# taz.de -- Versorgung Bedürftiger umstritten: Berliner Tafel warnt vor zu vie… | |
> Die Berliner Tafel kritisiert, es gebe zu viele Ausgabestellen für | |
> Lebensmittel in Berlin. Der Staat werde damit aus der Pflicht genommen. | |
> Andere Vereine mit ähnlicher Aufgabe bestreiten das. | |
Bild: Die Berliner Tafel beliefert auch Suppenküchen. | |
Die Idee ist einfach und gut: Abgelaufene, aber noch genießbare | |
Lebensmittel sollten nicht im Müll landen, sondern an Bedürftige gehen. | |
Organisationen wie die Berliner Tafel, die nach diesem Prinzip arbeiten, | |
haben Erfolg - und sie werden mehr. Das ist ein Problem, findet Sabine | |
Werth, die Vorsitzende der Berliner Tafel. "Die vielen Lebensmittelangebote | |
werden langsam, aber sicher zur Grundversorgung der Armen." Es gebe | |
inzwischen zu viele Vereine und Projekte, die Essen verteilen. "Wenn wir | |
überall Lebensmittel anbieten, nehmen wir den Staat aus der Pflicht. Das | |
darf nicht sein." | |
1993 wurde die Berliner Tafel als erste ihrer Art in Deutschland gegründet. | |
Seitdem geht es bergauf: Heute klappern rund 600 Ehrenamtliche Supermärkte, | |
Bäckereien und andere Läden ab und sammeln aussortierte Lebensmittel. | |
Brauchbares verteilen sie an soziale Einrichtungen. Bei 45 Ausgabestellen | |
in Kirchengemeinden können sich Hartz-IV-Empfänger, arme Rentner oder | |
andere Bedürftige das Essen auch direkt abholen. Dort helfen noch einmal | |
1.300 Ehrenamtliche mit. Auf diesem Weg erreicht die Berliner Tafel nach | |
eigenen Angaben insgesamt 125.000 Menschen, ein Drittel davon Kinder und | |
Jugendliche. | |
Das Modell wurde vielfach kopiert. Bundesweit verteilen heute 867 Tafeln | |
Lebensmittelspenden. Diese Entwicklung ist durchaus umstritten. "Als | |
scheinbar verlässlicher Pannendienst versorgen die Tafeln die Armen, ohne | |
zur strukturellen Armutsbekämpfung beizutragen", kritisierte der Soziologe | |
Stefan Selke in der taz. Politikwissenschaftler Peter Grottian bemängelte: | |
"Die Tafeln schaden den Armen, weil sie die Erosion des Sozialstaats | |
fördern." | |
Nicht nur in anderen Ländern, auch in Berlin gründeten sich im vergangenen | |
Jahrzehnt weitere Organisationen, die nach dem Prinzip der Berliner Tafel | |
arbeiten: Die Lichtenberger Hilfe betreibt Ausgabestellen in Lichtenberg | |
und Moabit. Der Verein "Menschen helfen Menschen" verteilt Essen in | |
Wedding, Reinickendorf, Marzahn und Hohenschönhausen. In Reinickendorf sind | |
zudem "Die Guten Feen von Berlin" aktiv. Juden können sich koschere | |
Lebensmittel kostenlos in einer Synagoge in Charlottenburg holen. Und bei | |
der Tiertafel in Treptow bekommen sogar Vierbeiner was zu futtern. | |
Diese Vielfalt berge die Gefahr des Tafeltourismus, sagt Werth. Bei der | |
Berliner Tafel bekomme jeder Bedürftige einmal die Woche Lebensmittel bei | |
der Ausgabestelle, die seiner Postleitzahl zugeordnet sei. Aus | |
Datenschutzgründen könne die Tafel die Empfänger nicht mit anderen Vereinen | |
abgleichen. "Wer will, kann in Berlin bis zu 16-mal die Woche Lebensmittel | |
abholen. Das ist keine Zusatzversorgung mehr. Damit hebelt man die | |
Verantwortung des Staates aus." | |
Peter Wöhler, der Chef der Lichtenberger Hilfe, sieht das anders. "Es gibt | |
keinen Tafeltourismus, nur einige wenige schwarze Schafe wie überall", so | |
seine Einschätzung. Wenn seine Helfer doch mal mitkriegten, dass die | |
Bedürftigen auch woanders Essen holten, würden die Betroffenen gesperrt. | |
"Die Berliner Tafel beansprucht das alleinige Monopol. Das ist das | |
Problem." | |
Auch Horst Schmiele von "Menschen helfen Menschen" teilt Sabine Werths | |
Sorge nicht. "Die Produktpalette ist nicht so breit, dass sich die Menschen | |
komplett bei uns versorgen könnten." Stichprobenartig kontrollieren seine | |
Mitarbeiter, ob sich jemand an den vier Ausgabestellen doppelt bedient, | |
erzählt er. Ab und zu gehe er zu einer Stelle der Berliner Tafel und | |
schaue, ob seine Klienten auch dort Essen abholten. Doch selbst wenn das | |
mal vorkommen sollte - Schmiele hält die Arbeit seines Vereins für | |
unverzichtbar. "Wenn es uns nicht gäbe, würden die Politiker ihre Politik | |
doch trotzdem nicht ändern. Und die Armen wären die Dummen." | |
24 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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