| # taz.de -- Debatte Lebensentwürfe: Schluss mit den Vergleichen! | |
| > Karriere, Mutterschaft, Singledasein: Noch nie hatten Frauen so viele | |
| > Optionen wie heute. Das erzeugt neuen Leistungsdruck. Der muss weg. | |
| Bild: Selbstverantwortung ist gut - aber sie erzeugt auch neuen Leistungsdruck. | |
| In seinem Bestseller "The Paradox of Choice" weist US-Autor Barry Schwartz | |
| daraufhin, dass eine Vielfalt an Wahlmöglichkeiten bei Bildung, Konsum und | |
| Partnerschaft die Menschen nicht glücklicher machen muss, im Gegenteil: | |
| Damit steige die Gefahr, sich erst recht unzulänglich und unzufrieden zu | |
| fühlen. Übertragen auf Frauen könnte man sagen: Besonders sie können heute | |
| unter einer Vielfalt an Lebensentwürfen wählen. Führt das zu neuem Stress? | |
| Das ist die spannende Frage. | |
| Auf den ersten Blick haben Frauen heute viele Optionen: Partnerschaft oder | |
| auch nicht, Kinder oder keine, Ehe oder alleinerziehend, Karriere oder doch | |
| nur Teilzeit, Scheidung oder sich gegenseitig aushalten. Das erzeugt | |
| durchaus Druck. Ein Artikel in der taz über alleinerziehende Frauen, die | |
| sich über ihre Exmänner beklagen und über ihre berufliche Misere, bekam | |
| mehr als 200 Leserkommentare. ([1]["Die verlassenen Macchiato-Mütter"]). | |
| Eine kritische Erwiderung, laut der die Frauen sich zu stark wirtschaftlich | |
| von den Männern abhängig gemacht haben und jetzt nicht so viel jammern | |
| sollen, erzeugte genauso heftige Resonanz ([2]["Selbstmitleid im | |
| Szenecafé"]). In der Frage, inwieweit Frauen heute noch Opfer sind und | |
| nicht selbstbestimmte Täterinnen, steckt viel politische Energie. | |
| Neuer ökonomischer Druck | |
| Der Druck entsteht auch deshalb, weil sich Widersprüche auftun zwischen | |
| neuen juristischen Entwicklungen und alten gesellschaftlichen Normen. So | |
| hat beispielsweise das neue Unterhaltsrecht die Versorgungspflicht der | |
| Männer drastisch eingeschränkt, jeder der Eheleute ist nun nach einer | |
| Scheidung wirtschaftlich für sich selbst verantwortlich. Doch diese | |
| Aufteilung entspricht nicht den noch immer herrschenden Normen für die | |
| Familienarbeit. | |
| In der Familie gilt nach wie vor, dass eine "gute" Mutter sich emotional | |
| mehr für das alltägliche Wohlergehen des Kindes verantwortlich fühlen muss | |
| als der Vater. Dass sie etwa zu Hause bleibt, wenn das Kleine krank ist. | |
| Das tun die Frauen auch jetzt in den meisten Fällen immer noch - aber eben | |
| ohne die Sicherheiten des alten Eherechts. Zu heiraten und Mutter zu werden | |
| bedeuten heute ein höheres Lebensrisiko angesichts einer möglichen | |
| Scheidung. | |
| Geschiedene Frauen und erst recht die wachsende Zahl jener, die nie | |
| heiraten, sind ökonomisch auf sich gestellt. Sie müssen arbeiten bis zur | |
| Rente, bald bis 67. Noch nie in der jüngeren deutschen Geschichte hat es | |
| einen solchen Erwerbsdruck auf die Frauen gegeben, von unmittelbaren | |
| Nachkriegszeiten und den Verhältnissen in der DDR mal abgesehen. Doch die | |
| Frauen sind in ihrer Identitätsplanung oft schlecht aufs Geldverdienen | |
| vorbereitet; allzu lange gehörte es nicht zum weiblichen | |
| Selbstverwirklichungsprogramm. | |
| Auch aus diesem ökonomischen Druck resultiert die Erschöpfung der Frauen, | |
| das Sich-Beäugen, der Neid zwischen Verheirateten, Geschiedenen, | |
| Alleinerziehenden, mit und ohne gut verdienenden Mann oder mit und ohne | |
| Job: Hat sie es sich nur bequem gemacht in der Ehe, oder fand sie | |
| tatsächlich keine Stelle? Macht sie ihre Arbeit wirklich gern, oder | |
| kompensiert sie mit ihrer Karriere nur ihr Singledasein? Mein Gott, die | |
| könnte doch arbeiten, aber sie will doch gar nicht runter von Hartz IV! | |
| Zu viel Zufall in der Liebe | |
| Die Vielzahl an Lebensentwürfen schafft eine Vielfalt an gegenseitigen | |
| Verdächtigungen. Die Entwicklung ist dabei immer zweischneidig. Den Frauen | |
| mehr "Schuld" an ihrer Biografie zuzuschreiben, bedeutet auch, ihnen nicht | |
| mehr die Opferrolle, sondern mehr Selbstverantwortung zuzugestehen. Das ist | |
| durchaus ein Fortschritt. | |
| Traditionell wurden für die weibliche Biografie nämlich eher die Kategorien | |
| von Zufall und Schicksal bemüht. In Literatur und Filmen ist es für Frauen | |
| oft das biografisch Wichtigste, den "Richtigen" zu finden, und das hängt | |
| vom Schicksal, vom Zufall ab. Das Genre der Liebesgeschichten lebt davon. | |
| Die berechnende, die kontrollierende Frau ist die Böse, während die | |
| "Unschuldige" am Ende den Prinzen kriegt. Auch bekommen meist nur die in | |
| den Augen der Männer körperlich attraktiven Frauen die begehrten Partner. | |
| Die Physis ist aber durch Gene und Alterung beeinflusst, weniger durch | |
| eigene Anstrengung. Die Beziehungschancen der Frauen so stark mit | |
| Gegebenheiten zu verknüpfen, die subjektiv kaum veränderbar sind, | |
| untergräbt das Vertrauen in die Selbstwirksamkeit. | |
| Drei Leben in einem | |
| Den Frauen heute mehr Gestaltungsmacht zuzuschreiben, kann befreien. | |
| Datingagenturen im Internet haben auch deswegen so viel Zulauf, weil sie | |
| den Frauen suggerieren, sie könnten im Netz endlos, problemlos auf | |
| Männerjagd gehen. Nur leider hält das Netz genauso viel Kränkungen wie | |
| Freiheiten bereit. | |
| Selbstverantwortung ist gut - aber sie erzeugt auch neuen Leistungsdruck. | |
| Jetzt, wo doch angeblich so viel möglich ist für die Frauen. Eine Vielfalt | |
| an Lebensentwürfen, das kann auch bedeuten, dass nur die als Gewinnerin | |
| gilt, die möglichst viel Erfolgsmerkmale anhäuft. Eine Arbeitsministerin | |
| von der Leyen, die über eine Superkarriere, einen Mann, sieben Kinder und | |
| eine schlanke Figur verfügt, verkörpert so eine Art 3-in-1-Leben. Als | |
| erreichbares Rollenmodell taugt sie ebenso wenig wie die Physis von | |
| Angelina Jolie als Diätziel für normale Geschlechtsgenossinnen. | |
| Statt die tollen weiblichen Optionen zu besingen oder das vermeintliche | |
| Opferdasein der Frauen zu beklagen, ist also ein radikaler Akt vorzunehmen: | |
| Weg mit den Biografie-Vergleich, dem Dauertribunal, das sich Frauen antun! | |
| Alleinerziehende Mütter, die einen schlecht bezahlten Job durchhalten, sind | |
| zu bewundern. Ehefrauen, die ihren beruflichen Anschluss aufgeben und sich | |
| um schwierige Kinder kümmern, bewegen sich langfristig auf hoher Fallhöhe. | |
| Karrierefrauen ohne Familie müssen oft viel Energie aufwenden für das | |
| Schaffen von privater Nähe, auch dies kann eine Doppelbelastung sein. | |
| Lebensleistungen sind komplex und oft von außen gar nicht sichtbar. Die | |
| Biografie-Konkurrenz abzuschaffen, bedeutet emotionale Fürsorge. Für sich | |
| selbst. So viel Freiheit muss sein. | |
| 15 Aug 2010 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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