# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Kopftuchträgerin trifft Matussek. Empirisch | |
> Achtung! Achtung! Musliminnen können intelligent und humorvoll sein. | |
Ich bin in Eile. Mit Wasser und Fischbox in der Hand schlängle ich mich | |
durch die Menschenmenge hin zum Zug nach Berlin, vorbei an Matthias | |
Matussek, dem Spiegel-Journalisten und Autor. Und mache kehrt und sage: | |
"Hallo!" Sein Gesicht zeigt Verwirrung. Mit gekräuselter Stirn versucht er, | |
mich einzuordnen. | |
"Sie kennen mich nicht", sage ich und füge stalkerartig hinzu: "Aber ich | |
kenne Sie!" | |
So sitzen wir zehn Minuten später gemeinsam im Speisewagen des Zuges und | |
sprechen über Gott, das Internet, Deutschland und die Welt. Lustig wird es, | |
als wir Akzente im Englischen imitieren. Matussek macht den französischen, | |
ich den türkischen, und unsere Sitznachbarin präsentiert den bayerischen | |
Akzent. Wir lachen. | |
Dann fragt mich Matussek: "Sie haben doch Humor, oder?" Nee, habe ich beim | |
Integrieren verloren, erkläre ich. Das Dauergrinsen auf meinem Gesicht | |
komme daher, weil ich meine Gesichtsmuskeln nicht kontrollieren könne. Dann | |
muss halt der Gesichtsschleier her, beschließen Matussek und ich. Sonst | |
wird das nie was mit meiner Integration in Deutschland. | |
Und dann kommt der Punkt, an dem wir den Tanz um den heißen Brei aufgeben. | |
"Sie sind aber schone eine Ausnahme", sagt Matthias Matussek und beobachtet | |
mich gespannt. | |
Uff. Wie oft ich diesen unsäglichen Satz doch schon gehört habe. Dieser | |
furchtbare Satz, der mehr sagt, als der Absender vielleicht meint. | |
Ich bin keine Ausnahme. Es gibt viele muslimische Frauen, die das Kopftuch | |
tragen, erfolgreich studieren und emanzipiert sind. Ich habe muslimische | |
Freundinnen, die Ärzte, Anwälte, überzeugte Feministinnen und Soziologinnen | |
sind. Eine erzählte mir kürzlich von ihrer dunklen Goth-Vergangenheit. Wie | |
viele Ausnahmen braucht es, um die Regel zu überdenken? Wann kann man einen | |
differenzierten Blick einfordern? | |
Empirisch gesehen, treffe er aber tatsächlich das erste Mal auf eine | |
Kopftuchträgerin wie mich, sagt Matussek. Da mag er recht haben. Das macht | |
aber nicht mich, sondern unsere Begegnung zur Ausnahme. Ein trauriges | |
Zeugnis der vielen parallelen Lebenswelten in Deutschland. | |
Diese Ausnahme-Wahrnehmung steht aber auch für eine Verschiebung der | |
Integrationsdebatte: das Einteilen von Menschen nach ökonomischen Kriterien | |
wie Nützlichkeit und Bereicherung. Guter Migrant, schlechter Migrant. Diese | |
Einteilung mache ich nicht mit. Ich möchte mich nicht von meinen | |
Freundinnen mit einem Hauptschulabschluss absetzen. Sie sind nicht | |
schlechter als ich, ich bin nicht besser als sie. Wir sind einfach | |
unterschiedlich. | |
Ganz fatal wird es, wenn Migranten das Spiel mitspielen. Die brav nicken, | |
wenn man sie ehrt, ihnen Besonderheit bescheinigt und von dem lästigen Rest | |
abhebt. Sie bemerken dabei nicht, wie sie sich selbst verleugnen. | |
Im Zug müssen wir langsam aufhören zu reden. Ich will diese Kolumne | |
schreiben, Matussek möchte noch lesen. Zum Abschied sagt er zu mir: "Dein | |
Imam findet das bestimmt nicht so toll, dass du einen fremden Mann | |
angesprochen hast. Aber, psst!, ich verpetze niemanden." | |
Auch Matthias Matussek hat [1][über diese Begegnung geschrieben]. | |
27 Oct 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,725641,00.html | |
## AUTOREN | |
Kübra Yücel | |
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