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# taz.de -- Forscher über bewusstes HIV-Riskieren: "Eine Art Bazillen-Brudersc…
> So genannte Barebacker riskieren bewusst eine Infektion mit dem
> Aids-Virus. Der Forscher Tim Dean hat dieses Phänomen innerhalb der
> Schwulen-Szene analysiert.
Bild: "Eine Subkultur innerhalb der Subkultur": Barebacking unter schwulen Män…
taz: Herr Dean, Sie haben in den USA den Fall der deutschen Popsängerin
Nadja Benaissa in den Medien verfolgt. Was haben Sie dabei beobachtet?
Tim Dean: In gewisser Weise ruft dieser Fall eine heterosexuelle Fantasie
hervor - die aber daneben ging: Du bekommst die Gelegenheit, mit diesem
sehr attraktiven Popstar Sex zu haben, ohne dass ein Kondom verlangt wird.
Hinterher findest du dann heraus - nicht etwa, dass sie schwanger ist und
du dafür verantwortlich bist, sondern dass du HIV positiv bist und sie
dafür verantwortlich ist.
Nadja Benaissa ist verurteilt worden. Halten Sie diese Reaktion für
angemessen?
Gesetze, die eine HIV-Übertragung kriminalisieren, sind schlechte Gesetze.
Sie stammen in der Regel aus einer frühen Zeit der Aids-Epidemie, als HIV
noch als unweigerlich tödlich verstanden wurde. Sie sind ein Produkt der
Aids-Hysterie, der Angst vor Homosexualität, sogar der Angst vor Sex. Das
heißt, dass sie ein irrationales Element an sich haben, was natürlich immer
eine schlechte Basis für Gesetze ist.
Wie sollte man stattdessen damit umgehen?
Sex sollte eine Frage des gegenseitigen Einverständnisses sein, beide
Partner sollten dabei informiert sein. Man sollte sich darüber klar sein,
wie viel Risiko man auf sich nehmen will, wenn man Sex hat. Das fällt bei
verschiedenen Leuten offensichtlich sehr unterschiedlich aus. Für einige
gilt: Je riskanter der Sex, desto schärfer. In den Vereinigten Staaten wird
Sicherheit gegenwärtig in allen Lebensbereichen fetischisiert. In einer
solchen gesellschaftlichen Situation will man manchmal genau das Gegenteil
von Sicherheit.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Barebacking-Szene, in der es genau um
dieses Risiko geht.
"Barebacking" ist ein komplexer Begriff und kann vieles bedeuten. Nadja
Benaissa hatte, könnte man sagen, "Bareback-Sex", also ungeschützten
Geschlechtsverkehr. Aber ich bezweifle, dass sie oder ihr Partner das so
gesehen haben. Sie dachten einfach, sie hatten ganz gewöhnlichen Sex.
Barebacking bedeutet allerdings mehr als ungeschützter Verkehr. In der
üblichen Definition ist gemeint: risikoreicher Sex, bei dem man sich mit
Absicht einer Gefahr aussetzt, zum Beispiel der Ansteckung mit HIV. In dem
Buch geht es speziell um Barebacking unter schwulen Männern. Eine Subkultur
innerhalb der Subkultur, in der die Beteiligten das Risiko von Sex ohne
Kondom willentlich auf sich nehmen.
Sie sprechen in Ihrem Buch von "Verwandtschaft", um die Bindung HIV
positiver schwuler Männer innerhalb der Bareback-Szene zu beschreiben.
Inwiefern gehen diese Männer eine besondere Beziehung ein?
Als in den USA über die Legalisierung der Homoehe diskutiert wurde, fand
ich interessant, wie Barebacker ein paralleles Verständnis von
Verwandtschaft entwickeln. Da geht es um "Befruchten und Züchten", darum,
den Virus im Körper anderer Männer zu züchten oder um eine
"Bazillen-Bruderschaft". Es geht nicht um die staatliche Anerkennung von
Bindungen, sondern um Formen von Beziehungen, die man "inzestuös" nennen
könnte. Das Virus eines anderen Mannes in den Körper zu bekommen, bedeutet
für diese Männer eine Beziehung, die in gewisser Weise anhaltender oder
tiefgehender ist als ein Ehering.
Das Phänomen, das Sie ansprechen, wird in der Gesellschaft tabuisiert und
ignoriert.
Auch die schwule Community redet nicht allzu offen darüber. Es gibt diese
Angst, dass das Klischee vom kranken, psychisch gestörten oder
pathologischen Schwulen wiederbelebt wird. Mir ist es wichtig, dieses
Phänomen zu erforschen, ohne diese Kultur zu verdammen oder zu feiern.
Wenn es in der Barebacking-Szene um sexuelles Risiko geht, wer genau sucht
dabei welches Risiko?
Im Präventions-Diskurs über Barebacking gibt es die fälschliche Annahme,
dass Barebacking von Männern ausgeht, die sogenannte Tops sind - also
Männer, die andere Männer penetrieren - und die sich nicht um Kondome
scheren, einfach weil sich Sex ohne Kondom besser anfühlt. In der Subkultur
ist das aber anders: Die sogenannten "Bottoms" - also die passiven
Sexpartner, jene, für die es sich überhaupt nicht unbedingt anders anfühlt,
ob der "Top" ein Kondom trägt oder nicht - sind es, die wollen, dass kein
Kondom benutzt wird.
Was hat der passive Sexpartner davon, sich bewusst dem Infektionsrisiko
auszusetzen?
Es ist kein Geheimnis, dass Schwule auf Männlichkeit stehen. Eine der
Motivationen innerhalb der Bareback-Szene ist, dass es dich männlicher
macht, wenn du dich penetrieren lässt. Konventionell gedacht bedeutet
Penetration, verweiblicht zu werden. Barebacking kehrt diese hartnäckige
Idee um: Von verschiedenen Männern penetriert zu werden, ihr Sperma in sich
aufzunehmen, heißt hyper-maskulin zu werden. Mich fasziniert an der
Barebacking-Subkultur auch, wie die Penetration von einem Zeichen
weiblicher Verletzbarkeit zu einem Symbol maskuliner Stärke macht.
Könnte es sein, dass Barebacker glauben, ihr Sexleben wäre sozusagen
"entspannter", sobald sie infiziert sind?
Klar. Barebacking hat vielfältige und widersprüchliche Motivationen. Einer
der Gründe kann die paradoxe Idee sein, dass ich mir in dem Moment, wo ich
das Virus habe, über eine HIV-Ansteckung keine Sorgen mehr machen muss.
Eine gewisse Unsicherheit ist damit abgeschafft. Aber diese Logik erklärt
noch nicht, warum auch das Virus selber in der Subkultur fetischisiert
wird.
3 Sep 2010
## AUTOREN
Peter Rehberg
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