# taz.de -- Küchenpsychologie mit Sternekoch Tim Raue: "Fresse halten und acke… | |
> Der Sternekoch Tim Raue ist der neue Nachbar der taz. Ein Gespräch über | |
> Geld, Selbstzerfleischung, Laktoseintoleranz und darüber, was es | |
> bedeutet, wenn sich Köche in den Finger schneiden. | |
Bild: "Die öffentliche Wahrnehmung ist mir scheißegal": Tim Raue, Sternekoch. | |
taz: Herr Raue, willkommen in Kreuzberg. Willkommen zu Hause, könnte man | |
sagen. Aber na ja, das ist hier in der Dutschkestraße ja fast schon Mitte. | |
Tim Raue: Also, Sie meinen, dass die taz-Redaktion im Warmduscher-Kreuzberg | |
steht? | |
Könnte man so sagen. Und Sie ja jetzt auch. | |
Das war ja erst mal nicht die Idee, mit meinem neuen Restaurant nach | |
Kreuzberg zu gehen. Ich hatte einen tollen Job in Hongkong in Aussicht, | |
aber meine Frau hat gesagt: Hongkong ist schön, aber eigentlich würde ich | |
gern was in Berlin machen, kannst du dir vorstellen, dass wir uns | |
selbstständig machen? Und das ist in 17 Jahren, die wir zusammenarbeiten, | |
nicht ein einziges Mal Thema gewesen. | |
Aber nun doch? | |
Für mich kommt das auch jetzt nicht in Frage. Es ist so, dass meine Frau | |
die Geschäftsführerin ist. Es ist ihr Baby. Ich bin, glaube ich, relativ | |
gut in dem, was ich mache, nämlich im Kochen. Quatschen geht auch noch. | |
Aber selbstständig sein, das traue ich mir nicht zu. | |
Kriegen Sie ein Gehalt von Ihrer Frau? | |
Ja. | |
Gab es Verhandlungen? | |
Nein, ich habe noch nie über mein Gehalt verhandelt, egal, wo ich | |
gearbeitet habe. Ich habe immer ganz klar gesagt: Das ist das, was ich | |
haben will. Meine Frau und ich haben noch nie in unserem Leben Geld | |
gespart. Nichts, wir haben kein Sparkonto, nada. Am Monatsende ist immer | |
null und manchmal Dispo. Wir haben nie Geld beiseitegelegt, wir besitzen | |
keine Wohnung, noch nicht mal ein Auto. | |
Wer gibt Ihnen dann Geld für ein neues Sternerestaurant, wenn Sie sagen, | |
Sie haben kaum Eigenkapital? | |
Was heißt kaum. Wir hatten vor drei Monaten keinen Euro. | |
Und da gehen Sie zur Bank und sagen: Guten Tag, ich bin Tim Raue. Und dann | |
sagen die … | |
Das musste ich nicht mal sagen. Die wussten, wer ich bin. | |
Woher wussten die das? | |
Weil es auch bei der Bank Leute gibt, die gern essen. Das ist vorteilhaft. | |
Auch der Vermieter hier in der Dutschkestraße wusste sofort, wer ich bin. | |
Der sagte, er könne sich nichts Besseres vorstellen, als die Kochkunst, die | |
ich mache, zu verbinden mit der Kunst der Galeristen hier im Haus. Und ja, | |
alter Westberliner, Hand geschüttelt, Deal. Das heißt, wir hatten einen | |
Laden, einen Mietvertrag, aber keine Kohle. Was jetzt? | |
Und? | |
Einen Tag später klingelte das Telefon, die Produktionsfirma von Sat.1 war | |
dran und hat gesagt: Wir haben Sie doch vor ein paar Wochen gecastet, Sie | |
haben das ja nicht so ernst genommen, aber wir hätten Sie da jetzt gerne. | |
Ich frage: Was gibt das denn an Asche? Da haben die mir gesagt, was es | |
dafür gibt. Und das entsprach genau dem, was wir brauchten als | |
Eigenkapital. | |
Einfach Glück gehabt? | |
Ich war immer der festen Überzeugung, dass es das Glück des Tüchtigen gibt. | |
Fresse halten und ackern ist einer meiner Leitsätze. Ich arbeite, seitdem | |
ich 17 bin, mindestens sechs Tage in der Woche, mindestens 16 Stunden am | |
Tag. Und ich habe seitdem über 20 Kilo zugenommen. Also, ich bin damit | |
nicht glücklich, ich würde gern anders aussehen. Aber das ist der Preis, | |
den ich dafür bezahle. | |
Uns ist nichts Negatives aufgefallen, falls Sie das meinen. Ist Dicksein | |
ein hoher Preis? | |
Ich weiß, wovon ich rede, ich bin mit 26 mal schwer krank gewesen. Ich | |
hatte Sarkoidose, eine Viruserkrankung. Die befällt die inneren Organe, | |
eins nach dem anderen. Im Normalfall ist da nach zwei Monaten Schicht im | |
Schacht. Du liegst platt. Ich habe es geschafft, das anderthalb Jahre zu | |
verschleppen, weil die Symptome für mich völlig normal waren. Das heißt: | |
Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme. Ich war damals Chef de | |
Cuisine im E.T.A Hoffmann in Berlin, und in dem Moment, wo ich echt nicht | |
mehr konnte, kam ein Restaurantkritiker. Ich habe mich dann einfach am Herd | |
festgebunden, damit ich nicht wegkippe und hab für den gekocht. Und danach | |
ging das Licht aus. Das war wirklich auch psychosomatisch: In dem Moment, | |
wo der letzte Teller geschickt war, war Schluss. | |
Würden Sie sich heute eher ins Bett legen? | |
Ich leg mich heute ins Bett. Ich achte darauf, dass ich nicht mehr als 16 | |
Stunden am Tag arbeite, ich beachte meinen heiligen Sonntag. Da ist mir | |
auch egal, was mir an Geld geboten wird. Der Sonntag bleibt frei. Ich habe | |
das große Glück, dass ich wirklich die Stoppschilder immer sehe. Ich krieg | |
sie gezeigt. Wenn sich Köche schneiden oder verbrennen, merken Sie, dass | |
die Atmosphäre überhaupt nicht stimmt in der Küche. Du schneidest dich, | |
wenn du ein Problem mit deinem Selbstwertgefühl hast. Und du verbrennst | |
dich, wenn du dich für nicht gut genug hältst. | |
Bilden Sie Lehrlinge aus? | |
Ja. Wieder. | |
Wieder? | |
Ich war ein bisschen frustriert. Ich habe das Gefühl, die jungen Menschen | |
haben ein Problem damit, sich auseinanderzusetzen. Sie rennen ganz schnell | |
weg. Wenn ich sage: Das, was du gerade gemacht hast, ist absolut | |
inakzeptabel. Der Gast zahlt für ein Menü 100 Euro, das geht einfach nicht, | |
dass du so schandhaft mit den Lebensmitteln umgehst, konzentrier dich bitte | |
darauf. Und wenn du dich umdrehst, kann es sein, dass der seine Schürze | |
auszieht, nach Hause geht und sagt: Der hat gesagt, ich brauch hier nicht | |
mehr arbeiten. | |
Bei der Frage nach den Lehrlingen haben Sie so ein bisschen die Augen | |
verdreht. | |
Na ja, meine Frau und ich haben sehr früh begonnen, uns für unsere | |
Mitarbeiter zu engagieren, insbesondere für Lehrlinge. Und wir haben | |
tausende Euro, man kann nicht sagen: zum Fenster rausgeschmissen. Aber wir | |
haben in Menschen investiert, die es uns nicht gedankt haben. | |
Was für Investitionen waren das zum Beispiel? | |
Wenn Sie einem Koch, der aus einem sozialen Umfeld kommt, wo regelmäßiges | |
Essen schon nicht Standard ist, einen Messerkoffer schenken. Weil er | |
wirklich unglaublich talentiert ist, damit er endlich mal was Eigenes | |
besitzt, wo sein Name eingraviert ist. Ja und zwei Tage später hörst du | |
dann, dass er das Ding in der U-Bahn einfach vergessen hat, weil er | |
besoffen mit Kumpels noch abends durch die Gegend gefahren ist. Da sind mal | |
einfach 800 Euro weg. Dann kommt er halt aber auch nicht mehr zur Arbeit, | |
und dann versuchst du, dich mit ihm darüber auseinanderzusetzen und zu | |
sagen: Okay, ist ein Fehler, ist scheiße, aber ist halt ein Fehler. Und du | |
siehst dann: Der rutscht immer wieder ab. Du darfst nicht geben mit dem | |
Hintergedanken, zu bekommen. | |
Wie viele Lehrlinge bilden Sie jetzt aus? | |
Wir werden zwei haben. Einen im Service, einen in der Küche. | |
Sind die Arbeitsbedingungen in Restaurantküchen jungen Leuten zumutbar? Wie | |
steht es da um den Umgangston? | |
Ein Lehrling ist ja dazu da, um zu lernen. Und Lernen heißt nicht | |
ausbeuten. Aber auf der anderen Seite werden wir ja auch nicht alle als | |
Prinz und Prinzessin geboren. Koch ist ein handwerklicher Beruf, ein | |
herausfordernder Beruf. Den kann man sich aussuchen oder nicht. Denn eins | |
darf man ja nicht vergessen: Man kann als Koch unglaublich viel Geld | |
verdienen, ohne dass man einen überbordenden IQ brauchen würde. | |
Köche müssen nicht schlau sein? | |
In den besten Restaurants Deutschlands werden Sie keinen Küchenchef finden, | |
der doof ist. Weil Kochen eine Vermengung von ganz vielen Attributen ist. | |
Da ist was Künstlerisches dabei, in der Komposition, im Anrichten. Da ist | |
was Handwerkliches dabei. Sie müssen Management-Fähigkeiten haben, Sie | |
brauchen pädagogisches Talent. Es gibt ja kaum Sternegastronomie, das ist | |
prozentual gesehen ein Hauch. Und dafür brauchen Sie Voraussetzungen. Bei | |
mir kann nicht einfach einer antanzen, der sagt: Ich habe schon in der | |
"Kartoffelknolle" gearbeitet und im "Wirtshaus zum Wilden Eber", und jetzt | |
will ich bei Tim Raue arbeiten. Da muss ich sagen: Entschuldigen Sie, Sie | |
haben einfach mal null Grundvoraussetzung, bei mir zu arbeiten. Es geht um | |
extreme Disziplin, volle Konzentration, selber Genuss leben, als Teil der | |
Lebenskultur. Da kann nicht einer reinmarschieren und sagen: Ich will das | |
jetzt. | |
Woher kommt dieser Widerspruch bei Ihnen? Einerseits diese Disziplin, das | |
Preußische - zum anderen dieses Amerikanische, dieses Pursuit of Happiness, | |
jeder kann es schaffen, wenn er es nur will. | |
Das eine kommt durch meine Großeltern, bei denen ich aufgewachsen bin. Die | |
haben eine ganz tolle Tugend an sich, die ich sehr schätze, an der ich bei | |
mir selber noch arbeite, das ist Demut. Sie sind in der Lage, sich selber | |
zurückzunehmen für andere. Und das finde ich großartig. Und das | |
Amerikanische ist bei mir als Kind entstanden. Ich habe so mit elf, zwölf | |
angefangen, den Spiegel zu lesen. Ich weiß gar nicht mehr, warum, aber das | |
war irgendwie meine Flucht nach draußen. Um dieser Kindheit einfach zu | |
entrinnen. Ich habe viel geträumt, also wirklich so Tagträume, und die USA | |
waren für mich immer so ein Land, das mich fasziniert hat, wo es | |
Möglichkeiten gab für arme Menschen. Und ich habe mich immer als armen | |
Menschen gesehen. Also, aus wirtschaftlicher Sicht. | |
Ist es für Sie schwerer, demütig zu sein, weil Sie permanent mit Ihrer | |
eigenen Großartigkeit konfrontiert werden in der öffentlichen Wahrnehmung, | |
in den Medien? | |
Die öffentliche Wahrnehmung ist mir einfach mal scheißegal. | |
Das glauben wir nur begrenzt. | |
Das mag so sein. Aber wissen Sie, ich stehe jeden Tag auf und habe was zu | |
leisten. Und die Leute um mich herum, das sind keine schwachen Abnicker, | |
sondern das ist im Endeffekt eine Löwenmeute. Jeden, den ich einstelle, den | |
stelle ich ein, weil ich weiß, dass er eines Tages Küchenchef sein will. | |
Und Sie können mir glauben, das ist der Hintergedanke: dass die meinen Job | |
wollen. Aber meinen werden sie nicht kriegen. | |
Also keine Schwäche zeigen? | |
Kann ich mir nicht leisten. Dabei bin ich ungeheuer selbstkritisch. | |
Selbstkritisch wirklich bis zur Selbstzerfleischung. Wenn mir was nicht | |
passt, werde ich unausstehlich. Dann gehe ich aber, dann belästige ich die | |
anderen nicht damit. Ich habe zum anderen meine Frau, wir stehen mit beiden | |
Beinen auf dem Boden. Es ist nicht so, dass wir irgendwo hingehen und | |
sagen: Wir kaufen uns grad mal ein Louis-Vuitton-Täschchen oder so. | |
Natürlich, ich trage Hemden, die für mich gemacht sind, Schuhe, die mit der | |
Hand genäht sind. Aber ich besitze halt keine zwanzig Paar davon. Ich | |
möchte, dass das, was ich besitze, von Menschen mit Passion gemacht wird. | |
Ich esse auch nichts mehr, was aus der Fritteuse kommt. | |
Keine Currywurst mehr? | |
Seit einem dreiviertel Jahr nicht mehr. Ich gebe mir Mühe, nichts mehr in | |
mich reinzuschaufeln. Das ist auch einfach noch ein Trauma meiner Jugend, | |
dass in den Situationen, wo es mir besonders schlecht ging, meine Oma was | |
für mich gekocht hat. Ich hab das bis heute so drin: Wenn es mir schlecht | |
geht, dann esse ich. Ich habe jetzt auch wieder zugenommen, weil ich | |
einfach unter Druck bin, unter Stress, und dann esse ich sinnfrei nachts. | |
Dann hämmer ich mir irgendwas rein. Ich trinke keinen Kaffee, ich rauche | |
nicht, ich trinke keine Schnäpse, ich komme vielleicht auf eine Flasche | |
Champagnerwein pro Monat, das wars, aber wenn ich im Stress bin, dann sauf | |
ich Limonade. Kistenweise. Ich bin der totale Zuckerjunkie. | |
Jetzt ist also Zuckerstress. Weil Sie sich mit dem neuen Restaurant nach | |
vorn wagen? | |
Das ist unsere Existenz. Ich persönlich hafte damit, mit meiner Person, mit | |
dem, was ich kann. Genauso wie meine Frau für den Kredit. Wir haben keine | |
Investoren, wir haben niemanden. Das ist unseres. Aber das Schöne ist, wir | |
können auch niemandem was in die Schuhe schieben und sagen: Der war schuld. | |
Das sind alles nur wir. Das ist eine knappe Mille da drüben. | |
Wir sind beeindruckt. | |
Ich nicht. Ich denke nicht darüber nach. | |
Können Sie noch schlafen? | |
Natürlich. Legen Sie mir hier ein Kissen hin, ich schlafe wie ein Baby. Ich | |
habe nie darüber nachgedacht, welche Verantwortung ich trage. Ich trage sie | |
einfach. | |
Wir würden gern mit Ihnen über den Gast an sich sprechen. Was ist ein guter | |
Gast? | |
Alle Gäste sind bei uns gleich. | |
Nett von Ihnen. Trotzdem wird es doch Gäste geben, wo Sie denken: der | |
nervt. | |
Grundsätzlich Gäste, bei denen man sich wünschen würde, dass sie einfach, | |
wenn sie einen Tisch reservieren, sagen, was sie nicht essen können. Das, | |
was wir machen, ist natürlich nicht einfach aus der Hosentasche geschossen. | |
Ich geh nicht morgens auf den Markt, kauf was und koch das. Wenn dann | |
jemand sagt: Ich hab eine Glutenallergie, ich hab eine Laktoseintoleranz, | |
ich ess keine Nüsse und vertrag keinen Essig, aber ich hätt gern das | |
Sechsgangmenü … | |
Was machen Sie dann? | |
Das haben wir jetzt nicht mehr. Alle Milchprodukte sind laktosefrei, die | |
Küche glutenfrei. Wenn jetzt jemand kommt und sagt: Ich hätt gern ein | |
Sechsgängemenü ohne Fleisch und Geflügel - kein Problem. Wenn jemand kommt: | |
Ich hätt gern was Vegetarisches, ja. Und wenn jemand kommt und sagt, er | |
hätte gern was Veganes, muss ich sagen: Da bin ich die falsche Adresse. | |
Haben diese, wie soll man es ausdrücken, Modekrankheiten nicht massiv | |
zugenommen? | |
Massiv ist eine freundliche Untertreibung. Das gab es alles vor zehn Jahren | |
noch nicht. | |
Wo kommt das plötzlich her? | |
Keine Ahnung, ich bin kein Arzt, aber die These, die ich dazu habe, die | |
wollen Sie weder hören noch drucken. | |
Die spinnen? | |
Nee. Ja. Es ist natürlich einfach auch so, dass sich die Gesellschaft sehr | |
stark verändert hat: der ständige Druck, der überall auf den Menschen | |
lastet. Ich habe das vorhin gesagt: Du musst für Erfolg zahlen. Der eine | |
wird fett, der andere hat Migräne, der Dritte hat eine Laktoseintoleranz. | |
Wir müssen uns nicht wundern. Und ich habe mich dem angepasst. Das passt ja | |
zu meiner Philosophie als Koch, dieser Mischung aus Chinesisch, Thai und | |
Japanese, dass du diese Sachen weglässt, weil die Aromen dann viel stärker | |
rauskommen. Wir haben natürlich auch unglaublich viele Gäste, die extra | |
deswegen kommen. | |
Aber eigentlich beunruhigt Sie diese Entwicklung, oder? | |
Was mich beunruhigt, ist, dass das anscheinend keinen stört. Also, ich kann | |
Ihnen sagen, dass von zehn Gästen vier irgendwas haben. | |
Was fehlt denen? | |
Zuneigung, Aufmerksamkeit. Ich habe da ja kein Problem mit. Es gibt andere | |
Fälle, die ich viel schlimmer finde, nämlich Leute, die alle zwei Minuten | |
aufstehen, um zu rauchen. Das finde ich nervig. Weil wenn du in ein | |
Restaurant wie in unseres gehst und dir ein Sechsgangmenü bestellst, und in | |
diesen sechs Gängen 20-mal rauchen gehst … | |
… und ständig die Geschmacksknospen killst. | |
Na ja, der Gast zahlt dafür, es ist sein Spaß, aber es sind auch unsere | |
Nerven, weil wir ständig den Tisch zurückstellen müssen. Aber damit kann | |
ich auch leben. | |
Im Ma Tim Raue, Ihrem früheren Restaurant im Hotel Adlon, stand auf jedem | |
Teller Ihr Name. Wird das jetzt wieder so sein? | |
Nein. | |
Aber es gab Zeiten, da war Ihnen das sehr wichtig. | |
Ja, das war eine psychologische Sache. Da hat mein Vater mal, als ich | |
irgendwie, keine Ahnung, dreizehn war, hat er sich darüber aufgeregt, dass | |
ich ständig meinen Namen schreibe. Und ich habe das dann später irgendwann | |
mal in einer Gesprächstherapie hochgebracht und da meinte die Therapeutin: | |
Ist doch klar, Sie mussten sich einfach klar machen, wer Sie überhaupt | |
sind. Damit die eigene Identität da ist. Da bin ich aber schon relativ | |
lange drüber hinweg. | |
Wenn das Kochen und - man muss ja auch sagen: Ihr Ego - so viel Zeit in | |
Ihrem Leben einnehmen, gelingt es Ihnen dann überhaupt mal, abzuschalten | |
und so was wie Privatheit zu entwickeln? | |
Das kann ich. Ich bin ein faules Schwein, wenn ich zu Hause bin. Ich bin, | |
glaube ich, eine der tollsten Couchpotatoes, die Sie in Deutschland finden | |
werden. Wenn ich erst mal zu Hause bin, will ich da gar nicht raus. Für | |
mich gibt es nichts Schöneres, als auf der Couch zu liegen und zu lesen. | |
Ich bin so ein extremer Magazinfan, ich lese alles, was mit Food zu tun | |
hat, was weltweit erscheint. Habe da auch die ganzen Abos. Ich mag | |
Hochglanzmagazine, weil das visualisierte Sachen sind, so schöne Dinge. | |
… und Stullenbrett wie früher bei Oma? | |
Und Stullenbrett. Ja klar. Ganz viel einkaufen, Aufschnitt, eingelegte | |
Sachen, ein ganzes Brot dazu, und dann einfach vorm Fernseher ein Stapel | |
Magazine, und mein Abend kann kommen. Und auch mein nächster Tag. | |
## David Denk, 29, ist taz-Medienredakteur und isst auch gern vor dem | |
Fernseher Anja Maier, 44, leitet die sonntaz-Redaktion und hat in diesem | |
Jahr acht Kilo abgenommen | |
27 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
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