# taz.de -- Christlich-jüdische Kultur und Kopftücher: Muss die Bibel verbote… | |
> Für die aktuelle Diskussion über Kopftuch, Burka und Scharia könnte das | |
> 11. Kapitel eines Paulus-Briefes von besonderem Interesse sein. | |
Bild: Zuschauerinnen beim Fußballspiel Deutschland - Türkei. | |
Wenn der Begriff der jüdisch-christlichen Kultur auf etwas zutrifft, dann | |
mit Sicherheit auf jene Gemeinden griechischsprachiger Juden und | |
Gottesfürchtiger, an die sich der Apostel Paulus missionarisch wandte, etwa | |
in Korinth. | |
Für die aktuelle Diskussion über Kopftuch, Burka und Scharia jedenfalls ist | |
das 11. Kapitel dieses Briefes von besonderem Interesse. Frauen genossen im | |
hellenistischen Judentum - anders als in der heutigen Orthodoxie - hohes | |
Ansehen, waren Synagogenvorsteherinnen und saßen auch nicht von den Männern | |
getrennt. Was meint der Apostel dazu? | |
Das entfaltet er im ersten Brief an die Korinther, Kapitel 11,3-13: "Ich | |
will euch aber wissen lassen, dass Christus das Haupt eines jeden Mannes | |
ist, der Mann aber das Haupt der Frau, Gott aber das Haupt Christi. Jeder | |
Mann, der bei prophetischen Reden etwas auf dem Haupte hat, entweiht sein | |
Haupt. Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupt betet oder prophetisch | |
redet, entweiht ihr Haupt; denn sie ist ein und dasselbe wie die | |
Geschorene. Will nämlich eine Frau sich nicht verschleiern, so soll sie | |
sich auch die Haare abschneiden lassen. Gilt es aber als Schande für eine | |
Frau, sich das Haar schneiden oder kahl scheren zu lassen, so soll sie sich | |
verschleiern. Der Mann braucht sich nämlich das Haupt nicht zu verhüllen, | |
weil er Bild und Abglanz Gottes ist; die Frau dagegen Abglanz des Mannes. | |
Der Mann ist nämlich nicht aus der Frau, sondern die Frau aus dem Manne. | |
Auch wurde der Mann nicht um der Frau willen geschaffen, vielmehr die Frau | |
um des Mannes willen. Deshalb soll die Frau ein Machtzeichen auf dem Haupte | |
haben um der Engel willen. Übrigens ist im Herrn weder die Frau etwas ohne | |
den Mann noch der Mann ohne die Frau. Wie nämlich die Frau vom Manne | |
stammt, so ist wiederum der Mann durch die Frau; alles aber ist aus Gott." | |
Nun mag man sich beruhigen: Es geht in diesem Sendschreiben zunächst nur um | |
synagogale oder kirchliche Kleiderordnungen, vom Verhalten von Frauen in | |
der Öffentlichkeit ist hier nicht die Rede. Wohl aber grundsätzlich von | |
einem göttlich verbrieften Herrschaftsanspruch der (christlichen) Männer | |
über die Frauen. | |
Nach den Kriterien von Geert Wilders oder der um "Politically Incorrect" | |
rotierenden islamophoben Bloggosphäre stellt sich nun aber die Frage, ob | |
diese Aussage des Apostels mit den Wertsetzungen des Grundgesetzes | |
vereinbar ist, ob die Briefe des Apostels wie so manche anderen Passagen | |
des Alten und Neuen Testaments nicht verboten werden müssten, und vor | |
allem, was dann noch "christlich-jüdische" Unterfütterung des Grundgesetzes | |
heißen kann. | |
Legitimation der Prügel | |
Wer in letzter Zeit den Film "Das weiße Band" von Michael Haneke gesehen, | |
Michael Hagners Buch über den "Hauslehrer" gelesen und Christian Pfeiffers | |
jüngste Studie über das gewalttätige, prügelnde Erziehungsverhalten zumal | |
gebildeter evangelikaler Christen zur Kenntnis genommen hat, wird im Alten | |
und Neuen Testament schnell (Buch der Sprüche, Hebräerbrief) legitimierende | |
Gründe finden. "Wer seine Rute zurückhält, der hasst seinen Sohn; doch wer | |
ihn liebt, der sucht ihn mit Züchtigung heim." (Sprüche 13,24). Müsste also | |
das "Buch der Sprüche" dieses Verses wegen nicht auf den Index | |
jugendgefährdender Schriften gesetzt werden? In dieser Frage immerhin | |
bewies Paulus, dass er aufgeklärte Einsichten haben konnte: "Und ihr | |
Väter", so der Epheserbrief, "reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern | |
zieht sie auf in der Zucht und Weisung des Herrn." (Epheser 6,4.) | |
Also wie nun? Sollen Korinther 11 ebenso wie Sprüche 13,24 auf den Index, | |
Epheser hingegen frei zugänglich bleiben? Oder sollte man nicht besser | |
gleich freiwillig gereinigte Bibeln mit einem Gütesiegel der FSK, | |
enthaltend die Silhouette eines Bundesadlers mit der Umschrift | |
"Grundgesetzkonform" an den Schulen verteilen? Und wäre es nicht geradezu | |
der Gipfel aller kulturellen, euroislamischen Integration, wenn eine | |
politisch korrekte, grundgesetzlich evaluierte Ausgabe des Korans | |
erschiene, in dem die hässliche Sure 4,34 ebenso getilgt wäre wie die ein | |
oder andere definitiv falsche Aussage über die Juden? | |
Man mag das drehen und wenden wie man will - bevor sich die | |
christlich-jüdisch erbaute, in ihrem Glauben ans Grundgesetz gefestigte | |
politische Klasse dazu äußert, ob Korinther 11 zur jüdisch-christlichen | |
Tradition gehört, soll sie dieselbe bitte nicht mehr so vollmundig | |
beschwören. | |
Überhaupt: Warum genau - ich meine jetzt öffentlich-rechtlich und also | |
staatskirchenrechtlich - kann es sich die katholische Kirche leisten, | |
Frauen nicht zu ordinieren? Gewiss, als religiöser Verein darf sie das; | |
aber warum darf der dem Grundgesetz verpflichtete Staat mit derlei | |
Organisationen, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau gröblich und | |
systematisch missachten, Verträge schließen und Subventionen vergeben? | |
Verstößt er dabei nicht gegen sein eigenes Antidiskriminierungsgebot? | |
Und, allen Ernstes: warum werden die Piusbrüder nicht vom Verfassungsschutz | |
beobachtet, obwohl sie sich doch mindestens so antidemokratisch äußern wie | |
diese oder jene Salafistengruppe? | |
2 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Verhüllungsstreit in der Türkei: Das Kopftuch als neue Leitkultur | |
In der Türkei tobt eine Debatte über das Für und Wider der Verhüllung an | |
Hochschulen und im öffentlichen Dienst. Säkulare Frauen sehen ihre Rechte | |
bedroht. | |
Kolumne Das Tuch: Kopftuchträgerin trifft Matussek. Empirisch | |
Achtung! Achtung! Musliminnen können intelligent und humorvoll sein. |