# taz.de -- Großbritannien spart: Die lange Liste der Grausamkeiten | |
> Fast alle Ministerien müssen sparen, selbst die Queen soll künftig mit | |
> weniger auskommen. Am härtesten betroffen sind die Gemeinden und die | |
> Armen. | |
Bild: Stilles Entsetzen: Briten verfolgen im Fernsehen die Verkündigung der Ei… | |
"Heute ist der Tag, an dem Großbritannien vom Abgrund zurücktritt und die | |
Rechnungen von einem Jahrzehnt des Schuldenmachens angeht", sagte der | |
britische Finanzminister George Osborne am Mittwoch, bevor er der Nation | |
eine beispiellose Sparkur verordnete. "Es ist ein steiniger Weg, aber er | |
führt in eine bessere Zukunft." | |
Der öffentliche Dienst wird drastisch zur Ader gelassen. 490.000 Stellen | |
sollen in den kommenden vier Jahren wegfallen, was durch natürliche | |
Fluktuation allein nicht zu bewerkstelligen ist. Es müsse auch Entlassungen | |
geben, die sozial abgefedert werden, sagte Osborne vor dem Unterhaus. | |
Darüber hinaus will die Regierung durch die Reform der Beamtenpensionen 1,8 | |
Milliarden Pfund ab 2014 einsparen. | |
Die Rentenbeiträge werden erhöht, was einer Gehaltskürzung gleichkommt. Ab | |
2020 soll das Rentenalter für Frauen und Männer auf 66 Jahre angehoben | |
werden. In nahezu allen anderen Bereichen wird ebenfalls gekürzt, um 20 | |
Prozent im Schnitt. Insgesamt geht es um mehr als 80 Milliarden Pfund. | |
Dadurch, so hofft die Regierung, werde das Defizit von derzeit 11 Prozent | |
des Bruttoinlandsprodukts bis 2015 auf 2 Prozent sinken. | |
Am härtesten sind die Gemeinden von den Kürzungen betroffen. Sie verlieren | |
bis 2015 jedes Jahr 7,1 Prozent ihres Budgets - und das in einer Zeit, in | |
der die Nachfrage nach Sozialbauwohnungen und Sozialhilfe dramatisch | |
steigt. Der Übergangsfonds von 100 Millionen Pfund ist da ein Tropfen auf | |
den heißen Stein. Darüber hinaus verfügte Osborne, dass die Sozialbaumieten | |
an die allgemeinen Marktpreise angelehnt werden. Das bedeutet in der | |
Konsequenz, dass die unteren Einkommensschichten und die Arbeitslosen aus | |
der Londoner Innenstadt verschwinden werden. | |
Bei den Sozialausgaben werden 7 Milliarden Pfund eingespart. So werden die | |
Zuschüsse für Kinderbetreuung für arbeitende Mütter erheblich | |
zusammengestrichen. Am schlimmsten trifft es Behinderte, deren Ehepartner | |
arbeiten. Ihre Zuschüsse fallen nach einem Jahr komplett weg. | |
Zur versprochenen "grünen Politik" enthielt Osbornes Rede wenig. Die neue | |
grüne Investmentbank bekommt nur 1 Milliarde Pfund, die Hälfte dessen, was | |
zugesagt war, und nur ein Sechstel von dem, was Umweltexperten für | |
notwendig erachten. Zwar stellt die Regierung 200 Millionen Pfund für | |
Windkraftwerke zur Verfügung, aber das Geld wird durch eine | |
Strompreiserhöhung aufgebracht. Und die Heizkostenzuschüsse für die Armen | |
werden gestrichen. | |
Auch die Queen kommt nicht ungeschoren davon. Ihre Apanage wird für ein | |
Jahr eingefroren, ab 2012 wird sie um 14 Prozent gekürzt. | |
Alan Johnson, Finanzminister im Labour-Schattenkabinett, beschimpfte die | |
Regierung als "Defizitschwindler". Bei der letzten Haushaltsüberprüfung vor | |
drei Jahren habe Osborne für eine Erhöhung der Ausgaben und eine weitere | |
Deregulierung der Banken plädiert, sagte Johnson. Nun mache er die | |
Labour-Regierung, die bis Mai im Amt war, für das Defizit verantwortlich. | |
Dem Tory-Koalitionspartner, den Liberalen Demokraten, warf Johnson | |
Wankelmütigkeit vor. Liberalen-Chef Nick Clegg habe seine Meinung über | |
Kürzungen in der kurzen Zeit "zwischen dem Schließen der Wahllokale und dem | |
Öffnen der Tür seines Ministerautos" geändert. | |
"In der Opposition zu sein, heißt nicht, jede Sparmaßnahme abzulehnen", | |
sagte Johnson. "Aber es heißt, dass wir eine deutliche Alternative zu | |
diesem leichtfertigen Lotteriespiel mit Wachstum und Jobs unterbreiten | |
werden - einen Plan, der das Defizit reduziert, ohne den Aufschwung zu | |
gefährden." | |
Wenige Stunden vor Osbornes Rede wurde eine Rekordneuverschuldung für | |
September vermeldet: Aufgrund gestiegener Zinszahlungen musste die | |
Regierung 16,2 Milliarden Pfund aufnehmen - das höchste Defizit für einen | |
Monat, seit die Aufzeichnungen 1993 begannen. Dabei ist das Geld für die | |
Bankenrettung nicht eingerechnet. Seine Pläne für eine Bankenabgabe wird | |
Osborne heute vorstellen. | |
Es sei besorgniserregend, meint Hetal Mehta von der Finanzfirma Daiwa | |
Capital Markets, dass das Defizit trotz höherer Mehrwertsteuereinnahmen und | |
einer günstigen Wirtschaftsentwicklung so stark gestiegen sei. "Die | |
Zinszahlungen werden weiter steigen, wenn die Regierung ihre Plane zur | |
Reduzierung des Defizits nicht umfassend durchsetzt", sagte er. | |
Im September vorigen Jahres lagen die Zinszahlungen bei 912 Millionen | |
Pfund, jetzt betrugen sie 2,3 Milliarden. Insgesamt hat sich die Regierung | |
in den ersten sechs Monaten des Finanzjahres, das im April begann, 73,5 | |
Milliarden Pfund geborgt. Bis Ende des Finanzjahres werden es 149 | |
Milliarden sein, schätzt das Amt für Haushaltsverantwortung. | |
20 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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