# taz.de -- Tobias Beyer über das Schauspielerdasein: "Wir sind alle immer unt… | |
> Theater kann ein Vorgang sein, der Orte transzendiert. Bei Schauspielern | |
> gehören Ortswechsel zum Job: Tobias Beyer über lockende Angebote, | |
> Abnabelungsprozesse, Ängste und Glücksmomente des Theater-Tourismus. | |
Bild: Tobias Beyer in einer Hauptrolle: Hier in Bremen spielte er den Titus And… | |
taz: Herr Beyer, hatten Sie Angst - oder waren Sie eher neugierig auf | |
Braunschweig? | |
Tobias Beyer: Es war beides. Ich war neugierig, und in Vorfreude, aber | |
gewisse Ängste hatte ich natürlich auch: Wie ist das Publikum? Das gilt ja | |
als konservativ. Der bisherige Intendant hat 13 Jahre dort residiert und | |
mehr als funktionierendes Theater gemacht, also so, dass die Leute | |
hinkamen: Das wird also spannend für das neue Ensemble, gerade im ersten | |
Jahr. Und dann, natürlich: Wie komme ich mit den KollegInnen klar, wie | |
verstehen wir uns, wie können wir miteinander arbeiten? | |
Und warum verlassen Sie Bremen? | |
Ich verlasse Bremen nicht ganz. Ich behalte erst mal meine Wohnung, und | |
habe so lange nur eine kleine in Braunschweig - aber vielleicht ist das | |
auch nur so ein Abnabelungsprozess. | |
Ja, aber warum? Weil das Theater in Bremen durch den Problem-Intendanten in | |
die Krise geraten war? | |
War das Schauspiel wirklich in der Krise? Da bin ich mir gar nicht so | |
sicher. Es stimmt aber, dass durch das Schulden-Thema alles, was auf der | |
Bühne passiert ist, in ein anderes Licht gerückt wurde. | |
Und dem entziehen Sie sich durch den Wechsel? | |
Möglicherweise. Aber ausschlaggebend war für mich die ungeklärte Situation | |
in Bremen. Es stand ja nichts fest, nicht wie lange die Interimslösung | |
dauern sollte, nicht wie und wohin es weitergehen würde - und auch nicht | |
mit wem. | |
Vom Renommee her ist das kein Aufstieg. | |
Ich versuche, nicht mehr in diesen Kategorien zu denken. | |
Sie waren vom Schillertheater Berlin über Mannheim und das Neumarkt-Theater | |
Zürich nach Bremen gekommen. Und Sie waren dort eine von zwei männlichen | |
Hauptrollen des Ensembles, also ein Star, sofern es so etwas im | |
Stadttheater gibt. | |
Vielleicht kann ich das ja fortsetzen. | |
In Braunschweig. | |
Ja, in Braunschweig. Warum denn nicht? | |
Naja … | |
Als ich 1994, also ganz am Anfang meiner Laufbahn, vom Schiller-Theater | |
nach Karlsruhe gewechselt bin, war ich noch so eingebildet, dass ich mir | |
überhaupt nicht vorstellen konnte, dass es dort überhaupt ein richtiges | |
Theater gibt. Ich bin da trotzdem gerne hin. Die suchten einen Mortimer und | |
so eine Rolle … | |
… die des jungen Helden aus Schillers Maria Stuart … | |
… hätte ich damals in Berlin nicht so bald spielen können. Meine Erfahrung | |
ist: Die Engagements, die ich bekommen habe - das war immer ziemlich | |
aufwandslos. Und ich finde auch, dass ich in einem Lebensalter bin, in dem | |
man geholt werden muss - oder eben nicht. | |
Wie in diesem Fall durch den neuen Intendanten Joachim Klement, den Sie | |
kannten … | |
… ja, aus Mannheim … | |
… der danach Chefdramaturg in Bremen war … | |
… und dort weg ist, kurz bevor ich hingekommen bin. | |
Man trifft immer alte Bekannte? | |
Ich nenne das gerne Theater-Tourismus: Wir sind alle irgendwie Reisende, | |
immer unterwegs von einem Lager zum anderen. Und dabei trifft man sich hier | |
und da. Worauf ich mich zum Beispiel sehr freue in Braunschweig, ist das | |
Wiedersehen mit Otto Kukla und Crescentia Dünßer, die ich seit Zürich | |
kenne: Wir werden zusammen eine Wiederaufnahme von Edward Albees "Wer hat | |
Angst vor Virginia Woolf" machen. Das war eine Produktion fürs Alte | |
Schauspielhaus Stuttgart, vor vier Jahren, Crescentia Dünßer und ich in den | |
Hauptrollen, Regie: Otto Kukla. | |
Den Monstertext haben Sie nach vier Jahren noch im Kopf?! | |
Dacht ich. Ich dachte wirklich: Ich schau mirs an und kann es dann wieder. | |
Aber das sind wirklich unglaubliche Textmassen! Als ich mir das Buch dann | |
im Juni vorgenommen hatte, war mir erst mal nicht klar, wie ich das | |
seinerzeit habe spielen können. Dabei war mir das damals sehr leicht | |
gefallen. | |
Wieso? | |
Das war eine ungewöhnliche Produktion - weil sie so harmonisch war. Sonst | |
heißt es ja: Das ist ein Stück, bei dem werden die Proben zwangsläufig zum | |
Dauerstreit, das ist ja selbst eine einzige Krise. Bei uns gabs das gar | |
nicht, niemand ist während der Proben krank geworden. Das sagt etwas aus. | |
Otto Kukla war gelungen, dass wir das alles aus uns selbst herausgeholt | |
haben: Wir haben das in einem atemberaubenden Tempo gespielt, fast ohne | |
Anweisungen. Das wird also etwas, da begegne ich alten Freunden wieder. | |
Lässt sich Theater so einfach verpflanzen? | |
Die wirklich bewegenden, die ganz, ganz großen Momente wirken | |
wahrscheinlich überall. Und ich glaube, dass es die an vielen Orten in | |
Deutschland geben kann. | |
Vorausgesetzt das Publikum spielt mit? | |
Sicher. Wenn da 20 Gegner im Saal sind, wird das schwer. Und das spürt man. | |
Dann ist da eine Spannung, die sich mitteilt, dann wird geächzt oder leise | |
geseufzt, oder permanent gehustet. | |
Das klingt aber sehr nach einer bürgerlich-neurotischen Idee vom Theater, | |
in dem ein diszipliniertes Publikum andächtig der Kunstübung lauscht. Ist | |
das denn die einzig sinnvolle Schauspiel-Form? | |
Sicher nicht: Zu Shakespeares Zeiten soll es ja im Publikum so laut gewesen | |
sein, dass Schweigen auf der Szene gar nicht möglich war. Aber | |
beispielsweise einen Ibsen vor einem Wurst-essenden, rülpsenden und | |
brüllenden Publikum, das kann ich mir nur sehr schwer vorstellen. Dagegen | |
anzuspielen wäre schwer. Doch, für mich gehört zum Theater auch diese | |
Bereitschaft, Geld zu zahlen, um sich in einen dunklen Saal setzen zu | |
dürfen und zu schweigen: Ich finde das auch nichts Anstößiges, sondern | |
etwas Tolles, in unserer Zeit, wo alles immer lauter wird und schneller, | |
das Theater als einen Ort der Konzentration und Kontemplation zu haben. | |
Für die großen Momente? | |
Wenn das Publikum an jenem Abend gut ist, wenn die Zuschauer wach sind, | |
bereit, offen - dann kann da etwas entstehen, ja. | |
Für einen Augenblick? | |
Die berührenden Momente ja: Die sind nur diese Momente. Das ist etwas sehr | |
Wertvolles. | |
Kann das ein Anspruch sein, auf so einen Moment hinzuarbeiten? | |
Nein. Das lässt sich nicht zwingen. Wenn man mit dem Vorsatz auf die Bühne | |
geht, jetzt die Vorstellung seines Lebens zu spielen - dann wird das | |
nichts. Man muss aber bereit sein, auch wenn man alle Verabredungen, das | |
Timing, die Betonung, alles genauestens einhält dieselbe Stelle, doch immer | |
wieder so zu spielen, als wäre es das erste Mal. Manchmal hat man dazu auch | |
keine Lust. Da geht man zur Vorstellung und denkt: Ich reiße das heute | |
runter und gut ist. Aber im Laufe des Abends verändert sich das. Die | |
Spiellust setzt irgendwann wieder ein. | |
Und diese Idee vom erfüllten Moment schwingt als Sehnsuchtsziel immer mit? | |
Man vergisst das manchmal. Und dann taucht es wieder auf, man hört davon, | |
sieht es bei anderen - oder erlebt es selbst, dass plötzlich alles | |
dahingleitet, wie beim Surfen, dass man sich gegenseitig überrascht, ohne | |
sich zu verunsichern. | |
Und dabei befindet man sich bewusst auf der Bühne beispielsweise des | |
Staatstheaters Braunschweig - oder schwebt über allen Wolken? | |
Dieses Surfen ist ein Vorgang, der Orte transzendiert - aber bestimmt keine | |
Ekstase, bei der man sich völlig verliert. Das ist eher wie bei Kindern: | |
Die können ja auch voll drin sein im Spiel, ganz versunken. Die wissen aber | |
immer noch, dass sie im Sandkasten sitzen, und wo der sich befindet. | |
3 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Edward Albee | |
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