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# taz.de -- Autorin Rebecca Skloot über HeLa-Zellen: "Wir haben hier die Zelle…
> Die Afroamerikanerin Henrietta Lacks starb vor 60 Jahren und wurde zum
> ewigen Versuchskaninchen. Die US-Autorin Rebecca Skloot hat ihr Leben
> studiert.
Bild: In der Petrischale gezüchte menschliche Zellen.
Frau Skloot, wie würde die Welt ohne die Zellen von Henrietta Lacks heute
aussehen?
Rebecca Skloot: Ohne die Forschung an den Zellen wäre die Welt sicher um
einige Millionen Menschen ärmer. Die Zellen wurden in der Entwicklung von
Impfstoffen gegen Kinderlähmung, Medikamenten gegen Parkinson und auch für
die wichtigsten Krebsmedikamente verwendet. Unser Genom wäre ohne die
HeLa-Zellen nicht so gut erforscht. Auch die In-vitro-Fertilisation wurden
damit entwickelt, die künstliche Befruchtung. Ich kenne Menschen, die ohne
die Zellen von Henrietta gar nicht existieren würden.
Was an diesen Zellen ist so besonders?
Henriettas Zellen waren die ersten, die sich außerhalb des Körpers
unendlich vermehren ließen. So konnte man zum ersten Mal überhaupt an
menschlichen Zellen forschen.
Warum vermehren sich die Zellen von Henrietta Lacks?
So genau kann sich das immer noch niemand erklären. Henrietta war mit dem
HP-Virus infiziert, so hat sie Gebärmutterhalskrebs bekommen Sie hatte auch
Syphilis. Beide Erreger können dafür sorgen, dass Zellen schneller wachsen.
Doch das allein kann nicht der Grund sein.
Die HeLa-Zellen existieren sechzig Jahre nach Lacks Tod immer noch, in
tausenden Forschungslabors. Gibt es Menschen, die in ihnen den Schlüssel
zum ewigen Leben suchen?
Einige Leute haben die Zellen tatsächlich auf diese Art betrachtet, haben
gehofft, man könnte von ihnen lernen, unsterblich zu werden. Aber das
können die Zellen nicht leisten.
Was steckt denn in den Zellen von Menschen?
Zunächst einmal die DNA, also eine Menge an Informationen über uns.
Religiöse Menschen denken manchmal, es stecke der Geist des Menschen darin.
Auch Henriettas Familie glaubt, dass sie als Engel in den Zellen
weiterlebt.
Als die Ärzte in Baltimore 1951 kurz vor ihrem Tod Zellproben von Henrietta
entnahmen, erfuhr sie davon nichts. Warum?
Das war damals normale Praxis. Nach den Nürnberger Prozessen gab es zwar in
der internationalen Forschergemeinde das Abkommen, niemals ohne deren
Wissen an Menschen zu forschen. Doch man hat nicht darüber nachgedacht,
dass das auch für menschliche Zellen außerhalb des Körpers gelten sollte.
Was wäre damals anders gelaufen, wenn Henrietta nicht schwarz gewesen wäre?
Das ist schwer herauszufinden. Gestorben wäre sie sowieso. Aber die
Behandlung wäre wahrscheinlich besser und ihr Tod dadurch weniger
schmerzvoll gewesen. Und sicherlich war es damals einfacher, Zellen von
Schwarzen zu nehmen und daran zu forschen. Ärzte behandelten arme Menschen
kostenlos, und die waren meist schwarz. Dabei herrschte wohl so eine Art
Grundverständnis: Wenn wir euch umsonst behandeln, könnt ihr uns dafür
Zellen zum Forschen geben.
Wann hat Henriettas Familie von alldem erfahren?
Über zwanzig Jahre später, in den Siebzigern. Zu dem Zeitpunkt wussten sie
aber nicht einmal, was eine Zelle ist. Wissenschaftler sind damals noch
einmal auf Henriettas Kinder und ihren Ehemann zugekommen, weil sie weiter
an den Zellen der Familie forschen wollten. Ein Wissenschaftler rief bei
David, Henriettas Ehemann, an und sagte: "Wir haben hier die Zellen Ihrer
Frau und forschen damit." David dachte, seine Frau würde noch leben und
Wissenschaftler hätten sie in eine Zelle gesperrt, um an ihr zu forschen.
Und nun, dachte er, wollten sie das Gleiche mit seinen Kindern machen.
Wie kam er auf diesen Gedanken?
Das hat mit der Geschichte der Schwarzen in den USA zu tun: Während der
Sklaverei wurde an ihnen alles Mögliche getestet. Bis in die Vierziger
haben Ärzte Tausende von Schwarzen, die mit Syphilis infiziert waren,
rekrutiert, um den Verlauf der Krankheit zu studieren. Die Ärzte ließen sie
reihenweise vor ihren Augen sterben, auch als man Syphilis längst mit
Antibiotika behandeln konnte. Das alles kam in den Siebzigern heraus, es
war groß in den Medien. In ebendieser Zeit bekam David den Telefonanruf.
Für ihn war klar: So etwas machen Wissenschaftler.
Sie haben zehn Jahre an dem Buch gearbeitet, haben Zeitungsartikel
gesammelt, Henriettas Familie ausfindig gemacht, Ihre Tochter in die Klinik
gebracht, in der Henrietta gestorben ist. Sind sie besessen von Henrietta?
Irgendwie schon. Besessen von den Zellen. Durch meine eigene Situation
konnte ich mich gut in die von Henrietta und ihrer Familie hineindenken.
Mein Vater ist Jude, ein großer Teil meiner Familie ist im
Konzentrationslager in Polen gestorben. Ich las vieles über die Versuche,
die die Nazis an Juden gemacht haben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass die
Geschichte in den USA ähnlich ist: Die Forschung, die an Sklaven gemacht
wurde, war ebenso unmenschlich.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass es mehr als 17.000 Patente und 60.000
Forschungsergebnisse gibt, die auf HeLa-Zellen basieren. Menschen werden
reich durch Henriettas Zellen, erwirtschaften Millionenprofite. Wie geht es
der Familie Lacks finanziell?
Henriettas Familie kann sich noch immer keine Krankenversicherung leisten.
Sie leben in sehr armen Verhältnissen. Was das Geld betrifft, sind sie
immer noch wütend über die Situation. Die Familie hat unter alledem schwer
gelitten. Darunter, dass Henriettas Krankenakte veröffentlicht wurde, dass
keine ihrer Fragen beantwortet wurden.
Haben Firmen, die von den HeLa-Zellen profitierten, der Familie Geld
gezahlt?
Bisher nicht. Sie haben wohl Angst vor einem Präzedenzfall.
Profitiert die Familie Lacks denn von Ihrem Buch?
Ja, sie bekommen Anteile vom Erlös. Und ich habe die [1][Henrietta Lacks
Stiftung] gegründet. Sie soll sich um die Gesundheitsversorgung der Familie
kümmern, und Nachkommen von Henrietta das College finanzieren. Ich habe
auch gehofft, dass Firmen, die viel Geld mit Henriettas Zellen gemacht
haben, etwas spenden. Bisher sind aber noch keine größeren Summen
eingegangen.
24 Sep 2010
## LINKS
[1] http://rebeccaskloot.com/book-special-features/henrietta-lacks-foundation/
## AUTOREN
Maria Rossbauer
## TAGS
Frauenkörper
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