# taz.de -- Kampf der Mapuche in Chile: Hungern für das eigene Land | |
> Ein Teil der Mapuche kämpft um ihr Land. Von der Regierung werden sie als | |
> Terroristen abgestempelt. 34 Inhaftierte sind deshalb seit über zwei | |
> Monaten im Hungerstreik. | |
Bild: Ihr Protest wird kriminalisiert: Eine Mapuche demonstriert in Santiago. | |
Wären auf der Mauer nicht riesige Stacheldrahtrollen, man ginge achtlos am | |
Stadtgefängnis von Temuco vorbei. Der Knast passt sich dem Stadtbild der | |
Hauptstadt der chilenischen Region La Araucanía an. Vor dem Tor tippelt | |
Elena Cayupan ungeduldig von einem Bein auf das andere. Sie will ihren Sohn | |
im Gefängnis besuchen. | |
Seit dem 12. Juli befinden sich in Chile 34 inhaftierte Mapuche im | |
Hungerstreik, 13 von ihnen in der Haftanstalt von Temuco, 670 Kilometer | |
südlich der Hauptstadt Santiago. Unter ihnen ist auch Elena Cayupans Sohn, | |
Eliseo Ñirripil. | |
Taschen auspacken, Inhalt vorzeigen, Taschen einpacken. Die Kontrolle geht | |
routiniert und schnell. Wer schon als Besucher registriert ist, muss nur | |
seinen Ausweis abgeben. Neulinge bekommen drei Stempel auf das Handgelenk. | |
Nach der zweiten Gittertür trennen sich die Wege der Besucher. Wer nach | |
links geht, in den großen Saal, besucht die normalen Gefangenen. | |
Elena Cayupan geht nach rechts. Seit ihr Sohn im Hungerstreik ist, trifft | |
sie ihn in der Gefängniskapelle. Essensgeruch, laute Musik und vor allem | |
der Zigarettenqualm im großen Besuchersaal waren nicht mehr auszuhalten. | |
In dem kleinen Raum der Kapelle haben sie die Bänke zu Quadraten | |
zusammengeschoben. In Grüppchen sitzen sie um die kleinen Elektroöfen. Es | |
ist empfindlich kalt. Wärmender Mate-Tee macht die Runde. Eliseo ist blass, | |
seine Bewegungen sind langsam. Die langen, schwarzen Haare heben das Weiß | |
in seinem Gesicht hervor. Im Kopf ist er klar, sagt er, nur nicht zu lange | |
reden, das strengt an. | |
Seit dem 17. Januar sitzt er im Gefängnis. Am Tag der Präsidentschaftswahl | |
haben die Carabineros vor dem Wahllokal auf ihn gewartet. Ein anonymer | |
Zeuge will ihn bei zwei Brandanschlägen gesehen haben. Jetzt wird ihm ein | |
Terroranschlag vorgeworfen. Es geht um Brandstiftung. | |
Terrorgesetze greifen | |
Wie auf Eliseo wird auch auf die anderen inhaftierten Mapuche ein | |
Terrorgesetz angewandt. Das stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. | |
Es erlaubt eine zweijährige Untersuchungshaft und verbietet den Anwälten in | |
den ersten sechs Monaten die Akteneinsicht. | |
Die Anklagen stützen sich auf anonyme Zeugen. Diese heißen "Testigos sin | |
Rostro", Zeugen ohne Gesicht. Allein die anonyme Aussage, jemand habe vor, | |
ein Waldstück zu besetzen, reicht für den Tatbestand "terroristische | |
Bedrohung", einen Haftbefehl und fünf Jahre Gefängnis im Fall einer | |
Verurteilung. Während einige Inhaftierte von Zivilgerichten aus Mangel an | |
Beweisen freigesprochen wurden, sitzen sie hier in Haft und warten auf den | |
Prozess vor dem Militärgericht. | |
Dem 24-jährigen Eliseo droht im Fall seiner Verteilung eine Gefängnisstrafe | |
von bis zu 80 Jahren. "Mit dem Hungerstreik sagen wir, dass wir keine | |
Terroristen sind. Wir fordern nicht die Freilassung, sondern eine | |
Verhandlung vor einem zivilen Gericht." | |
Sie sind gegen die Abholzung der Wälder und die Aufforstung mit | |
Monokulturen aus Kiefern und Eukalyptusbäumen, die auf einem Land wachsen, | |
das traditionell den Mapuche gehört, gegen die Überflutung ganzer Regionen | |
durch den Bau von Staudämmen und Wasserkraftwerken. Mit dem | |
Antiterrorgesetz wird ihr Protest kriminalisiert. "Sie verfolgen unsere | |
Ideen, nicht die Straftaten, und damit die Rückgewinnung unseres | |
traditionellen Landes", sagt Eliseo. | |
Seit der Pinochet-Ära wurden die Mapuche in ihrer Heimat, der | |
Araucanía-Region, durch Großstaudämme sowie riesige Pinien- und | |
Eukalyptusplantagen großer Zellstoffkonzerne massiv zurückgedrängt. Rund | |
zwei Drittel der Plantagen liegen auf ehemaligem Mapucheland. Die Zellulose | |
wird zur Papierproduktion vorzugsweise nach Asien und Nordamerika | |
exportiert. Die chilenische Holzwirtschaft steht, gemessen an ihrem Beitrag | |
zum Bruttoinlandsprodukt, an zweiter Stelle. | |
In Chile bestimmt nun die Justiz, gegen wen und warum ermittelt wird, und | |
sie weist die Carabineros an. Eine Holzfirma oder ein Farmer, der sich | |
bedroht sieht, kann beim Richter oder beim Staatsanwalt Schutz beantragen. | |
Über diesen Weg werden Polizisten offiziell zum Schutz in die riesigen | |
Pinien- und Eukalyptusplantagen der großen Zellstofffabriken abkommandiert. | |
Heute sind es in der Region an die 50 Ländereien, die unter Polizeischutz | |
stehen. Das ist die Militarisierung der Region, sagen die Mapuche. | |
In der Auseinandersetzung mit den Mapuche gab es bereits Tote. Im Januar | |
2008 kam der 22-jährige Matías Catrileo bei einer Landbesetzung ums Leben; | |
eine Kugel aus einer Polizeiwaffe traf ihn in den Rücken. | |
Der Mann war mit dem hungerstreikenden Eliseo befreundet. Sie hatten | |
zusammen Pädagogik studiert. Nach dem Tod von Matías brach Eliseo das | |
Studium ab und ging zurück in die Comuniad, wo seine Eltern leben. | |
Die Wanduhr zeigt das Ende der Besuchszeit. Eliseo ist erschöpft. Die | |
Mutter verabschiedet sich. Übermorgen will sie wiederkommen. Mit dem Bus | |
braucht sie jetzt knapp zwei Stunden nach Hause in die Comunidad Mateo | |
Ñirripil. | |
Dort liegen die Häuser über das hügelige Land verstreut. 160 Familien der | |
Mapuche leben in der Comunidad Mateo Ñirripil. Bis zum Ende der | |
Pinochet-Diktatur hatte der chilenische Staat versucht, das noch | |
verbliebene Gemeinschaftsland der Mapuche aufzuteilen und aus den Besitzern | |
Kleinbauern zu machen. In der Comunidad Mateo Ñirripil ist das gelungen. | |
Jede der 160 Familien besitzt einen Hektar Land. Was sie darauf anbauen, | |
ist fast ausschließlich für den Eigenbedarf. | |
"Dort ist noch der Schuhabdruck", sagt Pedro Ñirripil. Er ist der Vater des | |
Inhaftierten. Nun deutet er auf die Stelle, an der die Carabinieros die Tür | |
eingetreten haben. Am 6. Februar 2009, genau um 12 Uhr Mittag, waren sie in | |
Mannschaftsstärke angerückt; bewaffnet bis an die Zähne, umstellten sie | |
erst das Haus, dann wurde es gestürmt. Sie durchsuchten alles. Sie suchten | |
nach Eliseo. "Alles von ihm haben sie mitgenommen. Seine Wäsche, seine | |
Kleidung, nicht ein Bild von ihm haben sie hiergelassen." Der Vater holt | |
das Durchsuchungsprotokoll. Alles haben sie fotografiert, Schuhe, Stiefel, | |
Geld, alles weg. "Hier, alles säuberlich aufgeschrieben." | |
Zur gleichen Zeit wurden Wohnungen von Eliseos Freunden in Buin und | |
Santiago durchsucht. Auch dort wurde alles beschlagnahmt. Auch das Handy | |
nahmen sie mit. "Die dachten wohl, Eliseo ruft an", sagt Pedro Ñirripil. | |
Im September 2009 hatte sich die Comunidad gegen eine erneute Durchsuchung | |
gewehrt. Als die Mannschaftswagen kamen, haben sie mit Steinen und Balken | |
den Zufahrtsweg blockiert. Aber als die vermummten Carabineros in ihren | |
Kampfuniformen ausrückten, "mussten wir davonlaufen". Wieder suchten sie | |
nach angeblich Verdächtigen, versteckten Waffen und hinterließen nur | |
Zerstörungen. Nun gibt es Zwietracht in der Gemeinschaft. Denn die anonymen | |
Zeugen, die die Männer im Gefängnis belastet haben, stammen alle aus der | |
Comunidad. "An den Stimmen haben wir sie erkannt. Hier kennt doch jeder | |
jeden. Die werden bezahlt fürs Lügen", sagt die Mutter. Das Misstrauen sei | |
gewollt, glaubt sie. | |
Im Gefängnis in Temcuo sitzen jetzt acht Mitglieder aus der Comunidad Mateo | |
Ñirripil, dazu zwei Jugendliche im nahen Chol Chol. Dort gibt es ein | |
Jugendgefängnis. Fünf der Erwachsenen und einer der Jugendlichen sind im | |
Hungerstreik. Darunter auch Eliseo. | |
Von Matías' Tod haben sie aus dem Fernsehen erfahren. "Matías war oft bei | |
uns", sagt der Vater. Die Comunidad, in der er wohnte, ist gerade mal | |
fünfzehn Kilometer von hier entfernt. "Dort haben sie schon zehn Razzien | |
gemacht." | |
Die Angst geht um | |
Die Mutter kann schon lange nicht mehr schlafen. Oft hat sie Herzrasen. | |
"Wir bekommen mehr Unterstützung von außerhalb als von innerhalb der | |
Comunidad", sagt der Vater. Nicht viele Familien sind der gleichen Meinung, | |
und nur wenige gehen zu den Unterstützungsdemonstrationen. Die Angst geht | |
um. Wen holen sie bei der nächsten Razzia? | |
Oben auf dem Feld sagt Vater Pedro: "Hier haben wir zum ersten Mal Lupinen | |
eingesät." Er schaut auf das Grün der jungen Keime. "Die Lupinenkörner | |
können wir an die Fischzuchten verkaufen, die nehmen sie als Futter." Ein | |
finanzielles Zubrot, "und es macht nicht so viel Arbeit wie Weizen". Eliseo | |
kann ja nicht mehr mit anpacken. "Hier sind alle arm", sagt Pedro noch. | |
"Nicht nur die Mapuche." Auch deshalb wollen alle mehr Land. Das Land | |
gehört traditionell den Mapuche. "Es ist die Frage, wie wir es | |
zurückgewinnen können." | |
28 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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