# taz.de -- Mehr Obdachlose: In den Wohnheimen wird es eng | |
> Die Obdachlosigkeit hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. | |
> Grund ist Hartz IV und der angespannte Wohnungsmarkt. | |
Bild: Leiden bald wieder doppelt unter dem Winter: Berlins Wohnungslose | |
Das Problem der Obdachlosigkeit hat sich in Berlin in den vergangenen | |
Jahren offenbar deutlich verschärft: Kamen 2004 noch insgesamt 6.030 | |
Menschen in Hilfseinrichtungen wie dem betreuten Einzel- und Gruppenwohnen | |
unter, waren es einer Statistik der Sozialverwaltung zufolge, die der taz | |
vorliegt, im Jahr 2008 schon 9.247. Das ist eine Steigerung von über 50 | |
Prozent. Besonders junge Leute sind auf staatliche Hilfe angewiesen, weil | |
sie sonst auf der Straße leben müssten. Der Anteil der Unter-28-jährigen | |
lag 2004 noch bei 38 Prozent, 2008 machten sie bereits 43 Prozent der | |
registrierten Klienten in der Wohnungslosenhilfe aus. | |
In Berlin gibt es eine Vielzahl von Hilfsangeboten für Obdachlose, vom | |
Bahnhofsdienst über Beratungsstellen bis hin zu Wohnheimen. "Ich vermute, | |
die tatsächliche Zahl der Obdachlosen liegt in Wirklichkeit dreimal so | |
hoch", sagt Uta Sternal vom Arbeitskreis Wohnungsnot, die ein Wohnheim des | |
Internationalen Bunds in Marienfelde leitet. Der Senat erfasse nur jene | |
Obdachlosen, die intensiver betreut werden. All jene, die nur kurzzeitig in | |
Wohnheimen wie ihrem unterkämen oder die draußen schliefen, tauchten in der | |
Statistik gar nicht auf, so Sternal. Auch diese nicht erfassten | |
Wohnungslosen seien heute mehr als noch vor ein paar Jahren. "Die | |
Wohnheimplätze sind seit Monaten ausgebucht. Händeringend wird nach neuen | |
Objekten gesucht", berichtet sie. | |
Rainer-Maria Fritsch (Linkspartei), Staatssekretär in der Sozialverwaltung, | |
führt den Anstieg der Zahlen auch auf die Einführung von Hartz IV im Jahr | |
2005 zurück. Junge Menschen unter 25 Jahren, die Arbeitslosengeld II | |
beziehen, müssen seitdem bei den Eltern wohnen. Wenn die sich abseilen | |
wollten, landeten sie schnell auf der Straße, sagt Fritsch. Als weiteren | |
Grund nennt der Staatssekretär die Verknappung von günstigem Wohnraum in | |
der Stadt. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt habe sich in den letzten | |
anderthalb Jahren verschärft, sagt Fritsch. "Die Vermieter wählen stärker | |
aus als früher. Wer wegen eines Handy-Vertrags einen Schufa-Eintrag hat, | |
bekommt heute keine Wohnung mehr." | |
Auch Uta Sternal sieht den angespannten Wohnungsmarkt als Hauptursache für | |
die Entwicklung. Es mache sich bemerkbar, dass der soziale Wohnungsbau | |
ausgelaufen sei, so Sternal. Gerade im Segment der Ein- bis | |
Anderthalb-Zimmer-Wohnungen gebe es kaum günstige Angebote. "Die wenigen | |
Wohnungen, die auf dem Markt sind, gehen an Leute mit Einkommen." | |
Das Situation könnte sich noch zuspitzen: Wenn die neue Hartz-IV-Reform so | |
durchgeht, wie von der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) | |
geplant, befürchtet Fritsch "ein echtes Wohnungsproblem in dieser Stadt". | |
Im Gesetzentwurf steht, dass sich Wohnungen von Arbeitslosen am einfachen, | |
im unteren Marktsegment liegenden Standard orientieren sollen. Dieses | |
Segment gebe es kaum, am ehesten in unsanierten Plattenbauten, sagt | |
Fritsch. Er warnt: "Sollte die Reform so kommen, haben wir bald Banlieues | |
wie in Frankreich. Die Armut wird dann an den Rand gedrückt." | |
30 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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