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# taz.de -- Prozess gegen Mülltaucher: Sozialstunden fürs "Containern"
> Vor dem Amtsgericht Döbeln läuft ein Prozess, der eine Grundsatzfrage
> klären könnte: Kann es strafbar sein, fremdes Essen zu essen, das keiner
> mehr braucht?
Bild: Wem gehören weggeworfene Lebensmittel?
DÖBELN taz | Es ist eine Posse mit Strahlkraft: Vor dem sächsischen
Amtsgericht Döbeln sollte am Donnerstag eine anschauliche Prozessgeschichte
zu Ende gebracht werden, die eine Grundatzbedeutung hat: Kann es strafbar
sein, fremdes Essen zu essen, das keiner mehr braucht? In Döbeln hatte die
Staatsanwaltschaft Chemnitz versucht, eine Verurteilung gegen zwei
sogenannte Container-Aktivisten zu erwirken - und damit ein Exempel in
Sachen Müllklau zu statuieren.
Die Angeklagten Christof N. (24) und Frederik V. (32) waren am 13. April
2010 nachts auf dem Parkplatz eines Supermarktes mit einem Anhänger voller
Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum angehalten worden. Monate
später flatterte ihnen ein Strafbefehl über 20 bzw. 10 Tagessätze wegen
Diebstahls ins Haus. Das besondere: Weder der bestohlene Discounter noch
sonstwer fühlte sich geschädigt. Die Staatsanwaltschaft sah jedoch ein
"besonderes öffentliches Interesse" in dem Fall - und wollte die
Mülltaucher verknacken. Dem stimmte die Richterin so nicht zu.
Dennoch bleibt die Lösung unbefriedigend, denn ein Urteil ergeht zunächst
nicht. Stattdessen machte die Richterin das Angebot, das Verfahren gegen
Auflagen einzustellen. Der Angeklagte Frederik V. nahm das Angebot unter
Protest an - und muss nun zehn Sozialstunden bei einer gemeinnützigen
Organisation seiner Wahl leisten. Der zweite Angeklagte Christof N. blieb
noch unentschieden - und kann sich nun überlegen, ob er es zu einem
aussagekräftigen Urteil kommen lassen will.
Das hätte Bedeutung, weil sich Experten über die Frage streiten, ob das
Mülltauchen illegal ist. Diejenigen, die "Containern" - also das Aneignen
von weggeworfenen Lebensmitteln - für strafbar halten, argumentieren, dass
der Müll entweder demjenigen gehört, der ihn weggeworfen hat - also in
diesem Fall den Discountern - oder ansonsten der Abfallwirtschaft.
Andere vertreten dagegen die Ansicht, dass der Supermarkt offiziell seinen
Besitzanspruch aufgegeben hat, wenn er die Lebensmittel in den Container
wirft. Diebstahl von Waren mit "geringem bis nicht vorhandenem Warenwert"
wird nach §248 des Strafgesetzbuches aber nur auf Antrag verfolgt und führt
normalerweise dazu, dass Verfahren gegen Mülltaucher schnell eingestellt
werden - zumindest so lange sie Mülltonnen einfach nur öffnen und keine
Schlösser oder sonstigen Absperr-Vorrichtungen beschädigen.
"Besonders schwer" sollte der Fall von Christof N. und Frederik V. sein,
weil sie über einen Zaun geklettert sein sollen, um an das Essen zu
gelangen. Allerdings hatte der Discounter, von dem die Lebensmittel
stammen, gar keinen Strafantrag gestellt. Neu an dem Döbeler Fall ist also
eine Anzeige wegen Containerns, obwohl sich niemand geschädigt gefühlt
hatte. Alle anderen vergleichbaren Verfahren waren bereits während der
Ermittlungen eingestellt worden.
"Aus unserer Sicht kann das besondere öffentliche Interesse nur darin
liegen, die Lebensmittelvernichtung sofort zu stoppen", empören sich die
Angeklagten. Christof N. sagte der taz am Donnerstag: "Es ist absurd, dass
Lebensmittel weggeworfen werden - und die Verwendung der Lebensmittel dann
bestraft werden soll. Bestraft werden sollten die, die noch gute
Lebensmittel massenweise vernichten, obwohl täglich zehntausende Menschen
an Hunger sterben."
28 Oct 2010
## AUTOREN
Sigrid Lehmann-Wacker
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