# taz.de -- Debatte USA: It's Stillstand | |
> Die Demokraten werden die Mehrheit im Repräsentantenhaus und einige Sitze | |
> im Senat verlieren. Damit stehen den USA zwei Jahre politischer Lähmung | |
> bevor. | |
George W. Bush konnte sechs seiner acht Amtsjahre mit einem republikanisch | |
dominierten Kongress regieren. Seinem Vorgänger Bill Clinton waren nur zwei | |
Jahre mit demokratischer Mehrheit vergönnt. Und alles sieht danach aus, als | |
könnte es Barack Obama ähnlich gehen. Wieder beherrscht ein Wort die | |
Analysen US-amerikanischer Kommentatoren, das in den 1980er Jahren Eingang | |
ins politische Vokabular gefunden hat: "gridlock", was so viel heißt wie | |
"völliger Stillstand". | |
Die Rechnung ist recht einfach: Gesetzesinitiativen entstehen in der Regel | |
eher im Repräsentantenhaus, das in Zukunft republikanisch kontrolliert sein | |
dürfte. Im Senat werden vermutlich die Demokraten eine Mehrheit behalten. | |
Aber von den 60 der 100 Stimmen, die nötig sind, um ein Gesetz - oder eine | |
Nominierung - tatsächlich zur Abstimmung zu bringen, werden sie weit | |
entfernt sein. Dank des sogenannten Filibuster stellen 41 Stimmen im Senat | |
eine Sperrminorität, die alles blockieren kann. Gleiches würde gelten, | |
sollten die Republikaner auch den Senat übernehmen. Nicht nur hätten dann | |
sie ebenfalls Schwierigkeiten, gegen das dann wieder den Demokraten | |
überlassene Instrument des Filibuster anzukommen; sie hätten zudem auch | |
noch das Veto des Präsidenten zu erwarten. | |
Die Schwäche der Moderaten | |
Um also in den kommenden zwei Jahren überhaupt irgendetwas umsetzen zu | |
können, müssten beide Seiten jeweils ausreichend Stimmen der gegnerischen | |
Fraktion hinzugewinnen können. Für die dringend anstehenden Reformvorhaben, | |
von den Einwanderungsgesetzen bis zum Klimaschutz, von der Abschaffung des | |
Banns offen homosexuell lebender SoldatInnen bis zur Bildungspolitik ist | |
das allerdings unglaublich schwer vorstellbar. Denn auf beiden Seiten | |
werden jene moderaten Kräfte, die mitunter Initiativen aus der anderen | |
Fraktion unterstützen, weiter geschwächt werden. Bei den Republikanern ist | |
die Tea Party mit ihren ultrakonservativen Tendenzen und ihrem | |
grundsätzlichen Misstrauen gegen überhaupt jede Art von | |
Regierungsprogrammen dabei, sich als treibende Kraft zu etablieren. Einen | |
ähnlichen Druck auf die Republikanische Partei hatten zuletzt | |
innenpolitisch die Evangelikalen der Christlichen Rechten und | |
außenpolitisch die Neocons aufgebaut. Und bei den Demokraten werden gerade | |
jene sogenannten Blue Dogs vom rechten Flügel wieder verlieren, die bei den | |
letzten Wahlen in traditionell republikanischen Bundesstaaten Mandate | |
gewonnen hatten. | |
Dazu kommt: Nach der Wahl ist vor der Wahl. "Wenn Kongress und Weißes Haus | |
von unterschiedlichen Parteien kontrolliert werden", schreibt | |
Kongressexpertin Sarah Binder von der Brookings Institution, "haben beide | |
mehr Interesse daran, die Kontrolle der Regierung wiederzugewinnen, als | |
daran, für die Umsetzung großer politischer Veränderungen zu arbeiten." In | |
zwei Jahren stehen wieder Kongress- und darüber hinaus auch | |
Präsidentschaftswahlen an. Barack Obama hat in diesen ersten gut eineinhalb | |
Jahren seiner Amtszeit die Erfahrung machen müssen, für die Umsetzung | |
großer Reformvorhaben kaum Anerkennung bei der Wählerschaft zu erhalten. | |
Wie andere Präsidenten vor ihm in ähnlicher Situation wird Obama nun sein | |
Heil in der Außenpolitik suchen, bei der der Kongress nur wenig | |
mitzubestimmen hat. | |
Beispiel Einwanderungsreform: Eigentlich hatte es zum festen Bestandteil | |
von Obamas Regierungsversprechen gehört, die untragbare Situation der rund | |
12 Millionen ohne gültige Papiere im Land lebenden MigrantInnen endlich zu | |
regeln. Darüber hinaus sollten - auch als Anreiz an die Republikaner, die | |
eine solche Regelung mehrheitlich als "Amnestie" geißeln - die Sicherung | |
der Grenzen und die Abschiebungen vorangetrieben werden. Herausgekommen ist | |
eine Rekordzahl an Abschiebungen nach Mexiko und eine verschärfte | |
Überwachung der Grenzen, aber keine Einwanderungsreform. Die Demokraten | |
können erwarten, von der Hispanic-Wählerschaft dieses Jahr dafür abgestraft | |
zu werden - sie werden sich in den kommenden zwei Jahren darauf | |
konzentrieren, die Republikaner für deren mangelnde Reformbereitschaft zu | |
geißeln. Von den Republikanern ihrerseits, getrieben von der überwiegend | |
weißen und antihispanischen Tea Party, ist auch keinerlei Initiative zur | |
Problemlösung zu erwarten. Selbst einstige Reformunterstützer wie Senator | |
John McCain haben unter dem Druck von rechts ihre Positionen revidiert. | |
Flucht in die Außenpolitik | |
Der einzige Bereich, in dem zumindest kurzfristig Lösungen zu erwarten | |
sind, dürfte die Steuerpolitik sein - und das womöglich noch bevor der neu | |
zusammengesetzte Kongress sich im Januar überhaupt konstituiert, in der | |
sogenannten "lame duck season" des alten Kongresses. Denn hier besteht | |
Handlungsbedarf: Die unter der Bush-Regierung verabschiedeten | |
Steuererleichterungen für die Wohlhabenden laufen Ende Dezember aus. Am 1. | |
Dezember wird die von Obama eingesetzte überparteiliche | |
Steuerreformkommission aus je sechs republikanischen und demokratischen | |
Kongressmitgliedern sowie sechs unabhängigen Experten einen Vorschlag | |
unterbreiten - jedenfalls sofern sie sich intern mit mindestens 14 Stimmen | |
auf einen solchen einigen kann. Dieser Vorschlag geht zuerst zur Abstimmung | |
in den Senat, anschließend ins Repräsentantenhaus. Angesichts des von allen | |
Seiten beklagten Staatsdefizits von 1,3 Billionen Dollar ist eine | |
Verabschiedung nicht ausgeschlossen. | |
Darüber hinaus jedoch dürften die kommenden zwei Jahre tatsächlich vom | |
"gridlock" geprägt sein. Das ohnehin schlechte Image des Kongresses - 73 | |
Prozent der US-AmerikanerInnen beurteilen dessen Arbeit als negativ - wird | |
weiter leiden. Und das zu Recht: Das System der Checks and Balances, das | |
zur Zusammenarbeit zwingen sollte, taugt nur noch, um jegliche kohärente | |
Politik zu verhindern. Die aber wäre dringend notwendig. Ausgerechnet die | |
führende westliche Großmacht hängt aufgrund der Schwächen ihres politischen | |
Systems seit Jahren hinterher bei der Verabschiedung einer zukunftsfähigen | |
Politik. Das können sich die USA schon lange nicht mehr leisten. Woher aber | |
der Impuls zur Veränderung kommen soll? Da herrscht völlige Ratlosigkeit. | |
31 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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