# taz.de -- Ausschreibung an der FU: Vergebliche Öko-Kriterien | |
> Die Freie Universität hält sich bei einem Neubau nicht an das | |
> Vergaberecht. Sie missachtet Umweltvorgaben - was etwa zu höherem | |
> Energieverbrauch führen könnte. | |
Bild: Auch Klimaanlagen sucht die FU - doch die Umwelt bleibt auf der Strecke. | |
Die Freie Universität Berlin (FU) ignoriert Umweltvorschriften des neuen | |
Ausschreibe- und Vergabegesetzes: Der Ressourcenverbrauch wird beim Einkauf | |
von Produkten nicht in der Form berücksichtigt, wie das Gesetz es | |
vorschreibt. Damit riskiert die Uni, dass sie Produkte einkauft, die | |
besonders günstig sind, aber auf lange Sicht höhere Kosten verursachen und | |
die Umwelt schädigen. Zudem könnte das Ergebnis der Ausschreibung von | |
unterlegenen Konkurrenten angefochten werden, was massive Verzögerungen zur | |
Folge hätte. | |
Das Ausschreibe- und Vergabegesetz, das im Juli in Kraft getreten war, | |
gehört zu den Kernprojekten der rot-roten Koalition in dieser | |
Legislaturperiode. Es bestimmt, nach welchen Regeln der Senat, die Bezirke, | |
die landeseigenen Unternehmen und andere öffentlichen Auftraggeber Produkte | |
und Dienstleistungen bei Privatunternehmen einkaufen. Dabei geht es um ein | |
Auftragsvolumen von vier bis fünf Milliarden Euro pro Jahr. | |
Der in der Öffentlichkeit am stärksten diskutierte Punkt des Gesetzes ist | |
der Mindestlohn von 7,50 Euro brutto bei öffentlichen Aufträgen. Daneben | |
macht das Gesetz noch eine Reihe weiterer Vorgaben, insbesondere zum | |
ökologischen Einkauf. Bei Großeinkäufen sind etwa bei der Entscheidung, | |
welcher Anbieter den Zuschlag erhält, laut Gesetz "die vollständigen | |
Lebenszykluskosten des Produkts oder der Dienstleistung zu | |
berücksichtigen". | |
Mit dieser Vorschrift wollte das Abgeordnetenhaus verhindern, dass die | |
Verwaltung zum Beispiel elektrische Geräte beschafft, die im Einkauf | |
günstig sind, aber im Betrieb viel Strom verbrauchen. Die Vorschrift sollte | |
nicht nur die Umwelt schonen, sondern auf lange Sicht auch den | |
Landeshaushalt. | |
Die Freie Universität baut derzeit in Zehlendorf ein neues Forschungshaus | |
für Molekulare Veterinärmedizin. In dem rund 25 Millionen Euro teuren | |
Neubau mit Hochsicherheitslabor sollen etwa die Institute für Virologie, | |
Immunologie und Molekularbiologie sowie Mikrobiologie und Tierseuchen | |
einziehen. In einer Reihe von europaweiten Ausschreibungen sucht die | |
Universität nach Lieferanten von Klimaanlagen, Stromtransformatoren, | |
Feuerlöschanlagen, Rohrleitungen und Metalltüren. "Das Kriterium der | |
Lebenszykluskosten wurde bei dieser konkreten Ausschreibung noch nicht als | |
Zuschlagskriterium genannt, weil es dazu noch keine Normen gibt", schreibt | |
die Universität als Antwort auf eine taz-Anfrage. Derzeit würde lediglich | |
bei der Entscheidung, welche Art von Produkt überhaupt ausgeschrieben wird, | |
auch auf Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit geachtet. Wenn ein Angebot | |
noch besser ist als vorgegeben, erhält es aber keinen Extra-Bonus - genau | |
dazu soll die Abfrage der Lebenszykluskosten dienen. | |
In einem Punkt hat die Uni Recht: Der Senat hat zu dem Gesetz tatsächlich | |
noch keine Ausführungsvorschriften mit detaillierten Normen erlassen. Darin | |
könnte der Senat für alle öffentlichen Auftraggeber vorschreiben, wie | |
konkret die Lebenszykluskosten berücksichtigt werden sollen. Die | |
Umweltverwaltung will die Vorschriften rasch ausarbeiten, danach werden sie | |
noch der EU vorgelegt und erst danach kann der Senat sie beschließen - | |
Zeitpunkt ungewiss. | |
Doch für die FU dürfte das keine Rolle spielen. Die Vorgaben in einem | |
Gesetz müssen "auch berücksichtigt werden, wenn die Ausführungsvorschriften | |
noch nichts derart Konkretes enthalten", erläutert Christian Pestalozza, | |
emeritierter Staatsrechtsprofessor der FU. Das ergibt sich schon aus dem | |
Prinzip der Gewaltenteilung: Was die Volksvertreter in ein Gesetz gießen, | |
muss die Verwaltung beachten. | |
Das weiß auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die innerhalb des | |
Senats mit Abstand die meisten europaweiten Ausschreibungen veröffentlicht. | |
"Solange keine Verwaltungsvorschriften vorliegen, werden die gesetzlichen | |
Vorgaben im Einzelfall individuell umgesetzt", erläutert Petra Rohland, | |
Sprecherin von Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). | |
Das geschieht zum Beispiel bei den Ausschreibungen für den Bau eines neuen | |
Gefängnisses. Aus ganz Europa können sich Firmen bewerben, die die sieben | |
Gefängnisaufzüge liefern wollen. Bei der Entscheidung über den Zuschlag | |
spielt nicht nur der Einkaufspreis eine Rolle. Rohland: "In den | |
Ausschreibungsunterlagen werden die Wartungskosten für vier Jahre | |
abgefragt, und sie fließen im vollen Umfang in die Bewertung ein." | |
Auch die Charité und die BVG berücksichtigen die Lebenszykluskosten beim | |
Einkauf von Tiefkühlschränken beziehungsweise Leuchten. Es gibt allerdings | |
hunderte weitere Vergabestellen in Berlin - eine Übersicht, welche von | |
ihnen sich an das Gesetz halten, gibt es nicht. | |
Die FU riskiert mit ihrem Gesetzesverstoß noch mehr als nur einen Schaden | |
für die Umwelt und ihren Haushalt. Gabriele Soth-Schulz, die in der | |
Vergabekammer bei der Wirtschaftsverwaltung mit darüber entscheidet, ob ein | |
Vergabeverfahren aufgehoben wird, möchte zwar grundsätzlich vorab keine | |
rechtlichen Beurteilungen abgeben. Doch, ganz allgemein, könne "die | |
Fehlerhaftigkeit von Zuschlagskriterien - nach ordnungsgemäßer Rüge - | |
durchaus Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein". Jedes Unternehmen, | |
das sich vergeblich beworben hat, kann das Verfahren einleiten. Aber nicht | |
einmal das ist notwendig. Soth-Schulz: "Bei entsprechender Schwere eines | |
Verstoßes kann die Vergabekammer diesen von Amts wegen aufgreifen." Die | |
Folge: Die Ausschreibung beginnt von vorn. | |
27 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
Sebastian Heiser | |
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Lieferketten | |
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