigen
selbstgemalten Schildern. Ursprünglich wollten sie nach Stockholm laufen,
erzählten sie einem Journalisten - hätten dann aber erfahren, dass es bis
zur schwedischen Hauptstadt fast 1.000 km weit wäre. In Storuman mit seinen
2.000 EinwohnerInnen brachte Sozialamtschefin Kerstin Asplund die
Protestierenden erst einmal provisorisch in einer Schule unter. Und sie
sagt: "Es ist kriminell, wie die Leute behandelt werden."
Alle Jahre wieder um diese Zeit füllen sich die schwedischen Zeitungen mit
Beerenpflücker-Geschichten. Aus Thailand, Vietnam oder China werden über
mehr oder weniger zwielichtige Agenturen mehrere tausend
SaisonarbeiterInnen in die nordschwedischen Wälder gelockt. Meterhohe
Heidelbeerbüsche, dicht bewachsen mit Beeren so groß wie Weintrauben seien
ihnen versprochen worden, erzählt ein 25-jähriger Chinese in gebrochenem
Englisch einem Fernsehreporter. Und als sie in Långsjöby ankamen, hätte
sich nicht nur das als Märchen erwiesen. Auch die tatsächliche Entlohnung
für die Arbeit habe nur ein Bruchteil des Versprochenen betragen.
Rückgrat der Beerenwirtschaft
Heidel- und Preiselbeerpflücken kann ein schöner Zeitvertreib sein. Muss
man damit Geld verdienen, ist es ein mühsames Geschäft. Früher war es ein
wichtiges Zusatzeinkommen für die EinwohnerInnen Nordschwedens. Seit langem
hat sich das professionelle Sammeln, das das Rückgrat der dortigen
Beerenwirtschaft ist, aber internationalisiert. Erst hatte man dazu
finnische Arbeitskräfte über die Grenze gelockt. Mit der Öffnung Osteuropas
kamen die "Gastarbeiter" erst aus Polen, Lettland und Litauen, dann aus
Russland und der Ukraine. Danach waren es vor allem ThailänderInnen, seit
2009 tauchen verstärkt VietnamesInnen und ChinesInnen in Lappland auf.
Um illegaler Einwanderung und der Ausbeutung der Arbeitskraft der
Beerenpflücker einen Riegel vorzuschieben und deren Zahl einigermaßen mit
dem vorhandenen Arbeitsangebot koordinieren zu können, regulierte Stockholm
ab 2007 diese Saisonarbeit mit speziellen "Gastarbeiter"-Regeln. Seither
darf allsommerlich nur noch eine über Zeitarbeitsfirmen angeworbene Quote
von 4.000 bis 6.000 Beerenpflückern ins Land.
Die Pflücker tragen die Ernterisiken
Für die Beerenaufkäufer ist das bequem. Wenn etwas schiefgeht, sind sie
nicht zuständig und die Vermittler sind verantwortlich. Letzten Sommer war
ganz viel schiefgegangen. Eine Frostperiode im Juni hatte die Beerenblüten
kalt erwischt und in weiten Teilen Nordschwedens blieben die Sträucher
leer. Die Verträge der Pflücker waren auf eine Leistung von täglich bis zu
90 Kilo berechnet, tatsächlich schafften sie aber meist nicht mehr als 20
Kilo. Damit ließen sich nicht einmal die Flugkosten und die Unterbringung
bezahlen. Der Lapplandaufenthalt wurde zum ruinösen Verlustgeschäft.
Mehrere hundert ThailänderInnen kampierten damals im Stadtpark der
nordschwedischen Stadt Luleå. Die Medien sprachen von "Sklaverei" und die
EinwohnerInnen spendeten Kleidung und Essen. Yvonne Stålnacke,
Bürgermeisterin von Luleå: "Für mich war das unerhört tragisch, als ich
alle diese Menschen traf, deren große Träume hier geplatzt sind."
Die öffentliche Empörung war so groß, dass ab diesem Jahr erstmals statt
der "Gastarbeiter"-Regeln richtige Tarifverträge gelten. Unabhängig von der
Sammelleistung sollen die BeerenpflückerInnen umgerechnet mindestens 1.650
Euro im Monat verdienen. Doch das scheint Theorie. Teile dieses Entgelts
zweigen die Vermittler gleich wieder für Flugreise, Unterkunft und
Verpflegung ab und offenbar sind interne Zusatzverträge üblich, in denen
die ArbeiterInnen auf den Garantielohn verzichten.
Man könne nur die schriftlichen Verträge, nicht die wirklichen
Arbeitsbedingungen überprüfen, sagt die schwedische Ausländerbehörde. Und
den Gewerkschaften sind die Hände gebunden: "Wir haben keine
Auskunftsrechte, weil das keine Gewerkschaftsmitglieder sind", sagt Håkan
Lövgren von der Gewerkschaftsdachorganisation LO. Dazu kämen
Verständigungsschwierigkeiten "und die bestehenden Regeln sind einfach zu
leicht zu umgehen".
Jagen aus Hunger
Die Sklavenarbeit in den schwedischen Wäldern geht also weiter. "Wir haben
Hunger", erzählt eine Gruppe VietnamesInnen, die Reporter der Zeitung
Aftonbladet entdeckten: Deshalb würden sie Vögel und kleine Waldtiere
jagen, um etwas zum Essen zu haben. Einige Pflücker hätten bei der
Pilzsuche schon giftige Exemplare erwischt und mussten ins Krankenhaus
gebracht werden.
9 Aug 2010
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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