# taz.de -- Prora - KdF-Bad und DDR-Zwangskaserne: Geschmähte Erinnerung? | |
> Statt die Geschichte der DDR-Bausoldaten werbewirksamer | |
> Nazi-Größenwahn: Die DDR-Vergangenheit ist bei der Vorstellung des | |
> hässlichen Kolosses von Rügen unterrepräsentiert. Ein Kommentar | |
Bild: Der Block V von Prora wird umgebaut für die Jugendherberge. | |
Gigantisch ist er, der Gebäuderiegel an der Prorer Wiek auf Rügen. Ein | |
Brachialbau in lieblicher Bucht. Die gab dem Ungetüm seinen Namen - Prora. | |
Der sogenannte Koloss von Prora trägt viele Namen, nur einen hat er | |
abgelegt. Den, unter dem er in der DDR vierzig Jahre lang bekannt und | |
vielfach berüchtigt war. Der Spruch: "Was hab ich verbrochen, was hab ich | |
getan, dass ich in diese Wüste kam?", machte in der Kaserne Prora die | |
Runde. | |
Hunderttausende junge Männer über zwei Generationen hinweg haben den Ort | |
erlebt. Dutzende Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) hat er gesehen. | |
Auslandskader wurden hier ausgebildet und Bausoldaten, die | |
Waffendienstverweigerer der DDR, schikaniert. Die Suizide, auch die in den | |
Muckereinheiten, sind ungezählt. | |
Doch gab es auch viele, die in Prora einen Arbeits- und Ausbildungsplatz | |
fanden. Und nicht zu vergessen die Fallschirmjäger, deren einziges Regiment | |
in der DDR zur heimlichen Aufrüstung des Landes gehörte. Am Ende der | |
kilometerlangen Anlage, in Block V, trifft ihre Geschichte auf die der | |
Bausoldaten. Diese bezogen ab 1982 nach ihnen die Räume - zwangskaserniert. | |
Zivildienst gab es in der DDR nicht. | |
Diese reale Geschichte von Prora wird verdrängt. Der überwiegend aus | |
Zeitzeugen bestehende Denk-Mal-Prora e. V., darunter ehemalige | |
DDR-Oppositionelle und Opfer des SED-Regimes, haben immer wieder darauf | |
hingewiesen. Der Verein wird nun zum 3. Oktober 2010 aufgelöst. | |
Meist führen Politiker und Touristiker den größten Kasernenkomplex der DDR | |
einseitig als das "ehemalige KdF-Bad" oder als das "frühere Seebad der | |
20.000" vor - wie es seit den 1990er Jahren auch die Wegweiser am | |
Straßenrand nach Binz vorgeben. Das ist touristenwirksam. | |
Die Nutzungsgeschichte des Blocks scheint es nicht wert, der unvollendet | |
gebliebenen Baugeschichte des Kolosses gleichgestellt zu werden. Erweckt | |
wird der Eindruck, als habe es dieses Bad der NS-Gemeinschaft "Kraft durch | |
Freude" tatsächlich gegeben. | |
Doch erst die DDR baute den Torso aus, gab ihm Zimmer, Türen, Fenster. Um | |
1980 folgte der graue Einheitsputz. Hunderte seeseitige Fenster sorgten für | |
die Verknappung von Alurahmen in der Republik. Krankenhausneubauten mussten | |
warten, weil Landesverteidigungsobjekte Vorrang hatten. Das traf auch den | |
zivilen Bürger. | |
Zwischen 1982 und 1989 kamen tausende oppositionell eingestellte | |
Jugendliche in Prora an ihre physischen und psychischen Grenzen. Dem fast | |
täglichen Einsatz beim Hafenbau, zehn bis zwölf Stunden am Tag, folgte der | |
Drill im Gelände. In der Etage unter ihnen wütete die Staatssicherheit. | |
Die inzwischen unkenntlich gemachten Räume waren "Brutstätten | |
oppositioneller Gedanken", sie wurden "zur Teststrecke für den aufrechten | |
Gang" (Eisenfeld). Selbst eine Erinnerungstafel der Zeitzeugen mit dem | |
Zeichen "Schwerter zu Pflugscharen" scheint die Vollendung des KdF-Bades zu | |
stören. Sie sollte auf den Geist und die Gewaltlosigkeit der hier | |
stationierten Bausoldaten hinweisen. | |
Viele Orte im Osten könnte man nennen, in denen im Zuge ihrer Abwicklung | |
die Geschichte gleich mit abgewickelt wurde. Für die Warnung von | |
Zeitgeschichtlern, die DDR-Epoche könne allmählich aus dem historischen | |
Bewusstsein verschwinden, scheint Prora ein augenfälliges Beispiel zu | |
bieten. | |
In Block V, genau an der Schnittstelle der Diktaturen, dort, wo | |
Regimebefürworter und -gegner zusammentreffen, entsteht die "längste | |
Jugendherberge der Welt am Nordende der weltberühmten KdF-Bauten". So | |
bewirbt das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) gemeinsam mit dem | |
Bildungsverein Prora-Zentrum das Weltbad mit Wohlfühlflair. | |
Das DJH benutzt in seiner Werbebroschüre Propagandabilder des Dritten | |
Reichs. Die Friedenszeichen der Bausoldaten sieht man dort nicht. | |
Unterdessen haben die Behörden die Idee aufgegriffen und jenen, die die | |
Entsorgung ohne vorherige Dokumentation verhindert haben, die Ausrichtung | |
eines Bildungszentrums im Rahmen der Jugendherberge übertragen. Bleibt zu | |
hoffen, dass wenigstens ein authentischer Gemeinschaftsraum erhalten | |
bleibt. | |
Ihn hatten Zeitzeugen besetzt, weil er eine Besonderheit aufweist: Vor | |
einem Vierteljahrhundert hatte hier ein Bausoldat eine Rügenkarte mit | |
versteckten regimekritischen Botschaften an die Wand gemalt. Vielleicht ist | |
der bunte Fleck einmal das Einzige, was an die reale Geschichte des Blocks | |
in der DDR und an die Nischenkultur der Unangepassten erinnern wird. | |
Das Dasein in Prora und den Kampf gegen das Verdrängen beschreibt Stefan | |
Wolter in seinen Büchern: "Der Prinz von Prora", (3. Aufl. 2010) und "Der | |
Prinz und das Proradies. Vom Kampf gegen das kollektive Verdrängen", | |
Projekte-Verlag Halle 2009 | |
27 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Wolter | |
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Reiseland Deutschland | |
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