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# taz.de -- Wimmelbücher von Ali Mitgutsch: Guckloch in eine eigene kleine Welt
> Ali Mitgutschs Wimmelbücher sind Klassiker, längst schauen seine ersten
> Leser mit ihren Kindern und Enkelkindern seinen Figuren beim Wuseln zu.
> Nun wird der Zeichner 75 Jahre alt.
Bild: Vier Hippies singen, der kleine König wird ausgelacht und die Frau mit d…
Im Regal fallen die Bücher von Ali Mitgutsch kaum auf. Schlank und dünn
stehen sie da drin. Aber wenn man sie herauszieht und aufschlägt, sind sie
ein Guckloch in eine eigene kleine Welt. Die Wimmelbildwelt von Ali
Mitgutsch. Dutzende Personen tummeln sich da auf jeder Seite, in jedem
Eckchen ist eine eigene kleine Szene versteckt.
Seine Figuren rennen, verkleiden sich, knutschen, pinkeln, ärgern die
Eltern, lachen, krabbeln, streiten. Alles gleichzeitig und alles
durcheinander. Um all das zu erzählen, braucht Mitgutsch keinen einzigen
Satz - die kleinen Geschichten, die in seinen Bildern versteckt sind,
erzählen sich ohne Worte.
So wie ein Besuch im überfüllten Schwimmbad. "Das ist ja für Kinder
unheimlich lustig, weil da tausend Dinge passieren", sagte Mitgutsch einmal
in einem Interview. So überreich wirken auch seine Bilder: So wie
vollgepfropfte Badeanstalten auf Erwachsene abschreckend wirken können, so
laufen sie Gefahr, von Mitgutschs Bildern erschlagen zu werden. Zu viel
Gewimmel zwischen zwei Pappen.
Nostalgie und Idylle
Doch gerade diese Wimmelbilderbücher waren es, die Mitgutsch bekannt
machten. Seit über fünfzig Jahren zeichnet er großformatig für Kinder. Und
prägte die Kindheit vieler so stark, dass eine Menge Erwachsene nostalgisch
werden, wenn sie sich daran erinnern, wie sie selbst als Kinder hinter den
großen Mitgutsch-Büchern fast verschwanden - so stark war die Faszination
für das Gewusel, so viel war zu entdecken. Viele erinnern sich auch daran,
wie sie Mitgutschs Bilderwelten mit ihren Kindern erlebten.
Kaum ein Buch wird die Vorstellung einer Bauernhofidylle so stark geprägt
haben wie das Gewimmel aus suhlenden Schweinen, beißenden Gänsen,
Heuschobern und Traktoren aus Mitgutschs "Bei uns im Dorf". Szenen, die der
Zeichner vielleicht noch auf seinem eigenen Allgäuer Vierseithof beobachtet
hat, den er erst vor wenigen Jahren schweren Herzens verkauft hat. Und kaum
ein anderes animierte so viele Kinder, sich ausführlich mit der
Schiffstechnik von Einmastern und Atom-U-Booten zu beschäftigen wie
Mitgutschs "Rund ums Schiff".
Vielleicht liegt das daran, dass seine Bilder trotz der ganzen Naivität
frecher und anarchischer sind als die vieler nachgewachsenen Zeichner wie
der ebenfalls sehr erfolgreichen Rotraut Susanne Berner, deren Wimmelbilder
viel rationaler und aufgeräumter daherkommen.
In Mitgutschs Bildern dürfen sich Kinder wie Erwachsene auch mal
danebenbenehmen - jemanden auslachen, der in den Kuhfladen tritt, hinter
einen Busch pinkeln, nackt baden, andere mit Wasser vollspritzen. Kurz:
sich so benehmen, wie es Kindern einfach Spaß macht. Jenseits von
erwachsenen Das-darfst-du-nicht-Normen, aber auch weit entfernt davon,
richtig Böses zu tun. Lausbübische Späße eben.
Bei so vielen Büchern, wie Mitgutsch verkauft, bleibt natürlich auch das
Gemäkel nicht aus. Er zeichne zu viel heile Welt, wird ihm vorgeworfen. Zu
viel Lustiges, Unbekümmertes. "Stimmt, ich würde kein Buch über meine
Trümmerkindheit malen, und ich habe nie ein Interesse gehabt, graue Wolken
und abgestorbene Wälder zu zeigen", sagt Mitgutsch einmal in einem
Interview. Darum ringt er in seinen Bildern selbst bösen, schimpfenden Omas
etwas Komisches, Niedliches ab. "Ich bin ein hoffnungsvoller Mensch, auch
wenn es nicht immer einen Grund dazu gibt."
Rückzug in die Fantasie
Tatsächlich scheint die anarchische Fröhlichkeit seiner Bilder mit seiner
eigenen, nicht ganz so fröhlichen Kindheit zusammenzuhängen - denn so
tauchte er tief ein in seine Fantasiewelten. Ähnlich wie beim
Kinderbuchautor Janosch, dessen Kindheit auch nicht gerade glücklich war:
geprägt von einem autoritären Vater und der streng katholischen Erziehung.
Mitgutsch wurde 1935 in München-Schwabing geboren und auf den Vornamen
Alfons getauft. Während des Zweiten Weltkriegs floh seine Familie vor den
Bombennächten aufs Land, in einen winzigen Ort im Allgäu.
Weil er in der Dorfschule von seinen Mitschülern gehänselt wurde, zog er
sich mehr und mehr in eine Fantasiewelt zurück und erträumte sich zwei
Freunde, mit denen zusammen er Abenteuer erlebte.
Nach Kriegsende kehrte die Familie ins zerstörte München zurück, litt
Hunger, hatte Mühe, sich durchzuschlagen. Schon als Kind bekam Mitgutsch
seinen Spitznamen Ali - wegen seiner lockigen schwarzen Haare.
Wenn Mitgutsch von seiner Kindheit erzählt, spricht er oft von den
Geschichten, die seine Mutter sich für ihn ausdachte. Um ihre Kinder dazu
zu bringen, sie auf ihren Wallfahrten zu begleiten, erzählte sie ihnen auf
den langen Wanderungen detailreiche Geschichten, um sie zum Weiterlaufen zu
animieren. Und wendete die Erzählungen ins Gute, wenn ihr Sohn sie darum
bat. Am Zielort gab sie den Kindern zwanzig Pfennig, die Alfons in
Schaukästen mit beweglichen Figuren, segnenden Jesusfigürchen und hackenden
Holzfällern steckte.
Diese mütterliche Liebe zum Detail prägte Mitgutsch stark - in jedem seiner
Bilder kann sie bestaunt werden. Gerade weil diese nicht betextet sind,
weil keine der zahlreichen Figuren auf Mitgutschs Bildern allein bleibt,
sondern alle in ständiger Interaktion miteinander stehen, regen die
Zeichnungen die Fantasie an: von Kindern, die sich die Bücher allein
anschauen, aber auch von Eltern, die sich immer neue Geschichten zu dem
Gewusel ausmalen können. Vielleicht sogar welche, die sie sich ausgedacht
haben, als sie noch klein waren und in Mitgutschs Bilderwelten eingetaucht
sind.
20 Aug 2010
## AUTOREN
Meike Laaff
Meike Laaff
## TAGS
Künstler
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