# taz.de -- Dana Priest über Medienethik: "Man muss nicht zur Journalistenschu… | |
> Die zweifache Pulitzerpreis-Gewinnerin Dana Priest über die Krise der | |
> Zeitungen, neue Recherchen im Internet und ihr Erstaunen über den | |
> Meinungsjournalismus in Deutschland. | |
Bild: "Man braucht eine bestimmte Art zu denken und Ethik", sagt Dana Priest ü… | |
taz: Frau Priest, Sie sind bekannt für Ihre Enthüllungen über den | |
US-amerikanischen Geheimdienst. Wie sind Sie persönlich in Ihrer Arbeit von | |
der Medienkrise betroffen? | |
Dana Priest: Ich habe so ein Glück: Gar nicht. Wirklich nicht. Die | |
Washington Post lässt mich seit inzwischen fünf Jahren machen, was ich | |
will. Aber das ist natürlich nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Die | |
Post hält investigativen Journalismus nach wie vor sehr hoch, denn sie | |
denkt, dass das für sie den Unterschied ausmacht. So lassen sie mich und | |
eine Handvoll anderer machen, was wir wollen. Nichtsdestotrotz: Unser | |
investigatives Team insgesamt ist nur noch etwa halb so groß wie früher. | |
Wir befinden uns in der Mitte einer Wirtschaftskrise. Wir haben Millionen | |
und Abermillionen Dollar Anzeigenumsätze verloren. Aber wir sehen Licht am | |
Ende des Tunnels. Wenn wir durch die Rezession durch sind, werden wir auch | |
wieder mehr Geld für investigativen Journalismus haben. | |
Von Ihrer privilegierten Stellung einmal abgesehen - es gibt also | |
Geschichten, die nicht recherchiert werden, weil das Geld dafür fehlt. | |
Oh ja. Zeitungen im ganzen Land haben unter der Krise gelitten. Viele haben | |
schließen müssen. Es gibt nur noch sehr wenige Reporter, die den | |
Regierungen der Bundesstaaten auf die Finger schauen. Die Baltimore Sun zum | |
Beispiel, aus der großen und wichtigen Stadt Baltimore, macht keine | |
Berichterstattung mehr über die Politik in Maryland. Das ist verrückt! | |
Aber es gibt Ideen, dagegen anzugehen? | |
Seit zwei Jahren gibt es ein neues Modell: ProPublica. Das ist ein nicht | |
gewinnorientiertes Projekt, in dem sich viele Journalisten organisiert | |
haben, die wegen der Kürzungen ihre Jobs verloren haben. Sie machen | |
Recherchen und geben diese dann gratis an jede Zeitung ab, die sie drucken | |
will. Das Problem für Zeitungen wie die Washington Post ist dann, dass wir | |
sichergehen müssen, dass die Geschichte wirklich wasserdicht ist. Wir | |
müssen eine enge Arbeitsbeziehung zu den Redakteuren dort aufbauen, um | |
sicherzustellen, dass ihr Faktencheck genauso streng ist wie unserer, dass | |
ihre Reporter genauso ehrlich und gut sind wie unsere. Inzwischen haben wir | |
ein paar Geschichten veröffentlicht, mit dem Hinweis auf ProPublica | |
darunter. So etwas hätten wir vor zehn Jahren nie gemacht. | |
Wer genau finanziert das? | |
Große Stiftungen wie die Ford Foundation und wohlhabende Einzelpersonen. | |
Wie kann man da sicher sein, dass die kein persönliches, wirtschaftliches | |
oder politisches Interesse verfolgen? | |
Das ist die große Herausforderung. Bei ProPublica sind sie dem zunächst mit | |
sehr großer Transparenz begegnet. Sie legen ganz genau offen, wer das Geld | |
gibt, wie der Entscheidungsprozess verläuft, wohin das Geld im Einzelnen | |
geht. Sie müssen freilich beweisen, dass das Geld keinen Einfluss auf die | |
Geschichte hat. Es ist ihnen sehr bewusst, dass das der Tod des Projekts | |
wäre. | |
Wer wird denn in Zukunft Journalismus finanzieren - Zuschauer und Leser? | |
Werbung, Spender oder Stiftungen? | |
Wer das beantworten kann, dürfte bald Millionär sein. Niemand hat darauf | |
eine Antwort. Es ist auch nicht der Job der Journalisten, sich darüber den | |
Kopf zu zerbrechen, das ist Sache der Verlagsleute. Bei der Washington Post | |
denken sie darüber natürlich auch nach - wir verlieren Geld, wir machen | |
weniger Gewinn als früher. Zum Beispiel experimentieren wir damit, das Web | |
hinter Schutzmauern zu stecken, also einige Inhalte kostenpflichtig zu | |
machen - aber das ist schwierig, die Leute haben sich so sehr daran | |
gewöhnt, dass alles kostenlos ist. Vielleicht ginge es, wenn alle | |
gleichzeitig umstellen würden. | |
Seit Jahren diskutieren wir über das Verhältnis von Journalisten und | |
Bloggern, jetzt gibt es noch Wikileaks - insgesamt sind noch viel mehr | |
Leute unterwegs, die versuchen, irgendwas herauszufinden und zu | |
veröffentlichen. Parallel lief immer die Debatte über journalistische | |
Standards und Sorgfaltspflicht. Wo stehen wir heute? | |
Die Entwicklung war rasant: Absolut ahnungslose Blogger konnten populär | |
werden. Aber ich höre immer mehr Leute, die keine Lust mehr auf eine | |
Blogosphäre haben, die zur Wahrheitsfindung nichts beizutragen hat. Man | |
muss seinem Publikum die eigenen Referenzen zeigen. Viele Blogs | |
verschwinden ja auch wieder, andere drehen völlig durch. Die New York Times | |
und wir, wir hatten auch diese ganzen Blogger. Aber das hat nichts | |
gebracht, wir hatten viel zu viele. Wir denken gerade darüber nach, ob wir | |
das nicht runterfahren und nur die beliebtesten behalten sollten. | |
Es geht ja nicht nur um Blogs, es gibt auch neue Techniken der Recherche | |
und der Veröffentlichung im Web. Sie haben ja in einer Zeit angefangen, als | |
es das alles noch nicht gab - wie haben Sie gelernt, damit umzugehen? | |
Für das "Top Secret America"-Projekt über die Geheimdienste wollte ich das | |
Netz auf eine Art nutzen, die im Print nicht zu machen ist - wir haben die | |
gesamte Datenbank veröffentlicht. Mein Partner Bill Arkin ist ein Genie, | |
wenn es darum geht, Datenbanken einzurichten und im Deep Web - also dem | |
Netz jenseits von Google - zu recherchieren. Das ist eine | |
Recherchekompetenz, die sich jeder aneignen kann. Unsere Regierung wäre | |
überrascht, wenn sie wüsste, wie viele Regierungsinformationen, die dort | |
nicht sein sollten, im Netz frei zugänglich sind. | |
Aber es gibt wenige Leute, die sich wirklich damit auskennen, wie man an | |
die rankommt und nutzt. | |
Stimmt. Wir brauchen mehr Leute, die andere Fähigkeiten haben. Die | |
Regierung und die Geheimdienste verfolgen Dschihadisten-Webseiten - das | |
sind alles offene Quellen. Man muss kein Hacker sein, um das zu tun. Man | |
muss sich nur ein bisschen auskennen und Arabisch sprechen. Ich hoffe sehr, | |
dass wir anfangen, das Netz so als Werkzeug zu nutzen. | |
Was halten Sie von Wikileaks? | |
Für mich ist das kein journalistisches Projekt, sondern eine weitere | |
Quelle. Ich nutze Informationen, wo immer ich sie bekommen kann. Insofern | |
schätze ich die Versuche von Wikileaks, Dinge öffentlich zu machen. Ich | |
fand es allerdings schon problematisch, dass sie bei der Veröffentlichung | |
der Geheimdokumente über den US-Einsatz in Afghanistan die Auswirkungen auf | |
nationale Sicherheitsbelange nicht bedacht hatten. Da standen Namen drin, | |
Übersetzer wurden in Gefahr gebracht und so weiter. Ich hoffe, dass sie | |
daraus lernen, wie man so was macht - aber die Information an sich war sehr | |
wertvoll. | |
Was müssen Journalisten und Journalistinnen heute lernen? | |
Ich habe in meinem ganzen Leben keinen Journalistenkurs besucht. Man muss | |
nicht zur Journalistenschule. Man braucht eine Art zu denken und eine | |
journalistische Ethik, und die lernt man, wenn man unter erfahrenen | |
Journalisten arbeitet. Ich habe das vollkommen verinnerlicht, es ist zu | |
einem wichtigen Teil von mir geworden, so hart wie möglich zu versuchen, | |
meine eigene Meinung aus dem Text herauszuhalten, alle Seiten anzuhören und | |
sicherzustellen, dass alles richtig ist. | |
Schaffen Sie es denn immer, Ihre Meinung aus den Recherchen rauszuhalten? | |
Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie Sie hier Kommentare schreiben | |
und trotzdem Journalist sein können. Das sind doch zwei vollkommen | |
verschiedene Dinge, die überhaupt nicht zusammenpassen! Bei uns sind | |
Meinungsredakteure und Reporter zwei Welten. Reporter dürfen zum Beispiel | |
laut Dienstvertrag nicht an Demonstrationen teilnehmen. Und wenn Sie zu | |
einem Vortrag eingeladen werden, und die einladende Organisation vertritt | |
ein bestimmtes Interesse, dann müssen Sie ihre Chefs fragen, ob Sie das | |
machen dürfen. Einer unserer leitenden Redakteure ist jahrelang nicht | |
einmal wählen gegangen, weil er nicht so weit gehen wollte, sich für einen | |
Kandidaten zu entscheiden. Viele fanden das übertrieben, aber so hat er nun | |
mal seine Rolle verstanden. | |
Aber wenn die "Washington Post" als Zeitung eine bestimmte Haltung einnimmt | |
oder einen Kandidaten unterstützt … | |
… dann ist das immer nur die Meinungsredaktion, nie die Zeitung. Es gibt da | |
eine richtige interne Trennung. | |
Was ist das denn für eine Ethik, dass die Zeitung ihren Lesern sagt, wen | |
sie wählen sollen, aber gleichzeitig so tut, als sei sie vollkommen | |
neutral? | |
Es geht hier um zwei unterschiedliche Gruppen von Leuten - die | |
Meinungsredakteure und Autoren einerseits und die Reporter und | |
Nachrichtenredakteure andererseits. Sie kommen nicht zu uns und wir nicht | |
zu ihnen. Wir reden kaum miteinander, das ist wie ein ungeschriebenes | |
Gesetz. Ich als Reporterin könnte niemals einen Kommentar schreiben. | |
7 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
Bernd Pickert | |
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