Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach Steinigung in Afghanistan: Rückkehr der Taliban befürchtet
> Die Steinigung eines Liebespaars ist für viele ein Beleg für das neue
> Selbstbewusstsein der islamistischen Kämpfer. Sie zeigt auch die Schwäche
> der Regierung.
Bild: Verschleiert, gesteinigt, bedroht: Viele AfghanInnen haben Angst vor eine…
KABUL taz | "Bitte, fragt mich nicht, es war so schrecklich, ich will die
Geschichte nicht erzählen." Ahmed ist sichtlich mitgenommen, er weint fast,
wenn er von den Ereignissen in Mullah Qali spricht. Dort, auf dem
Marktplatz des Dorfs in der nordafghanischen Provinz Kundus, wurden vor gut
einer Woche ein Mann und eine Frau zu Tode gesteinigt, weil sie eine Affäre
hatten. Ein von den Taliban eingesetztes Gericht hatte die beiden zu dieser
Form der Hinrichtung verurteilt. Es ist das wohl erste Mal seit dem Sturz
des Taliban-Regimes 2001, dass die Islamisten eine so drakonische Strafe
verhängten. Für viele ist das ein Vorzeichen dafür, wie sich Afghanistan
entwickeln wird, wenn der Westen abzieht.
Ahmed war einer der Zeugen, die die Steinigung des Liebespaars mitverfolgt
haben. "Der Mann war verheiratet, hatte vier Söhne und zwei Töchter. Die
Frau war verlobt mit jemand anderem", erzählt er. "Sie waren zusammen
geflohen, aber die Taliban haben sie gefangen und sie in Mullah Qali
gesteinigt - hinter dem Markt, wo ein offener Platz ist. Die Leute im Ort
seien froh über die Hinrichtung gewesen, weil das Paar ein Verbrechen
begangen und dem Ort einen schlechten Ruf angehängt habe. "Es ist das erste
Mal, dass so etwas in unserem Ort passiert ist", versichert Ahmed. Die
Taliban, nicht die Dorfbewohner oder die Familien der beiden, hätten die
Steine geworfen, behauptet er. Andere hatten hingegen berichtet, dass die
Dorfbewohner und sogar die Angehörigen das Paar gesteinigt hätten.
Ahmed hat sichtlich Angst vor der Rache der radikal-islamischen
Aufständischen. "Ich hoffe, ihr erzählt keinem weiter, was ich euch erzählt
habe. Denn wenn die Taliban das herausfinden, glauben sie, ich bin ein
Spion, und ich bekomme Ärger", bittet er. Dann will er nichts mehr sagen:
"Ich kann nicht weitersprechen, weil ich hier, wo ich bin, nicht sicher
bin", sagt er.
Andere wollen noch weniger zu der Tötung des Liebespaars sagen: "Ich habe
keine Information zu diesem Fall", sagt der Polizeichef des Distrikts Imam
Sahib, Qaium Khan, unwirsch und beendet das Telefonat.
"Der Markt von Mula Qali ist Taliban-Gebiet", berichtet Ghulam Rasul, ein
Bewohner des Bezirks. "Ich kann dort nicht hingehen." Der Mann, so erzählt
er, sei 25 Jahre alt gewesen, die Frau 19. Das Paar hätte sich geliebt. Es
gebe in dem Ort keine staatliche Gerichtsbarkeit, nur die Urteile, die die
Taliban sprechen würden. "Die Leute in der Gegend sind mit den grausamen
Strafen der Taliban glücklich", meint Rasul. "Sie sehen es als gerecht an,
wenn etwa Dieben die Hand abgehackt wird und Mörder gehängt werden." Für
sie sei das eine positive Entwicklung zu mehr Rechtssicherheit. Um die 150
Menschen hätten sich an der Steinigung des Paars beteiligt.
Die brutale Tötung des Paars hat weltweit für Entsetzen gesorgt. Kurz zuvor
hatte das US-Magazin Time auf dem Titelblatt das Foto eines afghanischen
Mädchens veröffentlicht, dem zur Strafe die Nase abgeschnitten worden war,
nachdem sie sich einer arrangierten Heirat widersetzt hatte. Ein örtlicher
Taliban-Führer hatten den Befehl dafür gegeben. Die drakonischen Strafen
erinnern an Bilder von öffentlichen Hinrichtungen im großen Fußballstadion
in Kabul unter der Taliban-Herrschaft.
Manchen ist diese Zeit noch deutlich in Erinnerung. Mullah Malang, einer
der bekanntesten Mudschaheddin-Kommandeure gegen die sowjetischen Truppen
aus der Provinz Badghis im Westen des Landes, ist so einer. Der 53-Jährige
sitzt heute im afghanischen Parlament: "Es ist eine ganz schlimme Situation
im Moment", sagt er. "Wenn die Taliban zurück an die Macht kommen, werden
sie eine Menge Fragen stellen. Es sind nicht dieselben Leute wie 1994 - das
waren schlichte Menschen ohne ein Programm. Die neuen Taliban sind erfahren
und suchen Rache." Die Provinz Badghis sei zu den Taliban übergelaufen,
weil die Regierung so schwach ist, schimpft Mullah Malang.
In Badghis war vor kurzem eine Witwe wegen Ehebruch ausgepeitscht und
erschossen worden. Die Taliban erklärten jedoch, dass ihre Kämpfer nicht
dafür verantwortlich gewesen seien. Einer ihrer Sprecher sagte, echte
Taliban-Führer würden so etwas niemals tun. Die korrekte Strafe wäre in
diesem Falle Tod durch Steinigung gewesen.
23 Aug 2010
## AUTOREN
Agnes Tandler
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
## ARTIKEL ZUM THEMA
Soziale Netzwerke in Afghanistan: Eheversprechen auf Facebook
Junge Leute in Afghanistan kommunizieren in sozialen Netzwerken mit
möglichen Partern. Der Vorteil: Die Älteren haben davon wenig Ahnung.
Debatte US-Kriegsstrategie: Von Bagdad nach Kabul
US-Präsident Obama setzt in Afghanistan auf die Strategie, die sein
Vorgänger im Irak anwendete. Dass das gut geht, ist eher unwahrscheinlich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.