# taz.de -- Schauspieler Bruno Ganz: "Tot ist tot, nackt und grausam" | |
> In seinem neuen Film "Das Ende ist mein Anfang" spielt Bruno Ganz den | |
> sterbenden Journalisten Tiziano Terzani. Ein Gespräch über die Angst vorm | |
> Sterben, Väter und Gurus. | |
Bild: Hilft Meditation in 6000 Meter Höhe gegen die Angst vor dem Tod? | |
taz: Herr Ganz, sowohl in Jo Baiers "Das Ende ist mein Anfang", der am | |
Donnerstag in die Kinos kommt, als auch in Sophie Heldmans Spielfilmdebüt | |
"Satte Farben vor Schwarz", der im Januar startet, spielen Sie Männer an | |
der Schwelle zum Tod. Fürchten Sie den Tod? | |
Bruno Ganz: Ja, klar. Allerdings ist es mir wichtig, dass es in beiden | |
Filmen auf ganz unterschiedliche Weise um den Tod geht. "Satte Farben vor | |
Schwarz" erzählt eine private, kleine Geschichte, und in "Das Ende ist mein | |
Anfang" nimmt mit Tiziano Terzani, dem langjährigen Asienkorrespondenten | |
des Spiegels, ein Jahrhundertzeuge Abschied. | |
Aber tot ist tot, oder? | |
Jaja, schon. Tot ist tot, nackt und grausam, ganz genau, aber die | |
Zurüstungen und das Verhältnis dazu und das Umschmeicheln und Umspielen und | |
die jeweiligen Versuche, der Sache habhaft zu werden, sind sehr | |
unterschiedlich in den beiden Filmen. Aber tot ist tot stimmt schon, man | |
ist dann nicht mehr. | |
Tiziano Terzani tritt dem Tod sehr gelassen gegenüber, verstörend gelassen. | |
"Mein Tod - pah! Zum Lachen", sagt er. Ihnen selbst scheint das eher fremd | |
zu sein. | |
Ich habe ein bisschen Mühe mit dem schnellen Zusammenschieben von mir und | |
Terzani. Wenn er das sagt, ist er in Italien, in der Geborgenheit dieses | |
Dörfchens im Tal von Orsigna, wo er schon als Kind die Ferien verbracht hat | |
und später auch als Weltstarjournalist und nun eben als Todgeweihter. Und | |
Sie dürfen auch nicht vergessen, was dieser Haltung vorausgegangen ist. Er | |
hat sich in New York zum dritten Mal von Ärzten aufschneiden lassen, die | |
dann nur gesagt haben: Wir machen da nichts mehr. Und dann ist er nach | |
Indien gereist, auf die Höhe von 6.000 Metern, und hat dann da mit einem | |
Guru zusammen gelernt zu sterben, eine Gelassenheit dem Unausweichlichen | |
gegenüber zu entwickeln. Bei mir ist das anders: Ich war noch nie mit einem | |
Guru auf 6.000 Metern Höhe und hab mich mit meinem Tod beschäftigen müssen, | |
denn mir hat noch keiner gesagt: Du hast Krebs, es ist bald zu Ende. Das | |
sind zwei völlig verschiedene Situationen. | |
Ein gewisser Hang zu jenseitigen Rollen scheint bei Ihnen zu bestehen. In | |
"Der Himmel über Berlin" spielten Sie einen Engel, in "Der Untergang" | |
Hitler in seinen letzten Stunden und nun eben diese beiden Männer am | |
Lebensende. Woher kommt diese Anziehungskraft? Oder konstruiere ich die | |
gerade? | |
Die konstruieren Sie gerade. Dass ich kein Bruder Lustigfuß bin oder wie | |
das heißt, das ist klar. Aber dennoch können Sie mir glauben, dass ich bei | |
aller Ernsthaftigkeit nicht versessen darauf bin, spielend meinen eigenen | |
Tod vorzubereiten oder irgendwas dergleichen. Der Aspekt des bevorstehenden | |
Todes war mir bei Hitler völlig egal. Ich war froh, dass man sah, wie seine | |
Leiche angezündet wurde, aus historischen Gründen. Lieber als sein Ende | |
hätte ich sowieso Hitlers Aufstieg gespielt. Aber so einen Stoff fasst ja | |
keiner an. | |
Also ist der Tod kein Thema, das Sie besonders beschäftigt? | |
Je älter man wird, desto häufiger taucht das vor einem auf. Mit fast 70 ist | |
es nicht mehr so leicht zu sagen: irgendwann, vielleicht. Man geht schon | |
bewusster um mit der Zeit, die einem noch bleibt, als mit 40. Aber man | |
merkt auch immer wieder, wenn der Tod im Blickfeld auftaucht, dass man dazu | |
nichts zu sagen hat, also ich jedenfalls nicht. Ich kann nicht sagen: Ich | |
empfange den mit offenen Armen oder ich bin geläutert oder was auch immer. | |
Ich habe keine Ahnung, was da passiert. | |
In "Das Ende ist mein Anfang" erzählt Terzani seinem Sohn Folco aus seinem | |
Leben. Der Sohn wiederum hat aus den Aufzeichnungen ein Buch gemacht, auf | |
dem nun wiederum Jo Baiers Film basiert. Kennen Sie diesen Drang? | |
Nein, in dieser Form nicht. Aber ich denke, ich tue das unentwegt durch die | |
Rollen, die ich spiele, durch meine Filme. Ich war nicht hautnah im | |
Vietnamkrieg dabei wie Terzani, aber das erzählt mir schon viel. Das ist | |
auch ein wichtiger Teil meiner Geschichte. | |
Der Unterschied ist aber, dass Sie nicht mit Ihrer Person an die | |
Öffentlichkeit treten. Mit Memoiren von Bruno Ganz ist also nicht zu | |
rechnen? | |
Oh nein, um Himmels willen, das interessiert mich nicht. Aber wenn Terzani | |
erzählt, was er empfunden hat, als die Amerikaner vietnamesische Holzhütten | |
bombardierten, löst das in mir eine sehr starke Resonanz aus. Und ich weiß, | |
dass das nicht nur mir so geht. Dieses Gefühl der Unverhältnismäßigkeit, | |
der Ungerechtigkeit, hat dazu beigetragen, meine Generation zu | |
politisieren. | |
Aber es gibt doch an der Figur Tiziano Terzani bestimmt auch Facetten, die | |
Ihnen fremd sind und auch bleiben. Wie geht man als Schauspieler damit um? | |
Gott sei Dank muss man nicht alles persönlich abdecken. Die Räume, wo man | |
sagt: Das ist jetzt er, gehören auch unbedingt dazu. Es ist eine Frage des | |
Respekts der Figur gegenüber, sie als Ganzes ernst zu nehmen, alle Facetten | |
zu bedienen und nicht nur die, die einem gefallen. | |
Das Esoterische von Tiziano Terzani, könnte ich mir vorstellen, ist Ihnen | |
eher fremd. | |
Die Erzählung von dem auf einen Gipfel zufliegenden Marienkäferchen | |
beispielsweise, in dem Terzani sich wiedererkennt, hat mich sofort | |
unglaublich tief berührt. Ganz großartig. Ob das nun Esoterik ist oder | |
nicht, ist mir relativ egal. Ich weiß nur, was für ein großartiges Bild das | |
ist: Die Grenzen des eigenen Ichs fallen und man beginnt, ein Teil zu | |
werden von allem, was einen umgibt. Das finde ich einen erstrebenswerten | |
Zustand. | |
Folco Terzani entdeckt seinen Vater im Laufe der Gespräche neu. Was wissen | |
Sie über das Leben Ihres Vaters? | |
Ich weiß einiges, auch wenn ich lange Zeit nicht so viel wissen wollte, | |
weil ich ihn nicht so mochte wie meine Mutter. Ich habe mir lange | |
eingebildet, das reine Kind meiner Mutter zu sein, schon weil sie | |
Italienerin war, fand ich das viel besser. Auch durch den Film befördert, | |
sehe ich meinen Vater aber mittlerweile in einem anderen Licht und merke, | |
was ich doch eher ihm zu verdanken habe als meiner Mutter. Und ich würde | |
gern, wenn ich könnte, ein Gespräch mit ihm führen … | |
… ein Gespräch, das Sie nie geführt haben? | |
Ja. Ich wüsste aber auch erst jetzt, was ich ihn fragen würde. | |
Und zwar? | |
Ob es ihm aufgefallen ist, dass ich mich so vor ihm versteckt und von ihm | |
abgewendet habe. Ob er sich gefragt hat, warum das so ist. Und ich würde | |
ihn fragen, warum er so unheimlich enttäuscht war, dass ich nicht nach | |
seinem Vorbild einen technischen Beruf ergriffen habe und ob das bis zum | |
Ende seines Lebens so geblieben ist. Und dann natürlich, ob er die ersten | |
Erfolge in meinem Beruf, dem er sehr skeptisch gegenüberstand, ohne mir je | |
Knüppel zwischen die Beine zu werfen, wahrgenommen hat und, wenn ja, ob das | |
zu einer Revision seiner Haltung mir gegenüber geführt hat. | |
Ist das für Sie die Botschaft des Films: diesen Dialog zu suchen, bevor es | |
zu spät ist, auch wenns schwerfällt? | |
Ich will nicht mit Botschaften hantieren. Mir gefällt, wenn ich da zugucke, | |
wie unmerklich und ohne dass es in Dialogen vorgeführt würde, sich das | |
Verhältnis dieser beiden Männer zueinander verschiebt und entwickelt, der | |
zunächst so phlegmatisch wirkende Junge immer mehr die Führungsrolle | |
übernimmt und sich so auf seine ganz eigene Art gegenüber dem | |
Superjournalistenvater behauptet. | |
Vor diesem Interview haben Sie ein paar Minuten lang mit Terzanis Witwe | |
Angela gesprochen. Das muss doch wirklich ein außergewöhnlicher Dreh | |
gewesen sein, am Originalschauplatz und mit Familienanschluss. | |
Das stimmt. Am Anfang war der Ort erschreckend und die Anwesenheit von | |
Angela und Folco Terzani geradezu einschüchternd. Das waren absolute | |
Instanzen. Die hätten mir dauernd sagen können: So oder so war das oder war | |
das eben nicht. Hinzu kommt, dass er an diesem Ort tatsächlich gestorben | |
war. Die zeigen einem das Bett, und man ist beklommen. Während des Drehens | |
hat sich das verwandelt: Auf einmal fand ich es toll, dass der Ort | |
authentisch war. Und dann hat sich die Familie, vor allem Folco, der | |
häufiger da war als seine Mutter, als großer Helfer entpuppt, der mir | |
geholfen hat, Löcher in meinem Bild von Terzani zu stopfen. Als ich wissen | |
wollte, wie dünn die Stimme seines Vaters vor seinem Tod war, wie er seine | |
letzten Sätze gesprochen hat, hat Folco mir das Band vorgespielt, auf dem | |
die letzten zehn Minuten des Lebens dieses Menschen aufgezeichnet waren. Es | |
war unglaublich bewegend, das zu hören, und es hat mir als Schauspieler | |
handwerklich wahnsinnig geholfen. | |
Wie nahe wollten Sie Tiziano Terzani kommen? | |
So halb. Deswegen war es mir auch wichtig, mich irgendwann von der Familie | |
und ihrer Verehrung für den Vater zu lösen, der ja, was man nicht vergessen | |
darf, auch die Quelle ihres Wohlstands ist. Dementsprechend eisern wachen | |
sie über sein Erbe. Als ich in einer Einstellung auch die Schmerzen dieses | |
Mannes spielen wollte, war Folco damit überhaupt nicht einverstanden. Sein | |
Vater musste stark sein. Anders als etwa bei Hitler war es also nicht mein | |
Anspruch, Terzani möglichst originalgetreu zu spielen. Ein Porträt im | |
engeren Sinne sollte es nicht werden. | |
6 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
David Denk | |
David Denk | |
## TAGS | |
Bruno Ganz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf Bruno Ganz: Der schweizerische Freund | |
Er hatte bis zuletzt eine Größe der entrückten Art: der am Samstag | |
gestorbene Schauspieler Bruno Ganz aus „Der Himmel über Berlin“ und „Der | |
Untergang“. |