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# taz.de -- Kleine Staatsschulden-Soziologie: "Schulden ohne Sühne?"
> Deutschland hat 1.800 Milliarden Euro Schulden. Keine Panik, sagen Kai
> Konrad und Holger Zschäpitz in ihrem Buch zur Haushaltslage. Nur wer
> übernimmt die Kosten?
Bild: Die Zuwachszahl spricht Bände — die Schuldenuhr des Bunds der Steuerza…
Bei den Partys der 40- bis 50-Jährigen gibt es ein neues Thema. Seit dem
Beinahebankrott Griechenlands macht man sich Sorgen über die öffentliche
Verschuldung. Wo soll das noch hinführen mit den rund 1.800 Milliarden
Euro, die Deutschland sich gepumpt hat? Bei Nachfrage entpuppt sich diese
Sorge schnell als sehr persönliche. Wenn der Laden zusammenbricht - sind
dann auch die 50.000 Euro weg, die aus Mutters Erbe in einem
Investmentfonds parken? Soll ich davon jetzt schnell eine Eigentumswohnung
kaufen?
Mit ihrem Buch "Schulden ohne Sühne?" knüpfen der Max-Planck-Forscher Kai
Konrad und der Welt-Redakteur Holger Zschäpitz an diese Stimmung an.
Verdienstvollerweise erklären sie, welchen Sinn öffentliche Schulden haben
und welche Gefahren möglicherweise von ihnen ausgehen.
Halbwegs entspannt
Eine der Fragen lautet: Sind Schulden grundsätzlich gefährlich? Nein, das
sind sie nicht. Es kommt immer auf ihre Größe an im Vergleich zur
Wirtschaftskraft und den Einnahmen des Staats. Auch die Höhe der Zinsen,
die der Staat den privaten Geldgebern entrichten muss, spielt eine Rolle.
Und da muss man sagen: Insgesamt ist die Lage in Deutschland noch halbwegs
entspannt - obwohl die öffentlichen Schulden infolge der Wiedervereinigung
und der Finanzkrise Ende dieses Jahres rund 1.800 Milliarden Euro
erreichen, fast 80 Prozent der gesamten Produktion eines Jahres. Und doch
gibt der Bundesfinanzminister dieses Jahr nur knapp 13 Prozent seines
Haushalts für den Schuldendienst aus.
Es geht also noch. Wann aber kippt der Haushalte um wie ein See, dem der
Sauerstoff fehlt? Was Anlass zu Sorgen gibt, ist beispielsweise die
Erwartung steigender Zinsen.
Heute liegen die Kreditzinsen, die die Finanzagentur des Bundes zahlen
muss, bei historisch niedrigen drei Prozent. Vor zehn Jahren dagegen wurden
fünf Prozent fällig. Ein vergleichbarer Zinssprung in den kommenden Jahren
würde die Schuldenlast schnell um einige Dutzende Milliarden erhöhen. Statt
gegenwärtig knapp 40 Milliarden Euro (Bundeshaushalt 2010) müsste der
Finanzminister dann bald 60 oder mehr Milliarden für Zinsen und Tilgung
aufwenden. Das wären dann schon 20 Prozent des Bundeshaushalts. Und unter
dem Strich stünden jährlich 20 Milliarden Euro weniger für Universitäten,
Kinderbetreuung und Investitionen zur Verfügung. Derartige Schuldenkosten
würden dem Gemeinwesen tatsächlich allmählich die Luft abschnüren.
In jedem Fall, so schildern die Verfasser nachvollziehbar, muss irgendwer
die Kosten der Schuldenpolitik tragen. Kostenlose Verschuldung gibt es
nicht. Das gilt auch für den Fall, dass die Schulden langfristig tragbar
bleiben und es nur darum geht, die Zinsen zu finanzieren. Diese werden die
Steuerzahler der Zukunft, unter anderem unsere Kinder, bezahlen.
Dass die nachfolgenden Generationen für unsere heutigen Schulden zahlen,
ist nach Ansicht von Konrad und Zschäpitz kein grundsätzliches Problem:
Schließlich hinterlassen wir unseren Kindern auch ein wunderbar ausgebautes
Land mit schnellen Zügen, tollen Autobahnen und öffentlicher Sicherheit.
Lebensqualität hat ihren Preis.
Was aber passiert, wenn, wie im Falle Griechenlands, die Schulden Überhand
nehmen und die privaten Geldgeber der Regierung deshalb keine neuen Kredite
mehr geben wollen? Dann tritt das ein, was man als Staatspleite mit
nachfolgender Umschuldung bezeichnet. Der bankrotte Staat muss irgendwie
einen Teil seiner Schulden loswerden und seine Einnahmen so verbessern,
dass er die Zinsen für die verbleibenden Altlasten tragen kann. Dabei geht
es um die bekannte Verteilungsfrage: Welche Gruppen der Bevölkerung sollen
besonders belastet werden, welche lässt die Regierung ungeschoren
davonkommen?
Um der Antwort näher zu kommen, entwickeln die Autoren eine Typologie, eine
kleine Staatsschulden-Soziologie. Wollte die Regierung eines überschuldeten
Landes etwa die lohnabhängigen Beschäftigten verschonen, müsste sie einen
Teil der Schulden annullieren. Dies würde die Kapitalbesitzer schädigen,
die zuvor Staatsanleihen gekauft haben. Sie bekämen für Staatspapiere im
Wert von 1.000 Euro beispielsweise nur noch 500 Euro zurück.
Oder die Regierung würde den Immobilienbesitzern und Unternehmern eine hohe
Sondersteuer auferlegen, um die Verschuldung abzutragen. Wollte die
Regierung hingegen die Beschäftigten besonders belasten, würde sie den Weg
der Inflation wählen. Die Zentralbank würde mehr Geld auf den Markt
bringen, so dass die Preise steigen. Damit verringerten sich die
Staatsschulden schnell. Weil die Löhne aber in der Regel langsamer
nachziehen, büßten die Beschäftigten Kaufkraft ein.
Bankrott ist billiger
Weil solche konfliktträchtigen Entscheidungen immer hässliche
Nebenwirkungen mit sich bringen, formulieren die Autoren ihre nicht
überraschenden Forderungen. Erstens: Nicht nur Deutschland, sondern auch
die anderen wichtigen Staaten müssten alles daran setzen, die Verschuldung
zu reduzieren. Und zweitens dürften die Staaten der Eurozone ein
überschuldetes Mitglied wie Griechenland nicht noch einmal mit riesigen
Summen, die sie sich selbst leihen müssten, vor der Pleite retten. Unter
bestimmten Bedingungen sei der Bankrott eines einzelnen Landes billiger als
die zunehmende Verschuldung aller anderen.
Ob das in der Praxis gut gehen würde, müssen Konrad und Zschäpitz zu ihrem
eigenen Glück allerdings nicht selbst ausprobieren. Sonst würden sie
möglicherweise den großen Weltfinanzcrash verursachen, den die Eurozone im
Falle Griechenlands gerade noch vermieden hat.
9 Aug 2010
## AUTOREN
Hannes Koch
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