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# taz.de -- Züchtungsstation gegens Aussterben: Die Kummer-Hummer vor Helgoland
> Bis vor 50 Jahren lockten die Fischer 50.000 Hummer in ihre Körbe, heute
> gibt es insgesamt bloß 30.000. Seit zehn Jahren bemühen sich Forscher,
> dem Hummer zu helfen.
Bild: Soll seine Art erhalten: Helgoländer Zuchthummer vor der Auswilderung.
HELGOLAND taz | Wenn Ebbe ist, fährt Klaus Walter Grahmann wieder raus. Zur
Westseite von Helgoland, dort hat er seine Körbe in die Nordsee geworfen.
Ein guter Ort, sie müssen in der Nähe der Klippen sitzen, an den Kanten der
Riffs. Dort, in den Felsen, wohnen die meisten der Helgoländer Hummer. Wenn
die Tiere in der Nacht Hunger bekommen, kriechen sie aus ihren Verstecken
und suchen nach Futter.
Riechen sie die Stückchen Dorsch oder Scholle, die Grahmann in die Körbe
gelegt hat, krabbeln sie manchmal durch das kleine Loch in den Korb,
fressen die Fische und bleiben. "Ab und zu sitzt dann einer drin", sagt der
Fischer. Am nächsten Tag zieht er die Körbe in sein Boot. Grahmann ist 67,
das Tattoo auf seinem Arm ist ausgeblichen, die weißen Haare versteckt er
unter einer schwarzen Kappe. Darauf die Helgoland-Flagge, grün, rot und
weiß - Grün ist das Land, rot ist die Kant und weiß der Sand.
200 bis 300 Hummer verkaufen Grahmann und seine vier Kollegen im Jahr an
die örtlichen Restaurants. Bis vor fünfzig Jahren noch konnten hunderte
Fischer 50.000 Tiere jährlich in ihre Körbe locken. Über viele Jahrhunderte
ernährte die Hummerfischerei auf Helgoland einen großen Teil der
Bevölkerung. Grahmann und die anderen sind die Letzten, die den Beruf heute
ausüben. In Deutschland wird der edle Krebs nur noch vor ihrer Insel
gefischt.
Unter die Scheren greifen
"Bis in die Dreißigerjahre lebten eine Million Hummer vor Helgoland",
erzählt Isabel Schmalenbach. Die Umweltwissenschaftlerin ist 34, arbeitet
seit fünf Jahren für das Hummerprojekt des Alfred-Wegener-Instituts auf der
Insel. Heute seien es gerade mal 30.000, die sich vor Helgoland verstecken.
Über die Gründe des Rückgangs können die Wissenschaftler nur spekulieren:
Im Zweiten Weltkrieg wurde Helgoland so stark bombardiert, dass wohl auch
tausende Hummer keinen Lebensraum mehr fanden. Danach wurde viel zu viel
Hummer auf Helgoland gefischt. Schließlich der Industrieboom der sechziger
Jahre: Schifffahrt und Tankerunglücke hinterließen Schadstoffe im Wasser,
etwa Öl. Das ist besonders schädlich für Hummer: Zu viel Öl im Wasser
beeinträchtigt ihr Geruchsvermögen - sie können sich nicht mehr riechen,
sich so nicht finden, und damit auch nicht paaren.
Seit etwa zehn Jahren greifen Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts
dem Hummer in dieser Hinsicht ein wenig unter die Scheren. Schmalenbach und
ihre Kollegen verpaaren die Schalentiere miteinander, ziehen die Nachkommen
auf und setzen sie schließlich im Meer frei. Es ist ein Versuch. Die
Forscher wollen herausfinden, ob es eine Chance gibt, der Hummerpopulation
über die kritische Grenze zu helfen, von der aus sie selbst stetig mehr
werden kann. Denn die Hummer könnten sich zwar vermehren, doch es sind so
wenige davon im Wasser, dass sie sich oft schlichtweg nicht finden.
Auch Jan der Rammler ist bei diesem Vorhaben trotz seines eindrucksvollen
Namens keine große Hilfe. Er ist einer der vier Hummermännchen der Station,
eigentlich zuständig für die Befruchtung der Weibchen. Schmalenbach aber
musste feststellen: "Jan kriegt das mit dem Umdrehen nicht so gut hin."
Dabei ist das Drehen des Weibchens eine der wesentlichen Voraussetzungen
für Hummersex. Die meisten Hummerdamen hier hat Jans Kollege Charly
umgedreht, um dann sein Sperma in das Weibchen abzugeben. Kriegt Jan es
nicht bald hin, wird er wieder ausgesetzt.
Etwa 600 Nachkommen seiner Kollegen sitzen im Moment einzeln in der
Züchtungshalle des Instituts. An die 10.000 fingergroße Hummer haben
Schmalenbach und ihre Kollegen bisher ins Meer geworfen. Ein Tropfen auf
den heißen Stein, meint Schmalenbach. Damit die Population über die
kritische Grenze wächst, müssten sie 250.000 Hummer großziehen und
aussetzen. "Wir wollen den Hummerbestand aber nicht nur deshalb wieder
aufstocken, damit es mehr davon zu essen gibt", sagt Schmalenbach. Der
Hummer sei auch für das Ökosystem rund um die Insel von Bedeutung, er
frisst kleine Krebse und Algen, reguliert so auch die Artenvielfalt der
Nordsee.
Die meisten Hummer auf deutschen Speisekarten sind aus Kanada oder den USA
importiert - meist unter strapaziösen Bedingungen für die Tiere. Wochenlang
stapeln sich die Hummer oft in dunklen Kisten ohne Futter in Kühlhäusern,
kritisiert die Tierschutzorganisation Peta.
Die Restaurants zahlen dem Helgoländer Fischer Grahmann rund 35 Euro pro
Kilogramm für seine Hummer. Doch er verkauft nicht jeden: Weibchen, die
Eier an ihrem Bauch tragen zum Beispiel, bringt er zur Hummerstation. Die
Biologen züchten daraus neuen Nachwuchs. Dafür gibt es eine kleine Prämie.
Lange nicht so viel wie er auf dem Markt bekommen würde. Doch er macht das
gerne, sagt er, weil er helfen will. "Wir arbeiten hier gut mit den
Fischern zusammen", sagt Forscherin Schmalenbach.
Grahmann ist seit mehr als fünfzig Jahren Fischer auf Helgoland. Ein paar
Jahre fischte er auf der Hochsee, bis es ihn zurück auf seine Insel zog.
Die vergangenen Wochen hat er damit verbracht, seine Körbe zu reparieren,
Bojen und Schnüre zu überprüfen. Ein paar Leinen hat er ausgetauscht, sie
scheuerten an den scharfen Felsen auf.
Grahmann musste sich eine ganze Weile anderweitig beschäftigen, der
Helgoländer Hummer hatte bis vor Kurzem Schonzeit und durfte nicht gefischt
werden, damit er sich möglichst ungestört fortpflanzen kann. In dieser Zeit
suchen sich die Weibchen einen Partner. Haben sie einen gefunden, häuten
sie sich und warten darauf, befruchtet zu werden. Wenn ihnen nicht das Öl
im Meer dazwischenkommt.
11 Sep 2010
## AUTOREN
Maria Rossbauer
Maria Rossbauer
## TAGS
Sehnsucht Sommer
Meeresschutz
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