Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grausam entstellte Leichen: Hat die Türkei C-Waffen eingesetzt?
> Der taz liegen Bilder von entstellten PKK-Kämpfern vor: Experten
> schließen eine Fälschung aus. Menschenrechtler werfen der Türkei vor,
> chemische Waffen eingesetzt zu haben.
Bild: Der türkische Ministerpräsident Erdogan und der Generalstabschef Ilker …
Die Fotos zeigen grauenhaft entstellte, schwer deformierte Leichen in
offenen gelben Plastiksäcken. Die Gliedmaßen sind zerfetzt, grobe Nähte
halten die Körper zusammen. Es sind Bilder, die man nicht in einer Zeitung
oder im Netz abgebildet sehen möchte. Und sie dokumentieren möglicherweise
ein Kriegsverbrechen der türkischen Armee.
Türkisch-kurdische Menschenrechtler hatten die 31 Bilder zugespielt
bekommen. Im März übergaben sie sie Teilnehmern einer Delegation aus
Türkei-Experten, Abgeordneten, Mitarbeitern der Vereinigung Internationale
Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und der taz.
Die Bilder zeigen vier von insgesamt acht toten PKK-Kämpferinnen und
Kämpfern im Alter zwischen 19 und 33 Jahren; zwei Frauen und sechs Männer.
Der Zustand der Leichen weckte bei den Kurden den Verdacht, dass die
türkische Armee chemische Kampfstoffe gegen sie eingesetzt haben könnte.
Wäre das wahr, hätte die Türkei gegen die von ihr ratifizierte
UN-Chemiewaffenkonvention verstoßen, die den Einsatz solcher Waffen
verbietet.
Die PKK-Kämpfer sollen im September 2009 nahe der Stadt Cukurca ums Leben
gekommen sein. Das Gebiet ist eine Hochburg der kurdischen Guerilla. Nach
ihren Angaben hat diese derzeit 7.000 bewaffnete Kämpferinnen und Kämpfer,
immer wieder stoßen PKK-Einheiten aus Nordirak in diese Region vor.
Am 8. September meldete der türkische Generalstab, dass in Cukurca ein
türkischer Soldat von der PKK getötet worden war. Die Militärführung
schickte Hubschrauber, Einheiten der Armee rückten aus, um die Rebellen zu
jagen. Solche Vorfälle sind keine Seltenheit in der Gegend, die seit dem
Ausbruch der Kämpfe Mitte der Achtzigerjahre nie richtig zur Ruhe gekommen
ist.
Den Menschenrechtlern zufolge hat ein Bewohner der Region den Zusammenstoß
beobachtet. Die acht Kämpfer hätten sich in einer Höhle vor der
herannahenden Armee versteckt. Die habe sie dort aufgespürt und ein
größeres Geschoss in die Höhle gefeuert. Nach einer Wartezeit hätten
Soldaten die leblosen Körper aus der Höhle geholt, auf sie geschossen und
einige der Körper mit Panzerfahrzeugen überrollt.
In den letzten Wochen hat das rechtsmedizinische Institut der Uniklinik
Hamburg-Eppendorf im Auftrag der taz die Bilder untersucht. Zwar besitzen
solche Fotos nur einen sehr begrenzten Beweiswert. Doch die Ergebnisse des
Eppendorfer Forensikers Jan Sperhake stützen die kurdische Darstellung:
Eine der Leichen wies "hochgradige Zerstörungen" auf, wie sie an "den
Zustand nach Bahnüberfahrungen erinnern", schreibt Sperhake. Teils quellen
Leber, Darmschlingen und andere Organe aus den Körpern, die Muskulatur
liege teils großflächig frei, Gliedmaßen seien enorm zerstört. Neben
vermutlichen Stich- und Schussverletzungen weisen die Toten auch
Verletzungen auf, die auf eine Explosion zurückgehen könnten.
Vor allem aber zeigen zwei der abgebildeten Leichen eigentümliche
großflächige Hautdefekte. So etwas kann theoretisch auch durch Hitze
entstehen. Doch dies schließt Sperhake weitgehend aus: Kopfhaare, Lider,
Brauen und Bart wiesen, soweit beurteilbar, keine Hitzeeinwirkungen auf.
Sein Fazit: "Angesichts des Zustands der Leichen muss deshalb in Betracht
gezogen werden, dass chemische Substanzen eingesetzt worden sein könnten."
Vorwurf zurückgewiesen
Um eine bloße Fälschung handelt es sich offenbar nicht. "Es gibt keinerlei
Hinweise auf eine Manipulation", sagt der Bildfälschungsexperte Hans
Baumann, der die Aufnahmen ebenfalls begutachtete. "Die Bilder sind in sich
vollständig konsistent. In dieser Form ist das praktisch nicht fälschbar",
sagt Baumann, der das Bildbearbeitungs-Fachmagazin Docma herausgibt.
Die türkische Regierung weist den Verdacht des Chemiewaffeneinsatzes
zurück. Bei der PKK handele es sich um eine Terrororganisation, weshalb die
Türkei ihren "multidimensionalen Kampf gegen sie entschieden fortsetzt",
erklärte das Außenministerium auf eine Anfrage der taz. Doch die Türkei sei
Unterzeichnerstaat der Chemiewaffenkonvention, weshalb sich im Inventar
ihrer Streitkräfte keine biologischen oder chemischen Waffen befänden. Die
Leichen seien nach einer Obduktion freigegeben und an Familien, Freunde
oder "Sympathisanten der Terrororganisation" übergeben worden. Warum und
mit welchem Ergebnis sie obduziert wurden und wie sie zu Tode kamen, dazu
verweigerte die Türkei Angaben.
Immer wieder erheben kurdische Organisationen den Vorwurf, die türkische
Armee würde nicht nur die Leichen toter Guerillas schänden, sondern auch
chemische Waffen einsetzen - so, wie es Saddam Hussein 1988 beim Massaker
von Halabdscha im Nordirak getan hat. Damals starben bis zu 5.000 Kurdinnen
und Kurden qualvoll, mutmaßlich an einer Mischung aus Senfgas und Sarin.
Doch dass auch die Türkei Chemiewaffen einsetzt, konnte nie bewiesen
werden. Eine unabhängige Untersuchung ließ die Türkei aber auch nie zu.
Während die von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Sommer vorigen
Jahres großspurig angekündigte Initiative zur friedlichen Lösung des
Konflikts ohne vorzeigbare Resultate versandete, wurde im Dezember 2009 die
prokurdische DTP vom Verfassungsgericht verboten. Weit über tausend
Anhänger, Kommunalpolitiker und Funktionäre der Partei, die viele als
politischen Arm der PKK betrachten und die im Südosten die weitaus meisten
Bürgermeisterämter innehatte, wurden verhaftet. Viele sitzen bis heute im
Gefängnis. Die PKK erklärte daraufhin, sich "wieder zum Krieg gezwungen" zu
sehen, und kündigte ihren einseitig erklärten Waffenstillstand wieder auf.
Seitdem ist der Konflikt eskaliert, allein im vergangenen Monat starben
dabei auf beiden Seiten über 50 Menschen.
Doch militärisch kann die PKK den Türken nicht mehr als Nadelstiche
versetzen - so wie am Dienstag, als mutmaßliche PKK-Kämpfer einen
Bombenanschlag auf eine Ölpipeline in der südöstlichen Provinz Sirnak
verübten. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben, der Betrieb der Pipeline,
über die ein Viertel der irakischen Ölexporte transportiert wurden, wurde
eingestellt. Tags darauf meldeten mehrere linke und linksliberale türkische
Tageszeitungen übereinstimmend, dass die PKK am Donnerstag eine neue
Waffenruhe verkünden werde.
Neue Bilder aufgetaucht
So oder so: Siege im Kampf um die öffentliche Meinung sind für die Rebellen
immens wichtig. "Die propagandistische Behauptung, dass der Gegner B- oder
C-Waffen einsetzt, gibt es in fast jedem Krieg", sagt Jan van Aken, einst
UN-Biowaffeninspekteur und nun Bundestagsabgeordneter der Linken. "Manchmal
ist das aber auch wahr. Das nachzuweisen ist jedoch extrem schwierig."
Van Aken war im März bei der Delegation dabei, die zur Beobachtung des
kurdischen Neujahrsfests Newroz in die Türkei gereist war. Er beschäftigt
sich seit vielen Jahren mit dem Einsatz geächteter Kampfstoffe. Im Jahr
2003 deckte der frühere Greenpeace-Aktivist ein geheimes
Chemiewaffenprogramm der USA auf.
Im Jahr darauf verfasste er mit weiteren Abrüstungsexperten einen Bericht
zur Frage der Nutzung von B- und C-Waffen durch die Türkei. Dabei stieß er
auf eine Direktive des damaligen türkischen Armeechefs Necdet Öztorun.
An zwei Stellen steht dort, dass "giftiges Gas" und "giftige Insekten"
eingesetzt werden können, um Stellungen der PKK anzugreifen. Die
Authentizität des Dokuments ist nicht bewiesen. Doch Öztorun, der später an
eine Universität gewechselt ist, hat nie auf Anfragen hierzu geantwortet,
ebenso wenig, wie die Türkei die Existenz dieser Direktive je offiziell
dementiert hat.
Für van Aken ergeben die jetzt aufgetauchten Fotos einen "starken
Anfangsverdacht". Dass der rechtsmedizinische Befund den Augenzeugenbericht
stütze, gebe diesem eine "gewisse Glaubwürdigkeit", sagt er. Zusammen mit
den übrigen Indizien sei dies "mehr, als ich bisher in allen anderen
vergleichbaren Fällen gesehen habe".
Der Linken-Bundestagsabgeordnete und Fraktionskollege van Akens, Andrej
Hunko, will, dass das Auswärtige Amt die Türkei wegen des möglichen
Massakers von Cukurca im Exekutivrat der Organisation für das Verbot
chemischer Waffen (OPCW) in Den Haag anzeigt. Die OPCW überwacht für die
Vereinten Nationen die Einhaltung der Chemiewaffenkonvention. Die Leitung
der OPCW übernahm in diesen Tagen ein Türke: Der Diplomat Ahmet Üzümcü, der
die Türkei zuvor bei der UN in Genf vertreten hatte.
"Wir haben mit den zuständigen Beamten im Auswärtigen Amt gesprochen,
nachdem wir die Fotos bekommen haben", sagt Hunko. Doch dort habe man ihm
gesagt, dass man es für "sehr unwahrscheinlich" halte, dass die Türkei
chemische Kampfstoffe einsetzt. Das Ministerium streitet sogar ab, dass das
Gespräch mit Hunko überhaupt stattgefunden hat.
"Von einer solchen Initiative des Bundestagsabgeordneten Hunko ist uns
nichts bekannt", sagt ein Sprecher des Amtes. Doch sei es ihm unbenommen,
die OPCW direkt auf den möglichen Vertragsbruch der Türkei aufmerksam zu
machen. "Solange das nicht über den Exekutivrat läuft, kann er das als
Privatperson auch ohne uns tun."
Kurz bevor Außenminister Guido Westerwelle (FDP) Ende Juli zu seiner
Türkeireise aufbrach, bestätigte ein Sprecher seines Ministeriums der taz,
dass man diese Vorwürfe wahrgenommen habe und der Minister "natürlich" auch
den Kurdenkonflikt ansprechen werde. Zu der Frage, ob und in welcher Weise
dies geschehen ist, schweigt das Ministerium bis heute.
Dafür tauchten noch während Westerwelles Aufenthalt in der Türkei neue
Fotos auf. Erneut wurden kurdischen Organisationen eine Reihe von Bildern
zugespielt, die auch der taz vorliegen. Sie zeigen ebenfalls mehrere
furchtbar entstellte Leichen, diesmal auf stählernen Obduktionstischen. Es
soll sich um sechs weitere PKKler handeln, die in den letzten Wochen bei
den Kämpfen in der Region Sirnak getötet wurden. Auch diese Bilder werden
zur Begutachtung der Hamburger Uniklinik übergeben.
12 Aug 2010
## AUTOREN
Christian Jakob
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.