# taz.de -- Neue Militärtechnologie Drohnen: Luftkrieg per Joystick | |
> Drohnen banalisieren das Töten: Der Pilot sitzt in Nevada, das Opfer | |
> stirbt in Pakistan. Die neuen Bildschirmsoldaten können in den Pausen | |
> E-mails abrufen oder Hamburger essen. | |
Bild: Weiß, aber nicht unschuldig: eine US-Drohne. | |
Über dem pakistanischen Talibanführer Baitullah Mehsud kreiste in ungefähr | |
drei Kilometern Höhe ein unbemanntes Flugzeug. Diese Drohne übermittelte | |
gestochen scharfe Bilder von dem Mann, der gesucht wurde und der sich bei | |
seinem Schwiegervater in Zhangara im Süden der pakistanischen Provinz | |
Waziristan aufhielt. | |
Der nierenkranke Mehsud, der von seiner Ehefrau und seinem Onkel begleitet | |
wurde, befand sich auf dem Hausdach, wo ein Arzt ihm intravenös eine | |
Injektion verabreichte. Augenblicke später waren der Talibanführer und | |
seine Gefolge tot. | |
Denn die Bilder, die eine Infrarotkamera der Drohne aufnahm, wurden live in | |
den US-Bundesstaat Virginia übertragen, wo CIA-Experten in ihrer Zentrale | |
in Langley den Mann beobachteten, den sie für einen Topterroristen und | |
Drahtzieher des Mordanschlags auf die frühere Premierministerin Benazir | |
Bhutto im Dezember 2007 hielten. 14 Monate lang hatten die CIA-Mitarbeiter | |
nach dem Anführer gefahndet. Mehrere hundert Menschen waren bei dieser Jagd | |
ums Leben gekommen. | |
Liveübertragung zur CIA | |
Die Übertragung der Bilder aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet | |
blieb stabil - auch als einer der Spezialisten den Knopf für die zwei | |
"Hellfire"-Raketen drückte, die den Talibanchef und sein Gefolge | |
auslöschten. Pakistans Innenminister Rehman Malik, der sich das Video | |
hinterher ansah, sagte spontan: "Wir dachten, das ist wie im Märchen. Aber | |
es war echt." | |
Für die US-Streitkräfte in Afghanistan und im Irak sind die Drohnen heute | |
ebenso wie für die CIA in Pakistan das Mittel der Wahl. Die ferngesteuerten | |
Flugmaschinen können Konvois absichern, Aufständische beim Bombenlegen | |
beobachten, Informationen für die Bodentruppen beschaffen - und sie werden | |
als tödliche Angriffswaffen, die kaum entdeckt werden können, eingesetzt. | |
Im Fachjargon heißen die Drohnen unmanned aerial vehicle (UAV) oder remote | |
piloted aircraft (RPA). Es gibt sie in allen Größen: vom winzigen | |
Hubschraubermodell bis zur Länge eines Passagierjets. Bedient werden die | |
unbemannten Fluggeräte meist von zwei Personen per Joystick von einer | |
Bodenstation aus: Einer ist der Pilot, der zweite bedient Sensoren und | |
Waffen. Das Ganze wirkt wie ein Computerspiel, bei dem die Lautsprecher | |
abgeschaltet sind. | |
Doch es ist kein Computerspiel, es ist ein Krieg, bei dem sich die | |
westlichen Krieger die Finger nicht schmutzig machen müssen; ein | |
Onlinekrieg, der an der Front tödliche Folgen hat. "Dies ist viel mehr als | |
eine Evolution", sagt der Politologe Peter Singer, der die Arbeitsgruppe | |
21st Century Defense Initiative an der Brookings Institution in Washington | |
leitet. Für Singer ist es eine Revolution, "die von ihren Folgen her | |
vergleichbar ist mit der Erfindung des Schießpulvers, der Druckerpresse | |
oder des Flugzeugs". Bisher seien Drohnen eher als etwas Außergewöhnliches | |
angesehen worden. Mittlerweile stellten sie aber längst den Normalzustand | |
dar: "Früher gab es nur eine Handvoll, jetzt fliegen weltweit rund 7.000 | |
durch die Luft. Und nicht nur US-amerikanische, sondern auch Drohnen aus 43 | |
anderen Ländern, darunter Großbritannien, Deutschland und Pakistan." | |
Allein in Pakistan führten die USA bisher in diesem Jahr 83 Attacken mit | |
raketenbestückten Drohnen aus, doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Die New | |
America Foundation, ein unabhängiger Thinktank, schätzt, dass in Pakistan | |
seit 2004 mindestens 1.200 Militante und 530 Zivilisten durch Drohnen | |
getötet wurden. Die Initiative zählte Ende vergangener Woche 21 | |
Drohnenangriffe im September. Mit bisher acht Angriffen im Oktober dürfte | |
dieser Monat den September noch übertreffen. Wie viele Zivilisten diesen | |
Angriffen zum Opfer fallen, ist umstritten, Schätzungen reichen von 20 bis | |
zu über 100 unbeteiligten Toten. | |
Der "Finger Gottes" | |
Auch Volker Eick, Politikwissenschaftler am Institut für Gesellschafts- und | |
Politikanalyse an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, hat sich | |
ausführlich mit dem Einsatz von Drohnen beim Militär beschäftigt. Er | |
spricht von einem umfassenden militärtaktischen Wandel, "denn Soldaten | |
fliegen nicht mehr Flugzeuge über Pakistan, Afghanistan oder dem Irak, | |
sondern bedienen ferngesteuerte Drohnen von den USA aus. Zunächst ist das | |
billiger, weil sich die Einsatzzeiten erhöhen - Drohnen können länger und | |
weiter als Flugzeuge fliegen." Zudem sei es weniger gefährlich für die | |
virtuellen Piloten - "sie können weder abgeschossen werden noch selbst | |
abstürzen". | |
Eick zufolge vergleichen US-Militärs einen Bombenabwurf aus einem Flugzeug | |
mit der Präzision einer von Drohnen gesteuerten Rakete gern mit folgenden | |
Worten: "Statt eines Hammers benutzen wir jetzt ein Skalpell." Das | |
Sensorsystem, das den Gegner digital "markiert", sollen die Soldaten | |
"Finger Gottes" nennen. | |
Neben der Nichtgefährdung eines Piloten ist ihre lange Einsatzzeit ein | |
weiterer großer Vorteil der Drohnen. Eine Drohne vom Typ "MQ-1 Predator A" | |
kann 24 Stunden ununterbrochen in der Luft bleiben - wesentlich länger als | |
jedes bemannte Kampfflugzeug. Die "Predator"-Drohnen der Kategorie MALE | |
(medium altitude, high endurance - mittlere Flughöhe, lange Ausdauer), die | |
das US-Unternehmen General Atomics herstellt, werden bevorzugt eingesetzt. | |
Das Nachfolgemodell "MQ-9 Reaper" ("Schnitter") ist doppelt so groß und mit | |
4,7 Tonnen viermal so schwer wie die MQ-1. Es trägt zehnmal so viele | |
Raketen wie die "Predator" und ist mit acht Millionen Dollar deutlich | |
billiger als ein konventioneller Kampfbomber. | |
Die Wissenschaftler Peter Singer und Volker Eick sagen gleichlautend, dass | |
der Einsatz von Drohnen auch Folgen für die neuen Bildschirmsoldaten hat: | |
Rund 15 Kilometer nordöstlich von Las Vegas liegen in der Wüste von Nevada | |
die Luftwaffenstützpunkte Nellis Air Force Base und Creech Air Force Base, | |
auf denen die long-distance warriors täglich in Achtstundenschichten die | |
Drohnen steuern, die Lage aufklären und "Hellfire"-Raketen abfeuern. In den | |
Pausen können sie E-Mails abrufen, einen Hamburger essen, und nach | |
Dienstschluss können sie ihren Kindern bei den Schulaufgaben helfen. | |
Am nächsten Morgen fahren sie wieder zum Stützpunkt. Konsequent bezeichnen | |
sie sich selbst als combat commuters, als Gefechtspendler. Ganz ähnlich | |
verhält es sich mit den CIA-Mitarbeitern, die eine vergleichbare | |
Einrichtung in ihrem Hauptquartier in Langley, Virginia, unterhalten und | |
dort für das geheime Drohnenprogramm in Pakistan zuständig sind. | |
Fast zwanzigmal billiger | |
Die Gefahr einer Banalisierung des Tötens wird auch aus finanziellen | |
Gründen in Kauf genommen. Die Ausbildung eines US-Kampfpiloten kostet im | |
Schnitt 2,6 Millionen Dollar, die eines Drohnenpiloten nur etwa 135.000 | |
Dollar. | |
"Die Regierung Bush hat im Sommer 2008 beschlossen, die CIA als Luftwaffe | |
zur Aufstandsbekämpfung im Dienst der pakistanischen Regierung | |
einzusetzen", erklärt der Politologe Micah Zenko vom Council on Foreign | |
Relations in New York. "Die Angriffsflüge der CIA unterliegen der | |
Geheimhaltung, womit eine echte öffentliche Auseinandersetzung über ihre | |
Wirksamkeit ausgeschlossen ist." | |
In dieses Bild passt auch, dass der private Militärdienstleister | |
Blackwater, der sich nach Skandalen im Irak in Xe umbenannt hat, heimlich | |
und offenbar ohne rechtliche Grundlage zu Serviceaufgaben bei den | |
afghanischen Drohneneinsätzen herangezogen wird. Das berichtete die New | |
York Times im August 2009. Unter Präsident Obama ist dieser Trend | |
ungebrochen. | |
Und die Zukunft der Drohnen? Volker Eick schätzt, dass sich die virtuelle | |
Kriegsführung weiterentwickeln wird - im militärischen Bereich wird der | |
Trend von der Air Force zur "Chair Force" anhalten. | |
10 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Gast | |
## TAGS | |
Hakimullah Mehsud | |
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