# taz.de -- 67. Filmfestival Venedig: Goldener Löwe geht an Coppola | |
> Viele politische Filme gab es beim diesjährigen Festival von Venedig zu | |
> sehen. Den Hauptpreis gewann jedoch Sophia Coppola mit ihrem Drama über | |
> die Sinnkrise eines Hollywoodstars. | |
Bild: Endlich wieder eine Preisträgerin: Sophia Coppola holt den Löwen. | |
Ein Unwetter ging über Venedig nieder, als Sofia Coppolas Film "Somewhere" | |
in der Sala Darsena der Presse vorgeführt wurde. Obwohl der Saal ein | |
Leichtbau aus Holzpaneelen ist, blieben die Filmkritiker trocken. Auf dem | |
Lido standen binnen kurzer Zeit die Straßen unter Wasser, und durch das | |
Dach des dreistöckigen Kasinos regnete es durch. | |
Wer an der Notwendigkeit eines neuen Gebäudes für die Filmbiennale | |
zweifelte, musste sich nur die Wasserflecken an der Decke anschauen, um | |
seine Meinung zu ändern. Schade nur, dass das Baugelände zwar seit einem | |
Jahr umrüstet ist, die Arbeiten aber noch gar nicht begonnen haben, weil | |
Asbest gefunden wurde. Für "Somewhere" unterdessen war das Unwetter kein | |
schlechtes Omen, im Gegenteil. Die von Quentin Tarantino präsidierte Jury | |
verlieh Coppoals Film den Goldenen Löwen. | |
Das ist allein schon deshalb keine schlechte Entscheidung, weil "Somewhere" | |
in gewisser Weise repräsentativ für die 67. Mostra Internazionale dArte | |
Cinematografica steht. Denn der Film spielt eines der Leitmotive des | |
Festivals, die Reflexion über das Showbusiness, durch. Coppola erzählt von | |
einem Filmstar in Los Angeles, Johnny Marco (Stephen Dorff), der sich in | |
einem Nebel aus Melancholie und Narzissmus bewegt. Seine Tage füllt er, | |
indem er mit seinem schwarzen Ferrari über die Highways fährt, sich auf | |
Partys betrinkt, flirtet oder sich Tänzerinnen auf seine Suite im Chateau | |
Marmont Hotel bestellt. Sie tanzen in rosa-weiß gestreiften | |
Schwesternkitteln für ihn, eine Reminiszenz an einen Porno aus den 70er | |
Jahren, doch er schläft noch während ihrer Performance ein. Als seine elf | |
Jahre alte Tochter bei ihm einzieht, macht sich in Marco ein Unbehagen | |
breit, ein Unbehagen an der Leere, der Oberflächlichkeit, an seinem | |
komfortablen, aber leidenschaftslosen Leben in diesem wattierten West | |
Hollywood. | |
"Somewhere" ist ein sympathischer Film, Coppola versteht sich auf | |
lakonische Pointen, ihrem milden Spott schaut man gern zu, und Harris | |
Savides, der Kameramann, findet Einstellungen, die in den besten | |
Augenblicken an das Kino New Hollywoods erinnern. Zugleich bleibt | |
"Somewhere", darin seiner Hauptfigur verwandt, an der Oberfläche. Er schaut | |
sich Phänomene an, ohne sie durchdringen zu wollen, und freut sich immer | |
wieder an ebenden Reizen, in denen er doch eigentlich den Ausweis der | |
Oberflächlichkeit erkennt. | |
Krach allein ist gar nichts | |
Wenn Marco am Ende auf einer Landstraße aus seinem Ferrari steigt, im | |
Abendlicht auf die Kamera zukommt und schließlich an ihr vorbei aus dem | |
Bild geht, dann ist das zwar eine der vielen schönen, leer geräumten | |
Einstellungen dieses Festivals, aber auch ein recht einfacher Ausweg aus | |
einem Konflikt, der viel tiefer reicht, als "Somewhere" zu verhandeln | |
imstande ist. | |
Deshalb ist die Entscheidung der Jury auch ein bisschen enttäuschend. Gern | |
hätte man den Löwen bei einem radikaleren Film gesehen, bei Kelly | |
Reichardts Western "Meeks Cutoff" zum Beispiel oder bei Takashi Miikes | |
tollem Samurai-Film "Jûsan-nin no shikaku" ("13 Assassins"), der auf eine | |
für den japanischen Regisseur ungewöhnlich geradlinige Weise davon erzählt, | |
wie ein Trupp von Samurai-Kämpfern dem Machthaber Naritsugu nach dem Leben | |
trachtet, weil nur der Tyrannenmord das Land davor bewahren kann, in | |
Willkür zu versinken. | |
Was den Film so besonders macht, ist nicht nur sein ausgedehntes, an | |
Kurosawas "Sieben Samurai" erinnerndes Finale, es ist auch der Umstand, | |
dass man dabei zuschaut, wie eine etablierte gesellschaftliche Ordnung an | |
ihr Ende kommt. Die Welt der Samurai samt ihren Vorstellungen von Ehre ist | |
im Begriff, unterzugehen, und alle Figuren sind sich dessen bewusst. | |
"Jûsan-nin no shikaku" ist - typisch für Miike - ein sehr gewalttätiger | |
Film. Was ihn von anderen gewalttätigen Filmen unterscheidet, ist, dass er | |
niemals gemeinsame Sache mit dem Sadismus eines Lord Naritsugus macht. | |
Letzteres lässt sich von "Balada triste de trompeta" ("Traurige | |
Trompetenballade") nicht sagen. Der grotesk-überspannte Film des spanischen | |
Regisseurs Álex de la Iglesia hat den zweitwichtigsten Preis des Festivals | |
gewonnen, den Silbernen Löwen für die beste Regie, und dazu noch eine | |
Osella für das beste Drehbuch. | |
"Balada triste de trompeta" steht in der Tradition des Grand-Guignol und | |
versucht sich an einer Art Teufelsaustreibung: Der Teufel ist der | |
Franquismus, der Held ein trauriger Clown im Zirkus, auf den so lange | |
eingeschlagen wird, bis er rotsieht - ein Rambo im Clownsgewand, das | |
Gesicht so von Säure verätzt und von Brandwunden entstellt, dass die | |
Clownsmaske zur Fratze auf Lebenszeit geworden ist. De la Iglesias Versuch | |
einer phantasmagorischen Geschichtsschreibung wäre interessanter, | |
verzettelte er sich nicht in einer plumpen Liebesgeschichte; doch auch dann | |
hätte der Film noch das Problem, dass er sich dem Sadismus der Figuren viel | |
zu bereitwillig in die Arme wirft. | |
Wenn diese Filmbiennale oft dröhnte, schepperte und röhrte, so war "Balada | |
triste de trompeta" einer der allerlautesten Filme - und zugleich ein | |
trauriger Beleg dafür, dass Krach allein gar nichts ist. | |
Das Grobe, das Derbe, das Laute: sie beherrschten das Festival. Marco | |
Müller, der Leiter der Mostra, bemüht sich um ein Kino, das seine Ursprünge | |
auf dem Rummelplatz hat; guter Geschmack und bürgerliche Vorstellungen von | |
Kunst sind ihm dabei recht gleichgültig. Das macht seine Mostra | |
sympathisch. Wie lange das noch so gehen wird, ist allerdings ungewiss; | |
Müller hat angekündigt, nur noch bis 2011 zur Verfügung zu stehen, weil er | |
sich danach wieder der Produktion von Filmen zuwenden wolle. | |
Was sich in diesem Jahr, zumindest im Wettbewerbsprogramm, ein wenig rar | |
machte, war das Gegengewicht zum Krach, waren das Spröde, Unzugängliche und | |
Enigmatische. Sicher, es gab Vincent Gallos Schwarz-Weiß-Etüde "Promises | |
Written in the Water" (Gallo erhielt übrigens für die Darstellung eines | |
flüchtigen Taliban in Jerzy Skolimowskis Wettbewerbsbeitrag "Essential | |
Killing" den Schauspielerpreis), es gab Reichardts spröden "Meeks Cutoff" | |
oder den griechischen Film "Attenberg" der jungen Regisseurin Athina Rachel | |
Tsangari, die lakonisch und verschroben von einer jungen Frau und ihrem | |
sterbenden Vater erzählte. | |
Tarantinos Inspirationen | |
Um experimentellere Formen zu finden, musste man sich jedoch anderen | |
Sektionen als dem Wettbewerb zuwenden. Besonders die Orizzonti-Reihe löste | |
sich vom Erzählkino, indem sie Filme von Isaac Julien, Peter Tscherkassky | |
oder Allan Sekula programmierte und neue Wege zwischen Dokument und Fiktion | |
beschritt - etwa mit José Luis Guerins schönem Essayfilm "Guest" oder | |
"Verano de Goliat" von dem jungen Mexikaner Nicolás Pereda, dem die | |
Orizzonti-Jury ihren Hauptpreis verlieh. | |
Monte Hellman schließlich, der große Maverick des US-amerikanischen Kinos, | |
hat einen Spezialpreis bekommen. Das nimmt nicht wunder, da Tarantino dem | |
heute 78 Jahre alten Mann viel verdankt. Hellman produzierte "Reservoir | |
Dogs", Tarantinos Debüt; Motive aus Hellmans Filmen prägen Tarantinos | |
Oeuvre, und die einzige Filmkritik, die Tarantino je veröffentlichte, galt | |
Hellmans Western "Ride in the Whirlwind" (1966). | |
Den Preis erhält Hellman weniger für seinen aktuellen, verschachtelten und | |
nicht wirklich geglückten Wettbewerbsbeitrag "Road to Nowhere" als für sein | |
Gesamtwerk. In der Begründung heißt es: "Monte Hellman ist ein großer | |
Kinokünstler und ein minimalistischer Poet. Sein Werk hat diese Jury | |
inspiriert." Dieses Werk freilich ist keines, über das Hellman selbst je | |
frei hätte bestimmen können. Über seinen neuen Film sagt er: "Es ist das | |
erste Projekt, das ich selbst verwirklichen konnte. Bei den anderen Filmen | |
war es so, dass sie von jemand anders ausgingen und ich angeheuert wurde, | |
um sie zu Ende zu bringen." | |
Künstlerische Freiheit hat Hellman also bis "Road to Nowhere" nie genossen. | |
Doch gerade aus dieser Einschränkung heraus entstand sein starkes, | |
einfaches, nihilistisches Kino. Kunst kommt eben manchmal auch davon, dass | |
man Zwänge produktiv machen kann. | |
12 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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