# taz.de -- Debatte um Integration: Wer sind die Verweigerer? | |
> Der Innenminister spricht neuerdings von bis zu 15 Prozent | |
> "Integrationsverweigerern". Die zitierten Studien stützen seine Angaben | |
> nicht. Die Opposition ist verärgert. | |
Bild: Vage Zahlen über Integrationsunwillige: Ein Innenminister in Erklärungs… | |
BERLIN taz | Wo einst von Parallelgesellschaften die Rede war, geistert | |
seit einigen Wochen vermehrt der Begriff der "Integrationsverweigerer" | |
durch Talkshows, Politikerreden und Presseberichte. Auch | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht seit Kurzem häufig von | |
Integrationsverweigerern oder integrationsunwilligen Migranten, die nach | |
seinen Angaben zehn bis fünfzehn Prozent ausmachen. | |
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten | |
Memet Kilic gibt die Bundesregierung nun an, worauf sich de Maizière | |
beziehe, wenn er von Integrationsverweigerern spricht. Die Bundesregierung | |
antwortet mit einem Potpourri an verschiedenen Studien, aus denen eine | |
entsprechende Anzahl Integrationsunwilliger hervorgehe. Allerdings beziehen | |
sich die Studien alle nur auf türkischstämmige oder muslimische Migranten | |
in Deutschland. | |
So bezieht sich die Bundesregierung auf eine Repräsentativuntersuchung des | |
Zentrums für Türkeistudien, die zu dem Ergebnis kam, 13 Prozent der | |
türkischstämmigen Migranten seien als "tendenziell segregiert" einzustufen | |
und würden parallelgesellschaftliche Strukturen ausbilden. Dirk Halm, | |
Mitarbeiter des Zentrums für Türkeistudien, gibt zu Bedenken, dass die | |
Motivation, sich auf die deutsche Gesellschaft zuzubewegen, in der | |
Untersuchung nicht abgefragt wurde. Zudem sei "normativ" gesetzt, ab wann | |
ein Mensch in einer bestimmten Studie als segregiert gewertet wird. Wer zum | |
Beispiel sehr religiös ist, keinen Kontakt zu deutschen Nachbarn hat und | |
nicht in einem deutschen Verein aktiv ist, gilt nach der Studie bereits als | |
segregiert. | |
Von den vier Studien, auf die sich der Innenminister bezieht, fragt nur | |
eine tatsächlich nach der Integrationswilligkeit. Im Auftrag des | |
Bundesinnenministeriums befragten die Hamburger Kriminologen Katrin | |
Brettfeld und Peter Wetzels 2008 muslimische Migranten und versuchten auch | |
herauszufinden, wie viele eine kulturelle Segregation befürworten. Der | |
Aussage "Ausländer, die in Deutschland ihre Kultur beibehalten möchten, | |
sollten unter sich bleiben" stimmten 9,1 Prozent völlig und 8,6 Prozent | |
eher zu. | |
Grünen-Politiker Kilic findet diesen Teil der Studie nicht aussagekräftig: | |
"Es ist eine logische Schlussfolgerung, dass sich eine Kultur besser | |
bewahren lässt, wenn man unter sich bleibt. Das sagt aber nichts darüber | |
aus, ob die Menschen das für sich selbst auch wollen." Vielmehr zeige sich, | |
dass Migranten, die es sich leisten können, in Stadtteile ziehen, in denen | |
es wenige Migranten gibt. | |
Die integrationspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Aydan Özoguz sagt, | |
im Gegensatz zum Begriff Parallelgesellschaft nehme der Begriff der | |
Integrationsverweigerer den Regierenden Verantwortung ab. | |
In der Antwort auf die Grünen-Anfrage gibt die Bundesregierung auch an, was | |
die Grundlage dafür ist, von 1,1 Millionen Migranten zu sprechen, die | |
angeblich nicht ausreichend Deutsch sprechen. Die Zahl sei eine | |
Hochrechnung aus einer Befragung von zufällig ausgewählten | |
Ausländerbehörden. Deren Mitarbeiter sollten angeben, wie hoch sie den | |
Anteil erwachsener Nicht-EU-Ausländer schätzen, deren Kenntnisse unter dem | |
Niveau B1 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen liegen. Özoguz | |
sagte der taz, sie finde es "extrem eigenartig", dass die Zahl auf diese | |
Art erhoben werde. | |
24 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Karin Schädler | |
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