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# taz.de -- Prozess gegen Ex-No-Angels-Sängerin: Unter die Gürtellinie
> Die Ex-No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa soll einen Mann mit HIV
> angesteckt haben. Am Montag hat ihr Prozess begonnen. Was der Fall über
> den Umgang mit dem Virus sagt.
Bild: Nadja Benaissa: Dass vor einem Prozess die Unschuldsvermutung gilt, ist i…
Nadja Benaissa ist HIV-positiv. Der Staatsanwaltschaft Darmstadt ist es
geschuldet, dass ganz Deutschland das weiß. Einer ihrer Sprecher ließ
verlauten, dass die ehemalige Sängerin der Popgruppe No Angels
ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt haben soll, ohne den Liebhabern
ihre Infektion mitzuteilen. Einen soll sie angesteckt haben. Im April 2009
wurde die Sängerin deswegen kurz vor einem Auftritt verhaftet und saß zehn
Tage in Untersuchungshaft.
Am 16. August beginnt nun der Prozess gegen die 28 Jahre alte gebürtige
Frankfurterin vor dem Amtsgericht Darmstadt. Egal wie er verläuft, er wird
wie eine Schablone sein, in die der verkorkste Umgang, der vielfach mit HIV
und Aids gepflegt wird, eingeritzt ist.
Die Infektionen
Noch immer nimmt die Zahl der Menschen, bei denen eine HIV-Infektion
diagnostiziert wird, zu. Nach neuesten Zahlen des Robert-Koch-Instituts gab
es 2009 insgesamt 2.856 Erstdiagnosen. Ein Jahr zuvor waren es 2.843.
Ungefähr 20 Prozent aller Infizierten sind Frauen.
Männer, die Sex mit Männern haben, sind mit 67 Prozent die größte
Risikogruppe. Bei ihnen stieg die Zahl der Neuinfektionen im Vergleich zum
Vorjahr um 3,3 Prozent. Hingegen ging sie bei Drogenkonsumenten, die
Spritzen benutzen, um 20 Prozent zurück. Rückläufig sind die Neudiagnosen
auch bei Migranten aus sogenannten Hochrisikoländern in Osteuropa und
Afrika - mit 6,3 Prozent.
Was aber oft ignoriert wird: Heterosexuelle sind mit 17 Prozent die
zweitgrößte Risikogruppe. Dort haben die Neuinfektionen 2009 ebenfalls
zugenommen, um 3,2 Prozent. Es stimmt also nicht, dass HIV und Aids ein
Problem der anderen ist - der Schwulen, Afrikaner, Prostituierten und
Fixer. Der Fall Nadja Benaissa spielt im nicht anderen, im heterosexuellen
Milieu.
Safer Sex
Da die mögliche HIV-Übertragung beim Geschlechtsverkehr geschehen sein
soll, wird Safer Sex als Thema in dem Prozess gegen Benaissa nicht
ausgeklammert werden. Haben sie? Haben sie nicht? Infektionen sind
allerdings auch möglich, wenn ein Kondom reißt.
Die antiviralen Medikamente bei HIV-Infektionen sind mittlerweile so gut,
dass Betroffene ein normales Leben führen und eine normale Lebenserwartung
haben können - wenngleich die Medikamente starke Nebenwirkungen haben.
Zudem ist eine infizierte Person, die so gut medikamentös eingestellt ist,
dass die Viruslast mindestens ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze
liegt und sie keine anderen sexuell übertragbaren Krankheiten hat,
eigentlich nicht infektiös, sagt Marianne Rademacher, Ärztin und Referentin
der Deutschen Aidshilfe.
Ob sich dies auf sorgloseren Umgang beim Sex auswirkt, ist offen. Aber will
man das im Prozess tatsächlich alles abfragen? War Benaissa medikamentös
gut eingestellt? War der Umgang mit der HIV-Infektion beim Sex ein
sorgloser? Und wenn ja, wer war sorglos? Gibt es eine Rangordnung der
Verantwortung?
Die Übertragungswege
HIV gehört zu den schwer übertragbaren Krankheitserregern. Das Virus ist
außerhalb des menschlichen Körpers unter Alltagsbedingungen nicht
lebensfähig. Medizinisch belegt ist, dass Sperma und Blut stark viral
belastet sind, stärker als Scheidensekret und Muttermilch. Übertragen
werden kann das Virus nur, wenn es in ausreichender Menge direkt in die
Blutbahn oder auf die Schleimhäute gelangt - etwa wenn eine Frau ihre
Menstruation hat und der Mann kleine Hautrisse am Penis oder im Anus.
Während der Periode ist das Infektionsrisiko für die Frau wie für den Mann
erhöht. Es gibt jedoch Hinweise, dass HIV leichter vom Mann auf die Frau
übertragen wird als umgekehrt. Natürlich kommt es auch noch auf die
sexuellen Praktiken an.
Nadja Benaissas intimes Leben wird im Prozess wohl gescannt werden. Ihre
eigene Infektion - seit wann? Wie erworben? Seit wann weiß sie es? Ihr
Leben wird zur Sprache kommen: dass sie als Teenager auf Trebe war, dass
sie cracksüchtig war, dass sie mit 17 Jahren eine Tochter zu Welt brachte.
Wie wird vermieden, dass daraus subjektive Schlüsse gezogen werden? Wie
verhandelt man subjektive Fantasien auf neutralem Terrain?
Die Nachweisbarkeit
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt klagt Nadja Benaissa wegen gefährlicher
Körperverletzung an, weil sie einen Liebhaber mit HIV infiziert haben soll.
Der Nachweis, wer wen infiziert hat, ist jedoch nicht so einfach. Zum einen
mutiert das Virus im Körper. Bis zu vier Monate nach der Infektion müsste
der Virenstamm analysiert sein, sagt Ärztin Rademacher. Und Ulrich Markus
vom Robert-Koch-Institut ergänzt: Aber selbst wenn zwei Infizierte
denselben Virenstamm haben, könne man nicht sicher sein, wer wen angesteckt
habe. Zudem dürfen weder die eine noch die andere Person in der
Zwischenzeit mit einem Dritten Kontakt gehabt haben. Sonst könnte als
Überträger auch noch der Dritte fungieren.
Sollte dies alles zur Sprache kommen, dann wird das Sexualleben von
Benaissa und dem klagenden Exliebhaber minutiös durchleuchtet.
Tabu HIV
Nadja Benaissa hat ihren Sexualpartnern verschwiegen, dass sie HIV-positiv
ist. Schon das ist laut Gesetz ein Vergehen: versuchte gefährliche
Körperverletzung. Kommt es zu einer Ansteckung, ist es gefährliche
Körperverletzung. Mögliche Höchststrafe: zehn Jahre Gefängnis.
Warum aber verschweigt jemand eine HIV-Infektion? Und hat er oder sie dafür
nicht gute Gründe, die viel über die Gesellschaft sagen? Denn deren Umgang
mit HIV und Aids ist kein guter. Als "Schwulenseuche" wurde und wird die
Infektion bis heute begriffen. Aids und HIV hängt der Nimbus sexueller
Abweichung an. Vorschläge von Zwangstests und separater Internierung
ähnlich den Aussätzigen im Mittelalter wurden von Politikern immer wieder
einmal gefordert. Dass die Krankheit sich quer durch die Gesellschaft
zieht, dass Familienväter positiv sind, genauso wie Mütter, wird nicht
gesehen. Dabei ist es medizinisch mittlerweile möglich, als HIV-Positive
gesunde Kinder zur Welt zu bringen.
Wer HIV-positiv ist, wird vermeiden, dass seine Infizierung öffentlich
wird. Denn HIV gilt als schuldhaft erworbene Krankheit. Die schiefen
Blicke, die gefürchteten Nachteile im Beruf, die Angst vor sozialer
Ausgrenzung sind zu große Hürden. Nadja Benaissa wurde von der
Staatsanwaltschaft geoutet. Gegen ihren Willen.
Die Vorverurteilung
Erstmals wird jetzt eine prominente Frau angeklagt, einen Mann mit HIV
angesteckt zu haben. Da es sich um eine Person des öffentlichen Lebens
handelt, wird groß darüber berichtet. Dass vor einem Urteil die
Unschuldsvermutung gilt, spielt kaum eine Rolle. Früher wurde man nach der
Verurteilung zur Strafe an den Pranger gestellt. Heute geschieht dies durch
die Berichterstattung schon vorher. Die mediale Öffentlichkeit wird zum
modernen Pranger.
16 Aug 2010
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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