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# taz.de -- Zweifel an Unterhaltrechts-Reform: Ministerin bekommt "körbeweise"…
> Langjährige Hausfrauen, die sich scheiden lassen, haben bei der
> Unterhaltsreform 2008 verloren. Da zeigt sich selbst die Justizministerin
> betroffen und will eine Änderung prüfen.
Bild: Klamm nach 20 Jahren Ehe - die Unterhaltsreform steht in der Kritik.
BERLIN taz | "Es ist ein offenkundiges und schreiendes Unrecht, wie mit den
geschiedenen älteren Frauen umgegangen wird", betonte die Augsburger
Rechtsanwältin Ingrid Groß. Sie traf damit die allgemeine Stimmung beim
"Forum Unterhaltsrechts" des Deutschen Anwaltverein (DAV). Der Kongress, an
dem mehr als 200 Anwälte, Richter und Ministeriale teilnahmen, versuchte
eine Zwischenbilanz der seit 2008 geltenden Reform des Unterhaltsrechts.
Eines der zentralen Ziele war die Stärkung der Eigenverantwortung nach der
Ehe. Die geschiedene Frau sollte grundsätzlich selbst für ihren Unterhalt
sorgen. Das Gesetz garantiert ihr deshalb nicht mehr die Fortdauer des
ehelichen Lebensstandards, sondern Unterhalt nur bei Kinderbetreuung,
Ausbildung, Krankheit oder zum Ausgleich ehebedingter Nachteile. So sollten
geschiedene Männer wieder mehr finanziellen Freiraum zur Gründung neuer
Ehen bekommen. Andererseits wollte der Gesetzgeber im Interesse der Frauen
dafür sorgen, dass diese nicht zu lange beruflich aussetzen.
"Was aber sind ehebedingte Nachteile bei Frauen, die mehr als zwanzig Jahre
verheiratet und Hausfrau waren?", fragte Ingrid Groß, die Vorsitzende des
DAV-Ausschusses für Familienrecht. Als typisches Beispiel berichtete sie
von einem Urteil des Amtsgerichts Günzburg. Dort wurde eine 60-jährige Frau
nach 23 Jahren Ehe geschieden. Sie war gelernte Apothekenhelferin und hatte
in der Ehe zwei Kinder erzogen, er war höherer Beamter. Nach der Ehe fand
sie nur noch Minijobs, das Amtsgericht konnte darin aber keinen
ehebedingten Nachteil sehen und befristete den Unterhalt auf zwölf Monate
ab der Scheidung. Wenn ihr Einkommen anschließend nicht reiche, müsse sie
eben Hartz IV beantragen.
"Diese Frau müsste also darlegen, dass sie ohne die Ehe beruflich Karriere
gemacht hätte - doch wie soll sie das beweisen?", fragte Anwältin Groß
unter dem Beifall der Teilnehmer. Auch Beatrix Weber-Mönecke, Richterin am
Bundesgerichtshof (BGH), räumte ein, dass es hier um "Mutmaßungen über ein
nicht gelebtes Leben" gehe. Ingrid Groß forderte deshalb, dass bei Ehen,
die nach mehr als zwanzig Jahren geschieden werden, Unterhalt allein
aufgrund der Dauer der Ehe - ohne Nachweis ehebedingter Nachteile - zu
zahlen ist. Diese Frauen hätten unter anderen rechtlichen und
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geheiratet, sagte sie.
Meo-Micaela Hahne, die Vorsitzende des BGH-Familiensenats, zeigte sich über
die geschilderten Urteile unterer Gerichte empört. "Die Richter haben weder
das Gesetz noch unsere Rechtsprechung verstanden", erklärte sie, "wir
wollen die Altehefrauen nicht im Regen stehen lassen." Allerdings sieht das
Gesetz in Unterhaltsfragen vor allem Entscheidungen nach "Billigkeit" vor.
Dies soll der Einzelfallgerechtigkeit dienen, führt aber dazu, dass der BGH
kaum noch korrigierend eingreifen kann.
Auch Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zeigte sich
betroffen. "Da hat sich wohl manches zu sehr in eine bestimmte Richtung
entwickelt", sagte sie, "man darf aber die nacheheliche Solidarität nicht
außer Acht lassen". Das Problem der Altehen kannte sie bereits, "wir
bekommen körbeweise Eingaben". Sie verteidigte beim DAV-Forum zwar die
Grundgedanken der Reform, die noch unter der großen Koalition beschlossen
worden war, die Ministerin zeigte sich aber "offen", unerwünschte
Entwicklungen anzugehen. Anfang 2011 werde ihr Ministerium eine Auswertung
der Rechtsprechung vorlegen, dann werde sie eine "Nachjustierung" prüfen.
21 Sep 2010
## AUTOREN
Christian Rath
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