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# taz.de -- SPD-Kritik an Bundesregierung: Harter Schlagabtausch
> SPD-Chef Gabriel tritt als der wahre Oppositionsführer auf und attackiert
> Schwarz-Gelb scharf als Klientelpolitiker. Die Kanzlerin kritisiert die
> Grünen und verteidigt Stuttgart 21.
Bild: Angriffslustiger Oppositionsführer: Sigmar Gabriel im Bundestag.
Wäre SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nicht in der Rekonvaleszenz,
hätte diese Debatte vermutlich einen anderen Verlauf genommen. Der Ton wäre
moderater, maßvoller gewesen. So aber trat Sigmar Gabriel als Erster ans
Rednerpult, der es versteht, auf Parteitagen und Marktplätzen rhetorisch zu
glänzen. Er rechnete polemisch mit Schwarz-Gelb ab. "Noch nie hat sich eine
Bundesregierung so zum Handlanger von Großkonzernen degradiert", rief er,
einen Satz, den man eher von Oskar Lafontaine erwartet hätte.
Angela Merkel, die Vorsichtige, verteidigte sich hart und für ihre
Verhältnisse aggressiv. "Deutschland ist auf Wachstumskurs", sagte sie,
"die Arbeitslosigkeit gesunken." Die SPD mache unter Gabriel bei der Rente
mit 67 "eine Rolle rückwärts".
Die Konfrontation von Gabriel und Merkel war deutlich. Und sie machte
nebenbei noch mal klar, wer de facto Oppositionsführer ist: Gabriel, nicht
Steinmeier.
Gabriel griff die Bundesregierung frontal wegen ihrer Sozialpolitik an.
"Mehr Netto vom Brutto" gebe es nur für Hoteliers und reiche Erben. Mit dem
Steuergeschenk an die Hotelbranche könne man 280.000 Kitaplätze
finanzieren. Erst habe Schwarz-Gelb sich nur mit sich selbst befasst,
jetzt, da man offenbar doch regieren wolle, "bedienen Sie im Wesentlichen
Klientelinteressen". Die Regierung vertiefe den Graben zwischen Arm und
Reich, kritisierte der SPD-Chef. Und räumte, abweichend vom Redemanuskript,
ein, dass die Spaltung unter Rot-Grün begonnen habe, als der
Niedriglohnsektor ausgeweitet wurde.
Auf diese laute, sozialpopulistisch zugespitzte Attacke ließ Gabriel eine
selbstreflexive Passage folgen. Die zunehmende Kluft zwischen Bevölkerung
und Politikern sei gefährlich. So wachse die Verführung zum Ressentiment,
der die politische und mediale Elite keinesfalls nachgeben dürfe. "Wir
dürfen nicht, was der Boulevard tut", appellierte er, ohne den Namen Thilo
Sarrazin direkt zu nennen. Ein bisschen schien Gabriel, dem Boulevard kein
unvertrautes Terrain ist, sich auch selbst zu ermahnen.
Seinen zweiten Anklagepunkt trug er wieder in voller Lautstärke vor. Die
Regierung schustere vier Konzernen hundert Milliarden Euro zu. Die
Verlängerung der AKW-Laufzeiten sei skandalös, ebenso, dass Absprachen mit
den Konzernen am Parlament vorbei gemacht wurden. "Benehmen Sie sich wie
eine Kanzlerin und nicht wie eine Geheimrätin!", rief er Merkel zu.
Ganz ähnlich argumentierten Gregor Gysi und Jürgen Trittin, die
Fraktionschefs der Linkspartei bzw. der Grünen. Die Regierung betreibe
unverhüllte Lobbypolitik, beschenke das Energie-Oligopol mit Extraprofiten
und spare bei denen, die sowieso nichts haben. Dass Gysi trotz einer
solider Rede größtenteils wie Gabriel klang, verdeutlicht das akute Problem
der Linkspartei: Sie ist nicht mehr der heimliche Wortführer der
Opposition, sondern steht im Schatten der SPD.
Angela Merkel antwortete in einem mitunter ähnlich harten Ton: "Wer von
sozialem Kahlschlag redet, lügt", sagte sie. Die Zeiten, als die SPD noch
"vernünftig" war, seien vorbei. Der Opposition warf sie vor, keine
"Lösungsvorschläge" zu haben, sondern nur "rückwärtsgewandte Politik" zu
betreiben, und sie inszenierte sich als Nachlassverwalterin von Franz
Müntefering, von dessen Rente mit 67 sich die SPD gerade verabschiedet.
Die AKW-Laufzeitverlängerung sei notwendig zur Förderung regenerativer
Energien. Der Sparkurs sei richtig, die Schuldenbremse nötig, Deutschland
"Wachstumslokomotive" in Europa. Merkel lobte das Konjunkturprogramm,
verschwieg aber, dass es dieses ohne SPD in der großen Koalition kaum
gegeben hätte.
Einen bemerkenswerte Breitseite feuerte Merkel gegen die vermeintlich
technikfeindliche politische Linke ab. SPD und Grüne würden von
Wasserkraftwerken über Windparks bis zu Stuttgart 21 allen Fortschritt
torpedieren. "Die Grünen sind immer für die Stärkung der Schiene. Und
wenn's mal um einen neuen Bahnhof geht, sind sie natürlich dagegen." Dieser
Angriff auf die Grünen fiel für Merkel ungewöhnlich scharf aus. Man brauche
in Stuttgart, so die Kanzlerin, keine Bürgerbefragung zu Stuttgart 21,
dafür gebe es "die Landtagswahl 2011".
Dass Merkel so angriffslustig über Stuttgart 21 redete, überraschte. Die
CDU regiert in Baden-Württemberg seit 1953. Im März wird dort gewählt,
derzeit liegt die CDU in Umfragen 12 Prozent hinter SPD und Grünen, auch
wegen Stuttgart 21. Wenn die CDU Stuttgart verliert, hat Merkel ein
richtiges Problem. Dass sie die Landtagswahl dort zum Plebiszit über
Stuttgart 21 erklärt, wirkt wie eine Flucht nach vorn. Und wie eine Absage
an Schwarz-Grün.
15 Sep 2010
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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