# taz.de -- Salzburger Festspiele: Distanz zum Tragischen | |
> Der 90. Festspielsommer in Salzburg: Die wichtigen Schauspielpremieren | |
> sind über die Bühne gegangen - mit mehr oder weniger Fortune. | |
Bild: Sunnyi Melles als "Phädra": zur Schau gestellte Virtuosität. | |
Zieht man ein Fazit der drei aktuellen Hauptproduktionen im Schauspiel, | |
dann muss man leider feststellen, dass die eher den Thesen des | |
Regietheaterverächters Daniel Kehlmann entgegenkommen, als ihnen bei der | |
Stückauswahl oder der Ästhetik etwas Ambitioniertes entgegenzusetzen. Dass | |
bei den vier Projekten des "Young Directors Project" das Risiko zu | |
scheitern hoch ist, gehört zur Natur dieses Nachwuchswettbewerbs. Ein | |
besonderer Reiz lag diesmal darin, dass die junge, aus der Off-Szene | |
kommende Regisseurin Angela Richter die Chance hatte, einen Gegenentwurf zu | |
Peter Steins "Ödipus auf Kolonos" zur Diskussion zu stellen, mit dem der | |
Altmeister die Salzburger Festspiele eröffnet hatte. Bei ihrer Inszenierung | |
der deutschen Erstaufführung von Jon Fosses "Tod in Theben", in dem der | |
norwegische Dramatiker die drei Ödipus-Tragödien von Sophokles auf ihren | |
Kern eingedampft hat, bildet dieses Stück, das vom Tod des Ödipus | |
berichtet, den Mittelteil. | |
Als Angela Richter diese Planungspointe des Festspielprogramms mit dem | |
Kampf von David - damit meinte sie sich selbst - gegen Goliath - damit | |
meinte sie Stein - verglich, kokettierte sie wohl noch mit dem unerwarteten | |
Ausgang der biblischen Geschichte. Im wirklichen Festivalleben aber weicht | |
sie dem direkten Vergleich aus. Sie dreht ihrem Ödipus nämlich im wahrsten | |
Sinne des Wortes einfach das Licht ab. Diese Dramaturgen-Idee, den | |
Zuschauern, gleich dem Ödipus, das Augenlicht zu nehmen, funktioniert nur | |
kurz. Dann wird sie zur Hörspielgeduldsprobe. Dabei wird durchweg zu | |
schlecht gesprochen, als dass man sich die Szene vorstellen könnte. | |
Ansonsten löst die Bühne von Katrin Brack mit ihren über 700 von der Decke | |
hängenden Glühbirnen, nicht nur den Raum, sondern auch gleich noch das | |
Theater auf. Das Potenzial des Fosse-Textes, assoziative Räume hin in die | |
Gegenwart zu öffnen, bleibt so völlig ungenutzt. Stattdessen verheddert | |
sich die Inszenierung hoffnungslos in ihrer bunten | |
Lichterketteninstallation. | |
Bei Nichtgefallen gibts das Geld zurück | |
Bei den Folgevorstellungen gab es obendrein ziemlichen Wirbel, weil Richter | |
nicht mehr den Text spielen ließ, sondern teilweise in Abweichung vom Text | |
zum Improvisieren überging und das mit einem "Geld zurück"-Angebot an die | |
Zuschauer verband. Wie aus den Reaktionen darauf zu vernehmen war, hat das | |
den Abend nicht gerettet. So oder so: Die eigentliche deutschsprachige | |
Erstaufführung von Fosses Stück steht damit im Grunde noch aus. | |
Dann doch lieber "richtiges" Schauspielertheater. Mit Racines "Phädra" hat | |
Burgtheaterchef Matthias Hartmann einen im doppelten Sinne todsicheren, | |
aber nicht totgespielten Klassiker inszeniert. Er hat sich dabei auf das | |
gesprochene Wort und das Charisma seiner Darsteller verlassen, also | |
virtuoses Startheater zelebriert, ja entfesselt. Das trifft einerseits zwar | |
den Geschmack eines Teils des Publikums, ist aber andererseits nicht ohne | |
Probleme für das Stück. So ist es zwar überwältigend, wie sich Sunnyi | |
Melles in die von der Liebesgöttin gepeinigte Phädra hineinversetzt, mit | |
der verbotenen Leidenschaft zu ihrem Stiefsohn Hippolytos kämpft, wie sie | |
diese Liebe gleichsam von innen lodern lassen und von außen bestaunen kann. | |
So viel durchscheinende Zerbrechlichkeit, ja Hysterie ist selten auf der | |
Bühne zu erleben. Doch der Regisseur lässt sie nicht nur gewähren, sondern | |
treibt sie an, ja regelrecht aus dem Stück heraus. | |
Ziemlich bald bewundert man so vor allem, was die Melles wie macht. Und | |
gerät so in eine ungewollte Distanz zum Drama der verbotenen Gefühle, um | |
das es ja eigentlich geht. Wie weit diese Phädra über dem Stück schwebt, | |
tobt, schreit und leidet, wird deutlich, wenn Paulus Manker als ihr tot | |
geglaubter Ehemann Theseus auftaucht und mit knappen Gesten die Sprache zu | |
seiner Waffe macht. Wenn er wütet gegen den zu Unrecht beschuldigten Sohn | |
und verzweifelt, als die Götter seinen Fluch erhören, bevor er ihn | |
zurücknehmen kann. Oder wenn Philipp Hauß seinen so wunderbar verstörten, | |
in Liebe zu Arikia (Sylvie Roher) erwachenden Hippolytos dem Begehren der | |
Stiefmutter entzieht. Aber auch, wenn Hans-Michael Rehberg als Erzieher des | |
Hippolytos die Gräuel von dessen Ende herbeiraunt. | |
Johannes Schütz schlichter Bühnenrahmen mit der simplen Drehwand zwischen | |
Schwarz und Weiß und vor Meeresrauschen ist ein Geniestreich. Hier macht | |
Hartmann aus Racines Tragödie eine echte Wortchoreografie, ein | |
ausschweifendes Mimentheater, das einen eigenen Sog entfaltet. Die | |
verbotene Leidenschaft der Königin zu ihrem Sohn, als menschliches Fazit | |
einer weitreichend göttlichen Verwicklung ihrer Vorgeschichte, rückt er als | |
Beziehungsspiel um Liebe und Leidenschaft, um Täuschung und Verzweiflung | |
mit überraschendem Spielwitz an uns heran, weil er Archetypisches in | |
wiedererkennbaren Verhaltensmustern aufspürt. | |
Phädra fällt, aber ohne Fallhöhe | |
Dennoch bleibt am Ende, gewollt oder ungewollt, vor allem die Distanz zum | |
Tragischen, die sich durch die zur Schau gestellte Virtuosität der | |
Titelheldin einstellt. Die fällt eben selbst bei den letzten Zuckungen des | |
Giftselbstmordes ohne rechte Fallhöhe. So ist das, was hier akklamiert | |
wurde, wohl doch eher ein Phädra-Missverständnis. Allerdings eins, das | |
zumindest Sunnyi-Melles-Fans süchtig machen dürfte. | |
Es ist eine nette Jubiläumspointe im 90. Festspielsommer, dass ausgerechnet | |
der Dauerbrenner "Jedermann" in seiner Überarbeitung durch Christian Stückl | |
und neu besetzt mit Nicholas Ofczarek als Jedermann und Birgit Minichmayr | |
(in der kleinen, aber in Österreich wie eine Staatsangelegenheit | |
behandelten Rolle der Buhlschaft) zu den erfrischend positiven | |
Überraschungen gehört. Von spitzen Pfeilen aus dem deutschen Feuilleton | |
beschossen, doch unter dem begeisterten Jubel des Publikums. | |
19 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Joachim Lange | |
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Salzburger Festspiele | |
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