# taz.de -- Bosnischer Spielfilm: Liebe in Zeiten der Radikalislamisierung | |
> Jasmila Zbanic Spielfilm "Zwischen uns das Paradies" handelt vom Gift | |
> islamistischer Verhaltensnormen, das im heutigen Bosnien in die | |
> Zweisamkeit eines Liebespaars eindringt. | |
Bild: Luna (Zrinka Cvitesic) ist wütend wegen der Verhaltensänderung ihres Ma… | |
Luna (Zrinka Cvitesic) wechselt ihr farbenfrohes Outfit gegen ein schickes | |
Kostüm und eilt mit dem Rollköfferchen zum Flughafen, wo sie als Stewardess | |
über Sarajevo abhebt. Die junge Frau filmt mit der Handykamera obsessiv den | |
eigenen Körper, sie scheint geradezu existenzielle Selbstvergewisserung in | |
solchen Bildern zu finden. Anders ihr Mann Amar (Leon Lucev): Als er seinen | |
Fluglotsenposten wegen einer Portion Schnaps im Kaffeebecher verliert, | |
zieht es ihn in ein klandestines Ferienlager orthodoxer Wahhabiten an einem | |
unzugänglichen Bergsee. Fortan ist es das Wort, das ihn fasziniert. Mit | |
verschlossenem Lächeln lauscht Amar dem Imam und genießt die traditionellen | |
orientalischen Lieder. Er akzeptiert die strikte Verhüllung der Frauen und | |
das Regime der Blickverbote in der abgeschiedenen Zeltstadt. Luna legt er | |
den Koran hin, das bilderlose Buch der Bücher. | |
"Zwischen uns das Paradies" erzählt in scharfen kolportagehaften Kontrasten | |
vom Zusammenstoß muslimischer Alltagskulturen im heutigen Bosnien und | |
Herzegowina, vom Gift islamistischer Verhaltensnormen, das in die | |
Zweisamkeit eines Liebespaars eindringt und die Lebbarkeit der Gefühle | |
füreinander infrage stellt. | |
Während orthodoxe Muslime in europäischen Filmen zumeist als die Anderen | |
dargestellt werden, konfrontiert Jasmila Zbanic' Spielfilm mit einer | |
emotionalen Innenansicht aus ihrer muslimisch geprägten Heimatstadt | |
Sarajevo. Sie konzentriert sich wie schon in ihrem Debütfilm "Esmas | |
Geheimnis - Grbavica" auf die Perspektive der weiblichen Hauptfigur und | |
findet so hinter all den grellen Klischees Zugang zu den verdrängten | |
Wundschmerzen und Traumata ihrer Protagonisten. Sie alle sind vom | |
Bürgerkrieg und den Pogromen beim Zerfall Jugoslawiens in den neunziger | |
Jahren geprägt. | |
"Zwischen uns das Paradies" schildert die fundamentalistischen | |
Islamisierung der traditionell liberalen muslimischen Kultur Bosniens und | |
Herzegowinas als eine nachvollziehbare Spiritualisierung, als psychische | |
Schuldkompensation der ehemaligen Soldaten und Milizionäre, auch als | |
Unterwerfung unter ein religiöses Dogma, das von den Entscheidungszwängen | |
in einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung entlastet. Was den Film | |
spannend macht: Er zeigt diese Bruchlinien an den Beziehungen zwischen | |
Männern und Frauen, ohne ihn zu einem plakativen Geschlechterkrieg | |
aufzuladen. | |
In ihrem winzigen Apartment-Nest mit Blick über die pulsierende moderne | |
Metropole Sarajevo leben die beiden anfangs in scheinbar symbiotischer | |
Nähe, wenn Luna von ihren Flugreisen heimkehrt. Eigentlich sind die | |
Liebenden mit ihrer Zukunft beschäftigt. Sie sind im Begriff, die mangelnde | |
Mobilität von Amars Spermien mit moderner Befruchtungstechnologie zu | |
überlisten. | |
Doch während Luna mit der vorbereitenden Hormonbehandlung beginnt, stören | |
Amars Alkoholproblem und seine Abneigung gegen die verordnete | |
Gesprächstherapie ihre fragile Balance. Er betet auf dem Friedhof für | |
seinen im Krieg getöteten Bruder. Er sucht das Wiedersehen mit seinem | |
ehemaligen Kompanieführer Bahrija (Ermin Bravo), der ihm von einem | |
religiösen Erweckungserlebnis erzählt (es traf ihn bei einem Gewitter) und | |
ungebrochene patriarchale Autorität ausstrahlt. | |
Wie in "Esmas Geheimnis" verkörpert Leon Lucev auch in der Rolle des Amar | |
einen von Zweifeln und Schuld Getriebenen, das Gegenbild eines brutalen | |
He-Man. Schuld am Krieg, am Schmerz und an den Verlusten trügen die | |
bosnischen Muslime selbst, weil sie sich nicht an die Gesetze Allahs | |
gehalten hätten, schreit er einmal bei einem Familienstreit seinen Komplex | |
aus sich heraus. Lunas Anschauungen sind andere, sie spiegeln das | |
Selbstbewusstsein muslimischer Frauen, wie es ihre Großmutter (Marija Köhn) | |
und ihre Freundin, die Fernsehmoderatorin Selja (Nina Violic), verkörpern. | |
Nach der Ermordung ihrer Mutter wurde Luna von der Großmutter-Matriarchin | |
in Sarajevo erzogen. Mit ihrer Freundin, die sie damals um den Bonus des | |
Flüchtlingskindes sogar beneidete, fährt sie in einer Episode des Films in | |
ihr Heimatdorf. Dort besucht Luna das unter Zwang verkaufte Haus der | |
Familie. | |
Diesen differenziert gezeichneten muslimischen Frauen, die für die moderne | |
Eigenständigkeit gerüstet sind, stellt Jasmila Zbanic jene Frauen | |
gegenüber, die nach den Regeln der Wahhabiten leben. Sie pauken im | |
Zeltlager am See Koransuren. Sie verweigern ihrem Gast das Gespräch, als | |
Luna ihren Mann dort besuchen will und von ihm ferngehalten wird. Das | |
Misstrauen lässt die in die geschlossene Welt eingedrungene junge Frau | |
nicht mehr los. Nada (Mirjana Karanovic), die im Frauenbezirk ihr volles | |
rotes Haar unter dem Nikab hervorholt und auf der Autofahrt gern aggressiv | |
überholt, erklärt Luna den Grund ihrer Anpassung: Amars Freund Bahrija habe | |
sie, eine Kriegswitwe, mit ihren drei Kindern zu sich genommen. Sie fügt | |
hinzu: "Der Westen ruiniert das Frausein." Westliche Frauen seien "durch | |
ihre Karriere versklavt" und könnten ihrer Bestimmung, Kinder für den Kampf | |
zu gebären, nicht folgen. | |
Nada und ihre Tochter lösen am Ende einen Eklat zwischen den Liebenden aus. | |
In der Moschee erkennt Luna trotz des Blickverbots ihren Mann, der als | |
Trauzeuge einer nach der Scharia unerlaubten Zeremonie beiwohnt, in der | |
Nadas minderjährige Tochter in einer Zweitehe mit Bahrija verheiratet wird. | |
"Reinheit", wie Amar sie versteht, also Enthaltsamkeit bis zur muslimisch | |
geschlossenen Ehe, die er für sich und seine Frau anstrebt, ist für Luna | |
vor diesem Hintergrund purer Hohn. | |
"Zwischen uns das Paradies" endet indes nicht als religionssoziologische | |
Deklamation. Jasmila Zbanic hat ein schönes Melodram der uneingelösten | |
Gefühle gedreht. Luna erfährt, dass sie auf natürlichem Wege schwanger | |
wurde. Wie in vielen Passagen des Films spiegelt sich auch der innere | |
Tumult nach dieser Nachricht sehr zart in den introvertierten Zügen ihrer | |
Protagonistin Zrinka Cvitesic wider. | |
1 Jan 1970 | |
## AUTOREN | |
Claudia Lenssen | |
## TAGS | |
Srebrenica | |
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