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# taz.de -- Nachruf auf Wiktor Tschernomyrdin: Der Kompromisskünstler
> Russlands Ex-Regierungschef Wiktor Tschernomyrdin ist mit 72 Jahren
> gestorben. Von ihm stammt der Satz: "Welche Partei wir auch gründen,
> heraus kommt immer die KPdSU."
Bild: Man sieht gleich: Wiktor Tschernomyrdin war ein Mann des Ausgleichs.
Wiktor Tschernomyrdins politische Karriere im postsowjetischen Russland
begann als Kompromisskandidat. Präsident Boris Jelzin machte den roten
Direktor im Dezember 1992 zum Premier. Tschernomyrdin war bis dahin
leitender "Gasowik" des Landes. Noch in der Endphase des Kommunismus hatte
er den Konzern Gazprom hochgezogen. "Was gut ist für Gazprom, ist auch gut
für Russland", lautete seine Devise.
Ende 1992 war die Reformmannschaft um den Premier Jegor Gaidar am
Widerstand der Kommunisten im Parlament gescheitert. Jelzin präsentierte
dem Obersten Sowjet den Funktionär Tschernomyrdin, dessen politischer
Lebensweg ihn auch für Kommunisten wählbar machte.
Mit Schlosserlehre, Parteibeitritt, Ingenieursstudium und wirtschaftlichem
Know-how als Chef eines Großunternehmens konnte er auf eine mustergültige
kommunistische Karriere verweisen. Auch die Reformer arrangierten sich mit
dem ehemaligen Gasminister.
Der humorvolle Premier verkörperte die Widersprüche der bewegten
Aufbruchphase. Er war urrussisch und ursowjetisch und überzeugt, dass
Russland sich für Markt und Demokratie öffnen müsse. Die Auswüchse des
wilden Kapitalismus waren dem leidenschaftlichen Akkordeonspieler jedoch
zuwider. "Wir wollen Markt und keinen Basar", donnerte Tschernomyrdin, der
mit schillernder Sprache und einer Neigung zu Aphorismen die politische
Lexik des neuen Russlands nachhaltig prägte.
Wenige Monate nach der Gründung der Jelzin-Partei "Unser Haus Russland"
brachte er die russische Krankheit auf die kurze Formel: "Welche Partei wir
auch gründen, heraus kommt immer die KPdSU." Sechs Jahre diente er Boris
Jelzin. Als der im Herbst 1993 das von Kommunisten beherrschte Parlament
stürmen ließ, ergriff er demonstrativ Partei für das andere Russland, das
Jelzin verkörperte.
Der Schritt muss ihm schwer gefallen sein, denn er war einer der wenigen
russischen Politiker, die sich auf die Kunst des Kompromisses verstanden.
Gleichzeitig zählte er zu jenen, die Entscheidungen treffen und sich vor
den Konsequenzen nicht fürchten. Politiker dieses Kalibers hat die
politische Elite in Russland nicht mehr vorzuweisen. Verantwortung zu
übernehmen ist ihr fremd.
Das war wohl der Grund, warum er von Wladimir Putin 2001 als Botschafter
nach Kiew abgeschoben wurde. Anders als der Expräsident tauchte der
Arbeitersohn aus Orenburg in Schicksalsmomenten nicht ab. 1995, als
tschetschenische Separatisten 1.500 Menschen in einem Krankenhaus in
Budjonnowsk als Geiseln nahmen, verhandelte der Premier telefonisch mit dem
Rädelsführer Schamil Basajew. Den Separatisten sicherte er freies Geleit zu
und rettete mehr als tausend Leben. Dieses Russland gibt es nicht mehr. Mit
Tschernomyrdin starb nun auch sein letzter Vertreter im Alter von 72
Jahren.
3 Nov 2010
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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