| # taz.de -- Vater von Opfern des deutschen Angriffs: "Was, wenn man zwei Söhne… | |
| > Beim Tanklasterangriff in Kundus vor einem Jahr starben zwei Söhne von | |
| > Abdul Hanan. Er bekam von der deutschen Regierung für jeden Sohn nur | |
| > 1.900 Euro Entschädigung – und einen Sack Mehl. | |
| Bild: Trauer vor dem Sandgrab: Angehörige von Opfern des Tanklaster-Angriffs. | |
| taz: Herr Hanan, auf wen sind Sie wütend? | |
| Abdul Hanan: Auf denjenigen, der den Befehl gab, die Bomben abzuwerfen. Er | |
| ist schuld am Tod meiner Söhne. Nach dem Angriff habe ich mir gewünscht, | |
| dass er bestraft wird. Heute bin ich nicht mehr wütend. Wenn der Schuldige | |
| ausgeliefert wird - was bringt es mir? Lieber sollen die Witwen Hilfe | |
| bekommen, die in dieser Nacht ihre Männer verloren haben, die nun mit neun | |
| Kindern dastehen und ohne Geld. Wenn der Vater nicht mehr arbeitet, hat man | |
| gleich die gesamte Familie umgebracht. Ich hatte Glück, ich kann noch | |
| arbeiten und für meine sechs anderen Kinder sorgen. | |
| Erinnern Sie sich an die Ereignisse am Abend des 3. September 2009? | |
| Ich war zu Hause bei meiner Familie. Es war Ramadan, wir haben am Abend | |
| gerade das Fasten gebrochen, es war vielleicht 18 Uhr. Auf der Straße vor | |
| unserem Haus steckten die Taliban mit zwei Tanklastern im Schlamm fest. Vom | |
| Haus aus konnten wir alles sehen, sie waren nur 800 Meter entfernt. Eine | |
| Menschentraube hatte sich gebildet, vielleicht 100 bis 150 Leute, auch | |
| Anwohner aus den umliegenden Dörfern. Die Taliban versuchten mit Traktoren, | |
| die Laster aus dem Schlamm zu ziehen. Aber es gelang ihnen nicht. Also | |
| ließen sie Diesel ab und verschenkten ihn, um die Laster leichter zu | |
| machen. Natürlich hat jeder versucht, etwas für sich abzuknapsen - wir sind | |
| arm hier. Das ging stundenlang so. | |
| Sie machten sich auch auf den Weg? | |
| Nein, wir haben uns schlafen gelegt. Gegen 23 Uhr kamen unsere Nachbarn zu | |
| uns und riefen: "Wacht auf, ihr Idioten! Hier gibts Diesel umsonst!" Mir | |
| war das egal, ich ging zurück ins Bett. Aber meine Söhne wollten hin, ich | |
| war einverstanden. Sie hatten Metallkanister in der Hand, als sie | |
| losgingen. Es war das letzte Mal, dass ich sie lebend gesehen habe. San | |
| Ullah war elf und Abdul Saian zwölf Jahre alt. | |
| Was passierte, nachdem Ihre Söhne losgingen? | |
| Gegen ein Uhr nachts bin ich wach geworden - sie waren immer noch nicht zu | |
| Hause. Knapp eine Stunde später hörte ich die Flugzeuge, dann zwei Bomben. | |
| Ich wusste sofort, dass meine Söhne tot sind. Alle, die dort waren, mussten | |
| tot sein. Dann bin ich losgerannt, um sie zu holen. | |
| Haben Sie sie gefunden? | |
| Ja. Wenn man so will, hatte ich Glück, dass ich meine Söhne überhaupt | |
| erkannt habe. Sie waren noch klein und hatten es im Menschengedränge nicht | |
| weit nach vorn geschafft. Die Opfer, die näher an den Tanklastern standen, | |
| waren nicht mehr zu identifizieren. Sie waren komplett verbrannt. Meinen | |
| Söhnen fehlten Arme und Beine. Sie hatten Verbrennungen im Gesicht, sie | |
| wiederzuerkennen war nicht leicht. Ich konnte sie nicht mal mehr ins | |
| Krankenhaus bringen. Sie waren tot. Beide tot. Was macht man, wenn man zwei | |
| Söhne verliert? | |
| Was haben Sie gemacht? | |
| Ich habe sie nach Hause gebracht, zusammen mit meinem Bruder, der auch | |
| einen Sohn verloren hat. Dann kamen die Journalisten, die Fernsehteams. | |
| Noch am selben Tag haben wir unsere Söhne beerdigt, zusammen mit elf | |
| anderen Opfern. Insgesamt starben 16 Menschen aus meinem Dorf, es gab viele | |
| Verletzte. In den Wochen danach war es, als hätte ich ein Körperteil | |
| verloren. Aber das wäre sogar einfacher gewesen, als ein Kind zu verlieren. | |
| Ich fühle mich noch immer amputiert. 20 Tage habe ich gebraucht, bis ich | |
| wieder am Leben war. | |
| Wie wurden Sie entschädigt? | |
| Nicht angemessen. Aber darauf kann man in diesem Land nicht hoffen, es ist | |
| korrupt. Die Politiker versuchen, sich an den ausländischen Entschädigungen | |
| zu bereichern. Die afghanische Regierung schrieb uns nach Ramadan einen | |
| Brief: Sie versprachen den angehörigen Familien für jedes Opfer 1.600 Euro | |
| Trauergeld. Aber bei den Zählungen machte die Regierung aus Zivilisten | |
| plötzlich Talibankämpfer. Sie wollten auf ihrer Liste alle Opfer als | |
| Taliban abstempeln, um kein Trauergeld zahlen zu müssen. Auch meinen Sohn | |
| Abdul Saian, der erst zwölf Jahre alt war, zählten sie als Talibankämpfer. | |
| Dabei hatte er gar keine Waffe bei sich, nur einen Kanister für den Diesel. | |
| Er war ein kleiner Junge, der noch zur Schule ging. Das ist doch völlig | |
| irrsinnig! | |
| Haben Sie andere Hilfen erhalten? | |
| Ja. Von einer internationalen Hilfsorganisation habe ich eine Kuh und etwas | |
| Medizin bekommen. Deutschland schickte uns sogenannte Winterhilfe - Pakete | |
| mit einem Sack Mehl, fünf Decken und fünf Litern Kochöl. | |
| Wie viel Geld verdienen Sie im Monat? | |
| So viel, wie meine Ernte bringt - vielleicht 100 Dollar, minus die Ausgaben | |
| für Vieh und Feld. Ich bin Bauer, wie fast alle im Dorf. Ich ging nie zur | |
| Schule, kann nicht lesen und nicht schreiben. Wenn ich Hilfsgelder | |
| entgegennehme, unterschreibe ich mit meinem Fingerabdruck. | |
| Haben sich die Deutschen in Ihren Augen angemessen verhalten? | |
| Die deutschen Soldaten sind immer sehr hilfsbereit gewesen. Ich hätte mir | |
| nicht vorstellen können, dass der Befehl zum Bombenangriff ausgerechnet von | |
| ihnen kommen würde. Vor ein paar Wochen kamen zwei Leute der deutschen | |
| Regierung ins Dorf. Sie sagten: "Es ist passiert. Das können wir nicht | |
| rückgängig machen. Aber wir werden euch helfen." Sie haben uns 3.800 Euro | |
| pro Opfer versprochen. Für meine Söhne zahlten sie nur die Hälfte, weil sie | |
| noch nicht verheiratet waren. Verletzte, die überlebt haben, erhielten das | |
| gleiche Geld. Das ärgert mich. Mir wäre es lieber, wenn meine Söhne beide | |
| Hände und Füße verloren hätten, aber noch am Leben wären. Wie alle anderen | |
| hat sich auch der deutsche Verteidigungsminister verhalten. Er hat so viele | |
| Versprechen gemacht. Aber was ist passiert? 3.800 Euro - und tschüss. | |
| Was wünschen Sie sich für die Zukunft? | |
| Ich wünsche mir, dass die Hilfsgelder bei denen ankommen, die sie wirklich | |
| brauchen. Die Deutschen bauen jetzt Brücken und Straßen. Das bringt mir | |
| nichts. | |
| 3 Sep 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| A. Coen | |
| N. Gantenbrink | |
| J. Prosinger | |
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