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# taz.de -- Interview über Vergewaltigungs-Prozesse: "Würgemale am Hals"
> Heute begann der viel beachtete Prozess gegen Jörg Kachelmann:
> Rechtsmedizinerin Saskia Guddat über das Dilemma von Missbrauchsopfern
> und die Probleme der Spurensicherung.
Bild: Oft ein Hinweis auf eine Vergewaltigung: Würgespuren.
taz: Frau Guddat, Sie haben als Rechtsmedizinerin mehrfach Opfer von
Vergewaltigungen untersucht. Wie ging es den Frauen, die zu Ihnen kamen?
Saskia Guddat: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Frauen, die sehr
distanziert, sehr beherrscht sind. Wenn eine Frau schnell Schutzbarrieren
hochziehen kann, dann ist sie ruhiger. Bei manchen hat man das Gefühl, dass
sie sich von der Sache in kurzer Zeit psychisch abgespalten haben. Es gibt
aber auch Frauen, die sehr aufgewühlt sind, die noch stark unter dem
Eindruck des Geschehenen stehen.
Die Berliner Charité arbeitet seit Juni in einem Pilotprojekt mit dem
Landeskriminalamt zusammen. Die Opfer sollen mit Fingerspitzengefühl
untersucht und Spuren besser gesichert werden. Was genau tun Sie?
Die Polizei kommt mit Frauen oder auch Männern, die Anzeige erstattet
haben, in eine der drei Rettungsstellen der Charité. Bis jetzt gab es in
Berlin keine gerichtsfeste standardisierte Dokumentation für Opfer
sexualisierter Gewalt. Wir haben ein Verfahren entwickelt, wie man Befunde
so sichert, dass sie vor Gericht Bestand haben.
Wie gehen die Charité-Mitarbeiter vor?
Die Ärzte sichern zunächst DNA-Spuren, damit man den Täter identifizieren
kann. Das ist aber nur ein Aspekt. Die Anwälte der Beschuldigten raten
ihren Mandanten heute häufig, den Sexualkontakt zuzugeben, aber zu sagen,
dass er freiwillig war. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Ärzte den
gesamten Körper anschauen. Sie müssen Verletzungen fotografieren und
schriftlich festhalten. Wenn der Angeklagte vor Gericht zum Beispiel
behauptet, der Sexualkontakt sei freiwillig gewesen, das Opfer hatte aber
Würgemale am Hals, dann passt das offensichtlich nicht zusammen.
Kaum zu glauben, dass es in Berlin bisher keine standardisierten
Untersuchungen gab.
Es passierte immer wieder, dass Polizisten bei uns in der Rechtsmedizin
angerufen haben. Sie waren in anderen Kliniken abgewiesen worden, weil man
dort keine Zeit oder kein Know-how hatte, um sich um das Opfer zu kümmern.
Es kam auch vor, dass die gesicherten Spuren später schimmelten. Oder dass
Verletzungen nicht dokumentiert wurden. Deshalb ist das Pilotprojekt so
wichtig. Wenn Frauen den Mut aufbringen anzuzeigen, sollen sie das nicht
umsonst gemacht haben. Sie nehmen diesen oft qualvollen Weg auf sich.
Trotzdem wird der Täter am Ende freigesprochen, weil Aussage gegen Aussage
steht und die gerichtsverwertbaren Spuren fehlen. Da kommt es dann zur
sekundären Viktimisierung, die Frauen werden zum zweiten Mal Opfer.
Wer sexuelle Gewalt erfahren hat, ist meist traumatisiert. Inwiefern nehmen
die Ärzte darauf Rücksicht?
Die Ärzte wurden im opferzentrierten Umgang von einer Psychologin geschult.
Zunächst gibt es ein Gespräch, in dem geklärt wird, was passiert ist.
Danach beginnt die Spurensicherung. Wenn etwa gebissen, geleckt oder
geküsst wurde, findet man DNA-Spuren. Sich für die Untersuchung des Körpers
auszuziehen, ist für viele Opfer schwierig. Deshalb bitten die Ärzte darum,
einzelne Körperteile zu entkleiden.
Auch wenn das lange dauert und draußen andere Patienten warten?
Natürlich. Die Ärzte geben dem Opfer auch die Zeit, sich zwischendurch
Pausen zu nehmen, sich wieder anzuziehen. Die Patientin bestimmt, was
stattfindet und in welcher Geschwindigkeit es stattfindet. Das kann dann
auch ein erster Schritt sein, die Gewalt über den eigenen Körper, die
Selbstbestimmung zurückzugewinnen. Denn das ist ja das Problem bei
Sexualdelikten.
Was passiert, wenn die Frau oder der Mann sagt: "Ich kann nicht mehr"?
Dann stoppt das Ganze. Dann gibt man dem Opfer Zeit, sich wieder zu fangen.
Und wenn es das nicht tut?
Meine Erfahrung ist, dass sich die Opfer immer wieder stabilisieren.
Wichtig ist, dass die Ärzte ehrlich sagen, was sie tun und warum sie etwas
tun. Ganz am Ende folgt die gynäkologische Untersuchung oder, bei
männlichen Opfern, die proktologische Untersuchung im Analbereich.
Die allermeisten Täter sind Männer. Die Nähe eines männlichen Arztes könnte
bei den Opfern Ängste auslösen.
Deshalb bemühen wir uns um gleichgeschlechtliche Untersuchungen. Es wird
aber sicherlich Situationen geben, in denen gerade keine Ärztin anwesend
ist. Wenn ein Mann untersucht, dann bleibt immer auch eine weibliche
Pflegekraft dabei.
Was sind denn typische Verletzungen, die man nach einer Vergewaltigung
findet?
Beim Herunterreißen des Slips kann das Opfer mit dem Fingernagel verletzt
worden sein. Wenn der Täter gewaltsam am BH-Träger gezerrt hat, sieht man
das hinterher manchmal auch. Klassische Verletzungen sind aber auch
Griffspuren an den Oberarmen oder Hautunterblutungen an den Beinen, die
dadurch entstehen, dass gewaltsam die Oberschenkel auseinandergedrückt
wurden. Auf all das achten unsere Ärzte. Sie schauen auch, ob es
Punktblutungen in der Gesichtshaut gibt. Die sind ein Hinweis darauf, dass
das Opfer in Lebensgefahr schwebte. Wobei man sagen muss: Verletzungen
sehen wir nur in 50 Prozent der gesicherten Vergewaltigungen. Wenn der
Täter eine Waffe hat, wird sich das Opfer wahrscheinlich nicht wehren und
trägt auch keine Verletzungen davon. Trotzdem ist es vergewaltigt worden.
Kürzlich hat der pensionierte Berliner Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge
gesagt, dass er seiner Tochter nach einer Vergewaltigung von einer Anzeige
abraten würde. Können Sie das verstehen?
Sicherlich ist es für viele Frauen schlimm, vor Gericht alles minutiös
darzulegen und am Ende möglicherweise zu sehen, dass der Beschuldigte
freigesprochen wird. Insofern kann ich Herrn Karges Aussagen
nachvollziehen. Aber ich bin nicht der Meinung, dass wir als Gesellschaft
akzeptieren sollten, dass es sexualisierte Gewalt gibt. Von einer Anzeige
abzuraten, halte ich deshalb für falsch.
Für das einzelne Opfer mag es trotzdem der richtige Weg sein.
Aber das hat möglicherweise Konsequenzen für andere. Schauen Sie sich
Serientäter an. Wie viele Frauen müssen dran glauben, bis eine anzeigt?
Was schlagen Sie vor?
Wenn etwas im Argen liegt, muss man es ändern. Die Situation der Opfer ist
in Berlin in der Tat nicht gut. In anderen Städten wie in Hamburg gibt es
eine Gewaltopfer-Ambulanz, an die sich Frauen und Männer, die Gewalt
erleben, wenden können. Rechtsmediziner und Gynäkologen untersuchen dort
gemeinsam die Opfer sexualisierter Gewalt, um Spuren optimal zu sichern und
Verletzungen zu dokumentieren. Etwas Vergleichbares hat Berlin bislang
nicht. Das ist auch ein Grund, warum wir das Pilotprojekt ins Leben gerufen
haben.
Falls eine Frau nicht gleich Anzeige erstatten will, kann sie sich trotzdem
an Sie wenden und später entscheiden, ob sie zur Polizei geht?
Leider nein. Anders als etwa in Hessen oder Nordrhein-Westfalen haben wir
in Berlin bis jetzt nicht die Möglichkeit der anonymisierten
Spurensicherung. An der Charité gibt es zwar eine Anlaufstelle für Opfer
häuslicher Gewalt. Dort werden aber nur Verletzungen dokumentiert, nicht
die DNA-Spuren gesichert. Das derzeitige Pilotprojekt richtet sich
tatsächlich nur an Frauen und Männer, die in Polizeibegleitung kommen. Die
Ärzte geben den Beamten die Ergebnisse der Untersuchungen mit. Wir haben in
der Klinik schlicht nicht die Möglichkeit, die Spuren so wegzuschließen,
dass sie vor Gericht Bestand hätten.
Wie schnell muss das Opfer nach der Tat Anzeige erstatten, damit die
Untersuchung Beweise bringt?
Innerhalb der ersten 72 bis 78 Stunden ist es noch möglich, die DNA zu
sichern. Liegt der Vorfall Wochen zurück, können wir nichts mehr machen.
6 Sep 2010
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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