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# taz.de -- Impotenz in Russland: Der Club der russischen Versager
> Im Reich des Machos Putin haben Frauen ein Problem: Sie bleiben sexuell
> häufig unbefriedigt. Depressionen und Wodka machen aus ihren Männern
> lustlose Schlaffis.
Bild: Zur Schau gestellte Männlichkeit: Wladimir Putin.
Es ist nur ein Werbespot, aber er erzählt eine Menge über russische Männer
und ihr kleines Problem. Mit Siegermiene springt ein Muschik - ein
russischer Macho - vor venezianischer Kulisse aus einem Fenster. Gerade
hatte er eine italienische Zufallsbekanntschaft erfolgreich ins Bett
bekommen - da kommt ihm der gehörnte heißblütige Ehemann in die Quere. Eine
Männerstimme kommentiert die Szene: "Molodez!" Zu Deutsch heißt das: "Was
bist du für ein Pfundskerl!"
"Sealex" wird hier beworben: ein Potenzmittel. Vor Eishockey- und
Fußballspielen läuft der Clip im russischen Fernsehen, denn sportliche
Großereignisse garantieren männliche Aufmerksamkeit. Dann folgt ein Spot
für die Altherrendroge "Impasa": "Alle Männer machen das eine!", intoniert
ein vielstimmiger Kanon. Erst waren es Autos und Waschmittel, die im
postsozialistischen Russland beworben wurden. Inzwischen gehören auch
Potenzmittel dazu.
Um die Gesundheit der Männer ist es in Russland seit Generationen schlecht
bestellt, ganz generell. Mit durchschnittlich 59 Jahren Lebenserwartung
stirbt ein Russe so früh wie seine Geschlechtsgenossen in Zentralafrika.
Der Grund: laxer Umgang mit der Gesundheit, starkes Rauchen, maßloser
Alkoholkonsum, Risikofreude am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr, im Streit.
Die Attribute des russischen Mannes sind schnell erklärt, die Rockgruppe
Leningrad besingt sie: "Eier, Tabak, Bartstoppeln und Alkoholfahne". Dieses
Männerbild verändert sich zwar auch in Russland, aber langsam und nur in
großstädtischen Milieus. Wohl auch, weil so wenig Bedarf besteht: Am
liebsten hätte die russische Frau noch immer "so einen wie Putin", wie es
in einem Teeniesong heißt.
Premierminister Wladimir Putin verkörpert die salonfähige Ausgabe eines
Muschiks, er avancierte zum Inbegriff von Männlichkeit. Wenn Putin sich mit
nackter muskulöser Brust in der Natur präsentiert, vermengen sich Politik
und Sex.
Männer sind knapp in Russland. Elf Millionen mehr Frauen als Männer gibt es
hier. So wird auch ein Altersunterschied von mehreren Jahrzehnten
toleriert. Die Devise lautet: Hauptsache einen abbekommen. Die 36-jährige
Julia hat auf den ersten Blick Glück: Sie ist mit einem nur sechs Jahre
älteren Mann verheiratet. Der Sex sei aber eine Katastrophe, erzählt die
Unternehmerin. Eigentlich fände er überhaupt nicht statt. "Anfangs habe ich
zu allen Mitteln der Verführungskunst gegriffen, ohne Erfolg." Wenn sie
sich ihrem Mann häufiger als jeden zweiten Monat nähert, weist der sie
genervt ab. "Er hält mich für sexbesessen und will mich zum Therapeuten
schicken", klagt Julia. Lange hat sie über ihren Frust nicht gesprochen,
dann traute sie sich doch. "Jetzt weiß ich, dass es vielen Frauen ähnlich
geht." Und dann greift Julia zur russischen Genitalsprache. Sinngemäß sagt
sie: Russland ist ein Land sexuell unbefriedigter Frauen.
Auch die 45-jährige Swetlana erzählt von sexuellen Durststrecken. Nach der
Trennung von ihrem Mann suchte sie lange nach einem neuen Partner. "Wenn es
im Bett nicht klappt, was häufig vorkommt, sind immer wir Frauen schuld",
sagt die Juristin. "Kein Mann kommt auf die Idee, den Grund bei sich zu
suchen." Sie wagt einen Erklärungsversuch: "Würden die weniger trinken,
würde es auch im Bett besser laufen." Der exorbitante Alkoholkonsum mit
mehr als 15 Litern reinem Alkohol jährlich betäubt die Männlichkeit. Die
verheerenden Auswirkungen dieses Konsums hat zuletzt der amerikanische
Demograf Nicholas Eberstadt in seiner aktuellen Studie dokumentiert. Das
Thema wird indes nicht offen angegangen: "Es passt nicht in die
patriotische Stimmung zurzeit, wo Wodka wieder zum festen Bestandteil des
russischen Selbstverständnisses gehört."
Den Rückfall in paternalistische Muster beklagt auch Russlands bekanntester
Sexologe Igor Kon. Die patriarchale Ideologie wirft die gesellschaftliche
Entwicklung zurück und fördert den Raubbau am eigenen Körper. Genaue
Statistiken über Sexualverhalten und erektile Dysfunktionen werden in
Russland allerdings nicht erhoben. "Wenn unsere Experten das Phänomen
studieren, dann an Daten anderer Länder", sagt Kon und schmunzelt. Aber
auch er bestätigt den Bezug zwischen Wodkakonsum und Impotenz.
Das Thema wird nicht nur tabuisiert, Staat und Kirche halten sogar
aggressiv ein überkommenes Rollenbild dagegen. Langfristig führt das zu
einer noch tieferen Verunsicherung des Mannes. Er wird zwar als defizitäres
Wesen umworben und mit Reizen angelockt - kann es aber nicht genießen. Im
autoritären Staat hat der Mann ohnehin wenig zu sagen, muss sich
unterwerfen, wird kontrolliert. Zuhause muss er sich auch noch zunehmend
selbstbewussteren Frauen unterstellen. "Das fördert Depressionen, die die
Libido blockieren", vermutet der Psychotherapeut Michail Lapkowski. Männer
suchen selten seinen Rat. Wer sich an einen Psychologen wendet, dem haftet
noch immer der Nimbus eines Versagers an.
Und so hält sich der Club der russischen Versager lieber an die Chemie: Bei
der Markteinführung des Potenzmittels "Sealex" verteilten als Amazonen
verkleidete Models an Moskauer Tankstellen Proben des neuen Präparats. Die
Aktion lief unter dem Motto "Tank deine Rakete auf". Fernfahrer und
Cabriobesitzer, sie alle waren begeistert, als die Frauen beim Nachfüllen
assistierten - und die Pistole langsam in den Tank einführten. Trotz des
beinharten Patriarchats läuft in der russischen Gesellschaft ohne Frauen
gar nichts.
22 Oct 2010
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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