# taz.de -- Volksbegehren zu den Wasserbetrieben: Unterschriften, tröpfchenwei… | |
> Jeden Tag stehen sie auf der Straße und sammeln Unterschriften. Die Latte | |
> liegt hoch für die Aktivisten vom Berliner Wassertisch. Ob es klappt | |
> ,weiß keiner. | |
Bild: :Mindestens 172.000 Menschen bis Ende Oktober unterschrieben haben | |
Es ist vormittags um halb elf, als vier Menschen auf dem U-Bahnhof | |
Schloßstraße eine Sackkarre mit Material- und Papierstapeln aus dem | |
Lagerraum eines Einzelhändlers holen. Der Strom der zur Arbeit eilenden | |
Bevölkerung ist schon abgeflaut, jetzt überwiegen die Einkäufer auf der | |
Steglitzer Shoppingmeile. In mäßigem Tempo schlendern sie über den Gehweg, | |
während die drei Männer und eine Frau hinter dem U-Bahn-Eingang einen | |
kleinen Tisch aufbauen und Plakate an die Seiten hängen: "Berliner | |
Wassertisch" steht darauf. Für sie beginnt jetzt die Arbeit. | |
Hinter dem Tisch steht Norun Speckmann. Die Frau mit den kurzen Haaren und | |
der warmen Jacke ist fast jeden Werktag dabei. Von Montag bis Freitag, | |
jeweils drei Stunden, seit Beginn der zweiten Stufe des Volksbegehrens im | |
Juni. "172.000 Unterschriften sind eine ganze Menge", sagt sie. So viele | |
müssen die Aktivisten des Volksbegehrens sammeln, damit es einen | |
Volksentscheid geben kann. Wenn genügend Unterschriften zusammenkommen und | |
das Abgeordnetenhaus den Gesetzentwurf der Initiative abweist, können alle | |
Berliner darüber abstimmen, ob die Verträge zur Teilprivatisierung der | |
Berliner Wasserbetriebe offengelegt werden müssen. Unterzeichnet wurden sie | |
vor elf Jahren: Damals verkaufte der Senat 49,9 Prozent der Betriebe an RWE | |
und Veolia. Bislang sind die Dokumente geheim. | |
Doch das Sammeln läuft nur schleppend. Zur Halbzeit hatten gerade einmal | |
50.000 Unterstützer unterschrieben. "Um es zu schaffen, müsste es etwas | |
besser laufen", meint auch Speckmann. Mitsammler Markus Klien ergänzt: | |
"Unsere einzige Hoffnung ist, dass am Schluss ganz viele Listen | |
zurückkommen." Das ist auch die Idee am Steglitzer Stand: Wer | |
unterschreibt, bekommt gleich eine Liste in die Hand gedrückt und soll | |
selbst in seinem Bekanntenkreis für Unterschriften werben. Regelmäßig | |
würden volle Listen wieder abgegeben, sagt Speckmann. Wie viele direkt im | |
nächsten Papierkorb landen, weiß niemand. | |
"Wasservolksbegehren, Unterschriften", ruft Klien. Er hat sich ein paar | |
Meter entfernt positioniert und versucht, Passanten abzufangen. 20 Meter | |
hat er, um sie zu überzeugen - so lang ist der Weg von einem U-Bahn-Eingang | |
zum nächsten. Mehr würde aufdringlich wirken. 20 Meter ergeben wenig Zeit, | |
um die wesentlichen Informationen zu vermitteln. Vielleicht zehn Sekunden. | |
Am besten ist es, die Leute verlangsamen den Schritt oder bleiben sogar | |
stehen. Dann weiß Klien, dass Interesse da ist; dann kann er erklären und | |
sich langsam in Richtung Stand bewegen. Doch die meisten laufen schnell | |
vorbei und wehren den angebotenen Flyer ab. | |
Ein Mann geht zielstrebig auf den Stand zu, unterschreibt. Nein, er habe | |
vorher nichts von dem Volksbegehren gewusst, sondern sich spontan | |
entschieden, das Anliegen zu unterstützen, sagt er. Er sei prinzipiell | |
dagegen, Wasser zu privatisieren. Eine junge Frau sagt: "Wasser geht die | |
Bürger an, deshalb müssen die Verträge offengelegt werden." Ein älterer | |
Herr schimpft auf die Politik im Allgemeinen und die Politiker im | |
Speziellen. "Eigentlich müssten die sich ein neues Volk suchen, dann können | |
sie machen, was sie wollen", sagt er. Und unterschreibt trotzdem. | |
Plötzlich läuft es besser. Um den Stand herum bildet sich eine | |
Menschentraube, Paare unterschreiben, andere schauen erst neugierig und | |
lassen sich dann überzeugen. Die drei Sammler, die nicht direkt am Stand | |
stehen, sind in Gespräche mit Passanten vertieft, und ein Bus spuckt eine | |
Ladung neuer, potenzieller Unterschreiber aus. | |
Nach zehn Minuten ist es wieder leer am Stand. Nur noch der Autolärm dröhnt | |
von der Straße, es stinkt nach Abgasen, und ein Lkw, der an der roten Ampel | |
hält, macht jedes Gespräch unmöglich. "Es gibt immer Schübe", erklärt | |
Klien, und Speckmann ergänzt: "Mittwochs läuft es nicht so gut wie an | |
anderen Tagen - warum, weiß ich auch nicht." | |
Kai, der gerade ein Freiwilliges Ökologisches Jahr bei Attac macht, sammelt | |
an diesem Morgen zum ersten Mal mit. Er hat die Erfahrung eines politisch | |
Aktiven, wenn es darum geht, Menschen anzusprechen, sich nicht abwimmeln zu | |
lassen, zu überzeugen. Er spricht nicht viele an, aber wen er sich | |
aussucht, der gibt meist ein paar Minuten später seine Unterschrift ab. | |
"In alternativ geprägten Kiezen ist es deutlich einfacher", sagt er. Hier, | |
im bürgerlichen Steglitz, seien die Leute erst einmal skeptisch, wenn sie | |
angesprochen werden. Aber nur in Neukölln kämen die nötigen Unterschriften | |
eben auch nicht zusammen. | |
Nach zwei Stunden zählt Speckmann 30 Unterschriften: "Das ist nicht | |
schlecht. Aber wir hatten schon bessere Ergebnisse." Überhaupt: 27 | |
Sammeltische gibt es insgesamt, nicht alle stehen täglich auf der Straße, | |
manche nur am Samstag, manche nur unter der Woche, andere unregelmäßig. | |
"Das geht auch nicht anders, wenn man das ehrenamtlich macht", sagt Klien. | |
Und anders als ehrenamtlich gehts auch nicht: Thomas Rudek, der die Fäden | |
des Volksbegehrens in der Hand hält, beziffert die bisherigen Ausgaben in | |
der zweiten Stufe auf weniger als 7.000 Euro. Zum Vergleich: Initiatoren | |
des Volksentscheids zum Flughafen Tempelhof gaben an, insgesamt eine | |
Million ausgegeben zu haben. In die Gegenkampagne floss rund eine | |
Viertelmillion. Die Initiative Pro Reli, die ebenfalls im vergangenen Jahr | |
einen Volksentscheid initiierte, bezifferte ihre Ausgaben auf einen | |
"höheren 6-stelligen Betrag". | |
Die Stimmung am Stand hebt sich, als ein Mann von einem Fahrrad steigt, | |
einen Papierstapel vom Gepäckträger zieht und ihn Speckmann feierlich | |
überreicht. "241 Unterschriften", sagt er. Rudolf Bähr heißt der Mann, und | |
wäre der Wassertisch ein Arbeitgeber, wäre Bähr eine Art freier | |
Mitarbeiter. Immer wieder bringt er ausgefüllte Listen vorbei, erkundigt | |
sich nach den letzten Sitzungen der Aktivisten, nach neuen Ideen und | |
Möglichkeiten zu sammeln. Die 241 Unterschriften stammen vom Tempelhofer | |
Damm. Speckmann erzählt von einem Lausprecherwagen, der in weniger stark | |
besiedelten Außenbezirken eingesetzt werden könnte, doch noch fehle es an | |
Fahrern. | |
Bähr gibt sich optimistisch. Auch wenn es letztlich nicht klappe, seien | |
immerhin viele Menschen auf das Thema aufmerksam und möglicherweise | |
insgesamt politisiert worden. Dann erzählt er von seinen Erlebnissen beim | |
Sammeln und mit eingefleischten Privatisierungsbefürwortern: "Man muss sich | |
schon viel Mist anhören." | |
Nach drei Stunden und 76 Unterschriften packen die vier ihre | |
Unterschriftenlisten, Postkarten, Buttons und Plakate ein und verstauen sie | |
im Lagerraum. Morgen werden sie wieder hier stehen. Und übermorgen und | |
nächste Woche. Bis zum 27. Oktober. Dann erst wissen sie, ob sich Zeit und | |
Mühe gelohnt haben. | |
21 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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