# taz.de -- Konfliktregion Südkirgistan: Der Kickboxer und die Politik | |
> Nach den Auseinandersetzungen zwischen Kirgisen und Usbeken will die OSZE | |
> Polizisten in die Region entsenden. Viele Kirgisen lehnen das ab. | |
> Notfalls blockieren sie den Flughafen. | |
Bild: Brauchen den Schutz der OSZE: Usbekische Jugendliche in Osch. | |
Tschailoobek Atasow ist Kickboxer. Der durchtrainierte Kirgise hat gelernt, | |
sich auf den Gegner zu konzentrieren - auch außerhalb des Ringes. Von Ferne | |
wirkt er zwar schmächtig, aber er bewegt sich gewandt wie eine Katze. | |
Atasow organisiert in Osch den Widerstand gegen die geplante Entsendung der | |
OSZE-Polizeieinheit in den Süden des zentralasiatischen Landes. | |
"Wir werden die Polizisten nicht in die Stadt lassen", verkündet er | |
kraftstrotzend, "wir blockieren den Flughafen." Im Zentrum der mit einer | |
Galerie versehenen Sporthalle "Delphin" steht der Boxring, die hohen Wände | |
und die Decke sind weiß getüncht, durch die Fenster flutet das Licht. Unter | |
der Decke hängt die rote kirgisische Staatsfahne mit der stilisierten | |
Sonne. Drei kirgisische Teenager üben sich in Liegestützen und an Hanteln, | |
halten kurz ehrfürchtig ein, als sie Atasow mit wiegenden Schritten in den | |
Saal kommen sehen, und trainieren dann weiter. "Die anderen sind laufen", | |
erklärt Atasow den leeren Trainingsraum. Mit einer ausladenden Bewegung | |
streckt er die Hand zur Begrüßung aus, Muskelkraft ummäntelt ein sprühendes | |
Ego. "Na, wann fangen wir an zu trainieren", frotzelt er. | |
Sportler sind Helden | |
Nach den blutigen Auseinandersetzungen vom Juni zwischen Kirgisen und | |
Usbeken plant die OSZE für September die Entsendung einer Polizeieinheit in | |
den Süden des Landes, wo besonders viele ethnische Usbeken leben. Nahezu | |
1.000 Menschen kamen damals ums Leben, zehntausende flüchteten. Human | |
Rights Watch und die UN beklagen die einseitige Verfolgung der Usbeken | |
durch kirgisische Sicherheitskräfte und Folter in den Gefängnissen. Die | |
Stimmung in der Stadt ist angespannt. | |
Tschailoobek Atasow glaubt nicht an die friedliche Mission der | |
Polizeikräfte aus dem Ausland. "Wo die OSZE-Polizei hinkommt, gibt es | |
Krieg", warnt er und wippt mit dem Stuhl. "Wir wollen hier kein zweites | |
Kosovo." Der Kickboxer wittert eine Verschwörung. Sollte einer der | |
Polizisten ums Leben kommen, könnte eine bewaffnete Armee den Polizisten | |
nach Kirgistan folgen, befürchtet er. "Wer kann die Sicherheit der | |
unbewaffneten Polizisten garantieren?" | |
Atasow, durch dessen Hose und Hemd sich die Muskeln abzeichnen, ist ein | |
erfolgreicher Kampfsportler, der sich auch als Trainer verdingt. In der | |
Büroecke steht eine Kraftmaschine, ein Plakat in der mit Pokalen und | |
Medaillen zugestellten Vitrine weist ihn als Kickboxweltmeister 2006 aus. | |
Der 31-Jährige ist verheiratet und hat zwei kleine Söhne, die später auch | |
mal Kickboxer werden sollen. "Neben dem Sport engagiere ich mich in der | |
Öffentlichkeit", grinst er. Der Sportler mit den kurz geschorenen Haaren | |
schaut seinem Gegenüber direkt in die Augen und genießt die Rolle des | |
Anführers. | |
"Jeder in Osch kennt Taschailoobek", sagt ein Mann, der zum Trainieren | |
gekommen ist. Atasow ist in Kirgistan ein populärer Mann. Jede Art von | |
Kampfsport wird besonders von der Jugend geliebt, die ihre Helden verehrt. | |
Gleichwohl ist die Karriere politisch ambitionierter Sportler in Kirgistan | |
nicht ohne Risiko. Ein halbes Dutzend wurde bereits erschossen. | |
Denn die "Sportsmeni", die ihre Muckibuden verlassen haben, stellen einen | |
Machtfaktor dar. Anfänglich rekrutierten kirgisische Politiker und | |
Kriminelle - die Grenzen sind da fließend - die muskelbepackten Jungmänner | |
als Privatarmee, inzwischen gehen derer Anführer auch in die Politik. | |
Männer wie Atasow, der in Osch den Widerstand gegen die Einmischung von | |
außen organisiert. | |
Atasow ist überzeugt, dass die kirgisische Regierung wegen der von der | |
internationalen Gemeinschaft zugesagten Finanzhilfe in Höhe von 1,1 | |
Milliarden US-Dollar der OSZE-Mission zugestimmt hat. Er will auf das Geld | |
verzichten. "Wir fragen dann halt Singapur", grinst es aus dem | |
Gassenjungengesicht. Über 25.000 Unterschriften lägen gegen die Anwesenheit | |
der OSZE-Polizei vor. Man sei zu allem entschlossen, "vielleicht zünden die | |
den Flughafen an". | |
Für die seit den Juni-Unruhen verwüsteten usbekischen Wohnviertel macht | |
Atasow wie die meisten Kirgisen die Usbeken selbst verantwortlich. Dass die | |
Welt das nicht erkenne, sei auch Schuld der OSZE, erklärt er. Diese und | |
andere vom Westen bezahlte Organisationen hätten einseitig berichtet, | |
deshalb habe die OSZE das Vertrauen der Kirgisen verloren. Er selbst | |
behauptet, während der Unruhen nicht in der Stadt gewesen zu sein. | |
"Usbeken sind Ratten!" | |
Die Auseinandersetzungen wären vorbei, versichert der Kickboxer, alles sei | |
wieder friedlich. "Wir treiben miteinander Handel auf dem Basar, beten | |
gemeinsam in der Moschee und gehen gemeinsam ins Grab." | |
Die Usbeken in Osch sehen das anders. Sie sitzen verängstigt in ihren | |
zerstörten Vierteln und fragen jeden Ausländer flehentlich, wann die | |
OSZE-Polizei endlich eintreffe. "Wenn nicht bald Hilfe kommt, gehen wir | |
zugrunde", sagt ein Mann in einer Moschee. Er sagt, dass Kirgisen und | |
Usbeken bestimmt nicht gemeinsam beten. | |
Noch immer prangen die Schriftzüge "Tod den Usbeken" und das für die | |
Usbeken benutzte Schimpfwort "Sart" auf den Trümmerwänden der abgefackelten | |
Häuser. Hass auf kirgisischer Seite und Angst auf usbekischer vergiften die | |
Atmosphäre in Osch. Auf einem Markt verkaufen Kirgisinnen gebrauchten | |
Goldschmuck und wehren sich dagegen, fotografiert zu werden. Eine Frau | |
beschimpft den Journalisten im Vorzimmer des Bürgermeisters. "Ihr schreibt | |
immer Genozid. Genozid! Hier war kein Genozid, die Usbeken sind Ratten", | |
kreischt sie mit überschlagender Stimme. | |
Atasow, der immer wieder Luftschläge mit den Fäusten ausführt, spricht | |
gerne im Namen des Volkes. Die Regierung in Bischkek hätte nicht das Recht, | |
der OSZE-Mission ohne Befragung des Volkes zuzustimmen, sagt der Sportler. | |
"Sie muss auf das Volk hören, wir leben schließlich in einer Demokratie." | |
Andernfalls werde die Regierung gestürzt, setzt er drohend hinzu. | |
In der Hauptstadt nimmt man den Sportler ernst. Die Präsidentin Otunbajewa | |
versuchte ihn vergeblich umzustimmen. Auch der Außenminister Ruslan | |
Kasakbajew Ruslan ließ sich letzten Montag von dem Kickboxer zeigen, wo im | |
Sportsaal die Gewichte hängen. | |
Rückendeckung erhält Atasow vom zwielichtigen Bürgermeister Oschs, Melis | |
Mirsakmatow, der sich als Nationalist bezeichnet und in einem Interview in | |
der russischen Zeitung Kommersant die Verantwortung für die ethnischen | |
Zerstörungen übernahm: "Die Usbeken haben einen Anschlag auf die | |
Souveränität Kirgistans verübt, wir haben zurückgeschlagen, und jetzt | |
erlauben wir keinem mehr zu schießen." | |
Auch Mirsakmatow opponiert im "Namen des Volkes" gegen die OSZE-Polizei. | |
Doch der Kickboxer ist um Distanz bemüht. "Der Bürgermeister ist mir nicht | |
wichtig, ich bin nur gegen die Polizei", versichert Atasow. | |
Als die Regierung in Bischkek den Bürgermeister letzte Woche absetzen | |
wollte, stellten die Kirgisen in Osch ihre Kampagnenfähigkeit unter Beweis. | |
Innerhalb weniger Stunden versammeln sich am Donnerstag Tausende auf dem | |
zentralen Platz der südkirgisischen Stadt. Am Tag darauf kommen sie | |
teilweise sogar zu Pferde aus den Provinzen. Sie hängen Plakate mit Fotos | |
entstellter Leichen auf. "Das sind Kirgisen und keine Usbeken", schreit ein | |
junger Mann. Die aggressive Menge, die internationale Journalisten in der | |
Menge attackiert, geht erst auseinander, als Mirsakmatow am Freitag in | |
einer feurigen Rede seinen Verbleib im Amt verkündet und im Überschwang | |
fordert, die Hauptstadt des Landes gleich nach Osch zu verlegen. "Osch | |
gehört nun uns", ruft der umtriebige Politiker. Neben dem Umjubelten steht | |
auf der Tribüne am Fuße des Lenindenkmals auch der Kickboxer. | |
Die Regierung windet sich | |
Seit ihr Bürgermeister sein Amt behauptet hat, befinden sich viele Bürger | |
von Osch wie im Rausch. Der Schweizer Diplomat Markus Müller steht vor der | |
fast unlösbaren Aufgabe, die OSZE-Polizei gegen den Willen der | |
aufgeputschten Bevölkerung durchzusetzen. Müller kennt Kirgistan gut, | |
jahrelange war er für die Schweiz und die OSZE in dem zentralasiatischen | |
Land tätig. Ein Gewährsmann in der Regierung gesteht, dass bis auf die | |
Präsidentin keiner mehr auf Regierungsebene die OSZE-Polizei wolle. Er | |
meint, dass die meisten auf den mit einem eventuellen Wortbruch verbundenen | |
Imageverlust schlicht "spucken" würden. | |
Ein Mann, dessen Haus im usbekischen Viertel nicht zerstört wurde, hat | |
schon resigniert. Er bedankt sich für den guten Willen der OSZE, spricht | |
aber zugleich warnende Worte: "Die bringen die um." Er beugt sich mit | |
nacktem Oberkörper über das Beet im Innenrund des Gehöftes und erntet reife | |
Tomaten. Er plädiert dafür, die Mission abzublasen, aber dafür Kirgistan | |
auch kein Geld zu geben. "Wir werden dann zwar darben", sagt er, "aber | |
irgendwie kommen wir schon durch." | |
Dem Kickboxer sind die US-Dollar aus dem Westen auch egal. Er will ja | |
Singapur um Geld bitten. | |
24 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Marcus Bensmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |