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# taz.de -- "Die Blechtrommel" auf der Bühne: Im Ekel am besten
> Armin Petras und Jan Bosse haben den berühmtesten Roman von Günter Grass,
> "Die Blechtrommel", bei der Ruhrtriennale in Bochum auf die Bühne
> gebracht – zum ersten Mal überhaupt.
Bild: Generalprobe in Bochum am 6. September 2010.
Über die "Blechtrommel" konnte man reden. Dieser Roman, 1959 geschrieben,
machte Günter Grass berühmt. Auch dort, wo sonst Schweigen herrschte
zwischen Kindern und Eltern über die Zeit des Nationalsozialismus, brachen,
von Oskar Matzeraths Trommelschlägen angetrieben, Erinnerungen hervor.
Das war nicht unbedingt ein Diskurs über Schuld, Mitläufertum und Politik,
die man durchaus an dem Roman hätte festmachen können, sondern eher über
Zerstörungslust, das Groteske des Krieges und des Todes und über Ekel. Im
Ekel ist die Sprache von Günter Grass besonders groß. Und wenn man darüber
sprach, wie Oskars Mutter Agnes sich zu Tode kotzte, angewidert von
aasfressenden Aalen und erdrückt von der Schuld ihrer Untreue, dann war nie
ganz sicher, ob dieser Ekel nicht sehr viel mehr umfassen und eine andere
Schuld meinen konnte als jahrelange Seitensprünge.
Die Szene mit den Aalen
Auf den Ekel legt auch die Bühnenfassung, die jetzt, ein halbes Jahrhundert
später, von Armin Petras (Text) und Jan Bosse (Inszenierung) herausgebracht
wurde, großen Wert. Zum Beispiel die Szene mit den Aalen, die im Roman mit
einem Pferdekopf geködert werden: Das sieht auf der Bühne anfangs mehr nach
Kindergeburtstag aus und beharrt, ganz im Sinne von Oskar Matzerath, auf
infantilem Eigensinn.
Die Schauspieler, die sich im Erzählen abwechseln und dabei ganz nah
dranbleiben am Rhythmus der mäandernden Sätze von Grass, sitzen
nebeneinander an der Rampe. Sie lutschen bunte Gummischnüre, grün und rosa
schillernd. Sie kauen drauf herum, spucken sie aus und bewerfen sich damit,
während ihre Worte flink wie die Fische durch den Schädel des toten Pferdes
flitzen, Agnes in den Bauch und an die Gurgel springen.
Der spuckfeuchte Süßkram landet unter einer Digitalkamera, die sein Bild
groß auf eine Leinwand hinter den Schauspieler projiziert: wimmelnd und
bäh. Gerüche, Geschmack, Sinneseindrücke und körperliche Erfahrungen sind
äußerst präsent in der Sprache von Günter Grass, die damit für die Körper
auf der Bühne eine große Konkurrenz darstellt. Und tatsächlich scheint es
in der gut dreistündigen Produktion fast über eine Stunde so, als hätten
der Regisseur und die vier Frauen und drei Männer, die Oskars Erzählfaden
gemeinsam fortspinnen, Angst vor dieser Konkurrenz der mächtigen
Sprachbilder. Denn sie fügen ihnen nur wenig hinzu.
Es dauert lange, bis die Erzähler zueinander ein Verhältnis gefunden haben,
das die Verhältnisse unter den erzählten Figuren kommentiert, unterstützt
oder anzweifelt. Erst dann aber wird die Sache auch spannend, wenn zur
Perspektive des Romans andere hinzukommen. Das aber geschieht zu selten in
der Uraufführung in der Jahrhunderthalle Bochum, die Teil der Ruhrtriennale
ist; ab Ende September läuft das Stück dann im Maxim Gorki Theater in
Berlin.
Zu schüchtern
Solche Koproduktionen mit einem Festival gelten für ein Stadttheater oft
als Visitenkarte seiner besonderen Stärke. Und tatsächlich hat sich der für
die Stückfassung verantwortliche Armin Petras sowohl mit eigenen Stücken
als auch mit Dramatisierungen nach Romanen der DDR-Literatur einen Namen
als Erzähler der zweigeteilten deutschen Geschichte gemacht. Und so dachte
man sich den Stoff der "Blechtrommel" samt seiner Karriere im
Nachkriegsdeutschland bei Petras und seinem Kollegen Jan Bosse eigentlich
gut aufgehoben. Doch etwas hat ihre Annäherung zu schüchtern gemacht, sei
es der Respekt vor dem Roman oder die Kapitulation vor der Fülle all
dessen, was hier erzählt werden will.
Erzählen bis zur Erschöpfung, erzählen bis zum Umfallen: Die englische
Performance-Gruppe Forced Entertainment, die auch oft in Deutschland tourt,
hat daraus eine eigene Form gemacht, ein grandioses postdramatisches
Theater, mit Texten, die genau dafür entstanden sind, eine schiere
Unendlichkeit des Stoffes in minimalistische Formen zu packen. Die
Inszenierung der "Blechtrommel" sieht lange so aus, als habe sie sich daran
ein Vorbild genommen, und hat dabei übersehen, dass ein Roman aber von
Anfang an ganz andere Setzungen macht.
Ein gieriges Auge
Das Ergebnis ist, dass man mehr eine Fleißarbeit denn eine Transformation
des Erzählens vor sich sieht. Ein großer Teil der Faszination, die von
Oskar Matzerath ausgeht, beruht auf der "Unter dem Tisch und unter den
Röcken"-Perspektive des kleinen Mannes, der mit drei Jahren beschloss,
nicht mehr zu wachsen: Ein waches, geradezu gieriges Auge wirft er auf alle
Heimlichkeiten der Erwachsenen.
Was für die Inszenierung bedeutet, dass nach den Kinderklamotten und dem
recht eindrücklichen Gedrängel zu fünft in einer Naziuniform Nachthemden
und Unterwäsche als Kostüme dran sind. Alles, was noch unter der Wäsche
liegt, malt eine Hand mit Filzstift in einer Projektion auf die Körper; und
wie die Hand wütend herumzufuhrwerken beginnt, das ist ein viel besseres
Bild von uneingelöstem sexuellem Begehren als die anschließende Szene, in
der das ganze Ensemble Hilfestellung bei einem Beischlaf leistet.
Klar machten, gerade in den fünfziger und sechziger Jahren, auch diese
grotesken Schlüsselloch-Einstellungen den Roman groß. Für das Theater aber
wirkt das mehr wie eine Routineübung, mit der man sich aus der Distanz der
Prosa näher an die Figuren heranbeamen will. Wer nach der Geschichte aber
mit so großen Löffeln greift wie Bosse und Petras hier, sollte doch etwas
mehr als netten Bühnensex auf dem Kasten haben.
9 Sep 2010
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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