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# taz.de -- Berliner Grüne eröffnen Wahlkampf: Das ist die Krönung!
> An diesem Freitag Abend wird Renate Künast erklären, Regierende
> Bürgermeisterin von Berlin werden zu wollen. Solcherlei Selbstkrönungen
> haben Tradition in Brandenburg-Preußen.
Bild: Hat irgendwie Ähnlichkeit mit Königin Luise: Renate I.
Nein, koronabel ist der Wedding nicht. In den Uferhallen an der Panke soll,
so die Choreografie, Renate Künast am Sonntag beim Landesparteitag zur
grünen Spitzenkandidatin gekürt werden. Doch die eigentliche Krönungsfeier
findet bereits am Freitag statt - im ehemaligen Reichspostamt, dessen Bau
gleich nach der Krönung Wilhelms I. zum deutschen Kaiser 1871 begonnen
wurde. Preußisch ist also der Rahmen der Zeremonie, und preußisch ist auch
die Kandidatin. 1815 kam Recklinghausen, die Geburtsstadt der Renate
Künast, zur Provinz Westfalen des Königreichs Preußen.
Gibt man bei Google die Stichworte Künast und Krönung ein, findet die
Suchmaschine in nur 0,33 Sekunden 24.500 Ergebnisse. Das ist nicht schlecht
für eine Grüne, die vor noch nicht allzu vielen Jahren zum linken und
bestimmt auch antimonarchischen Flügel ihrer Partei zählte. Nun aber, da
sie Landwirtschaftsministerin in Gummistiefeln war, Oppositionsführerin im
Bundestag und laut Umfragen die Lieblingsgrüne der Deutschen, ist alles
irgendwie anders. Selbst von Guttenberg, den gegelten Blaublüter im
Zweireiher, hat sie an Populismus überboten: Eine Bärenpatenschaft im Zoo
hat der noch nicht.
Von nun an soll an dieser Stelle also von Renate der Großen oder Renate der
Ersten die Rede sein. Schließlich liegt das Rote Rathaus, das sie als
Regierende Bürgermeisterin erobern will, gleich neben der Langen Brücke.
Und über die hielt Friedrich I. Einzug in die Residenzstadt, nachdem er
sich zuvor in Königsberg zum König in Preußen selbst gekrönt hatte.
Der 6. Mai 1701 war ein Tag wie geschaffen zum Jubeln. Auf 63
sechsspännigen Karossen fuhr Friedrich durch blumengeschmückte Ehrenpforten
über die Lange Brücke bis zum Stadtschloss (das Rote Rathaus gab es damals
noch nicht). Aus "Friedrich dem Schiefen", seit seiner Geburt etwas
verunstaltet, war ein richtiger König geworden. Etwas, das es, wie heute
eine grüne Regierungschefin, eigentlich gar nicht geben durfte. Schließlich
gehörte Brandenburg zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, und
dessen Kaiser duldete neben sich keine Könige. Also krönte sich Friedrich -
mit Zustimmung des Papstes - in Königsberg, das nicht zum Reich gehörte.
Künast dagegen braucht nicht einmal mehr Gottes Segen zur Krönung. Die
Demoskopen reichen auch.
Damit aus Renate Künast tatsächlich Königin Renate wird, bedarf es freilich
einiger Kunstgriffe. Das zeigte zuletzt der ebenfalls in Recklinghausen
geborene Hape Kerkeling. Dessen Film "Horst Schlämmer. Isch kandidiere"
fiel bei den Kritikern durch, weil dem massiven Einsatz von Werbeträgern
keine Botschaft von Dauer folgte. Also bediente sich der "Goldene Hirsch",
Künasts Werbeagentur, lieber bei einem weiblichen Role-Model: Katharina der
Großen.
Katharina stammte zwar nicht aus Recklinghausen, sondern aus dem
anhaltinischen Zerbst. Doch ihr Wille zur Macht war so groß, dass es ihr im
Grunde egal war, wo sie herrschte. So wurde aus Sophie, Prinzessin von
Anhalt-Zerbst, die russische Zarin Katharina II. Dabei galt es freilich
einige Hürden aus dem Weg zu räumen, darunter auch ihren Ehemann und
Vorgänger auf dem Kaiserthron, Zar Peter III. Das aber erledigte sie mit
Bravour - und bald gab es für die russischen Untertanen nur noch Katharina,
die Große. Hand aufs Herz: Erinnert sich heute noch jemand, wie die
Bauernminister vor Renate Künast hießen? Eben.
Vielleicht aber macht es Renate auch eine Nummer unter einer Großen.
Regierende Bürgermeisterin der Herzen? Die Botschaft wäre nicht schlecht im
Luisenjahr 2010. Schließlich ging auch Preußens Königin der Herzen bei
ihrer Trauung mit Friedrich Wilhelm III. am 24. Dezember des Jahres 1793
auf Distanz zu königlichem Pomp. Stattdessen herzte sie nach der Zeremonie
ein kleines bürgerliches Mädchen. Der Hof tobte, das Volk jubelte. Es ist
dieser Hang zum Unkonventionellen, den Luise und Renate gemeinsam haben.
Nur eines kann man Königin Renate nicht nachsagen: dass sie, wie Luise, ein
fashion victim sei.
Zurück zum Museum für Kommunikation, dem ehemaligen Reichspostamt. Dort ist
derzeit ja eine Ausstellung über Gerüchte zu sehen (und denen will Renate
I. auf ihrer Krönungsmesse den Garaus machen).
Gerüchte, und zwar zuhauf, gab es auch im Jahr der Kaiserproklamation 1871.
Eigentlich wollte Wilhelm I., ein Sohn der Königin Luise, gar nicht Kaiser
werden, er hielt den Posten des preußischen Königs für wichtiger - so wie
Renate Künast lange ihren Job als Fraktionschefin der Grünen für
einflussreicher hielt als den einer Provinzfürstin. Doch damit gab sich
Bismarck, Wilhelms Spin-Doctor, nicht zufrieden. Nur mit der Kaiserwürde
ausgestattet, könne Deutschland geeinigt werden.
Wer aber ist Renate Künasts Spin-Doctor? Jürgen Trittin etwa, der ohne
Künast noch mächtiger wäre? So wie einst Bismarck also, von dem Wilhelm
später sagte: "Es ist gar nicht leicht, unter diesem Kanzler Kaiser zu
sein."
Oder ist es der Berliner CDU-Landes- und -Fraktionschef Frank Henkel, der
nur als Juniorpartner der Grünen die Chance zur Regierungsbeteiligung
sieht. Auf die Aufklärung solcher Gerüchte braucht man freilich am Freitag
nicht zu hoffen.
Bleibt die Frage der Rechtmäßigkeit. Friedrichs Krönung in Königsberg ging
als - etwas fragwürdige - "Rangerhöhung" in die Geschichtsbücher ein.
Darüber hinaus zählt die Zeremonie 1701, wie die Krönungen Napoleons und
Schah Reza Pahlavis, zu den Selbstkrönungen in der Geschichte der
Monarchien. Katharina die Große wiederum erlangte ihre Macht durch einen -
man kann es nicht anders sagen - Staatsstreich. Was aber wird Renate Künast
tun, um Königin Renate oder Renate die Erste zu werden? Sie will gewählt
werden.
Vielleicht aber gibt sie heute bekannt, dass diese Wahl ein Referendum sei.
Ein bisschen direkte Demokratie bei der Krönungsmesse fehlt der preußischen
Geschichte noch. Und der künftigen Herrscherin würde es bei ihrer grünen
Huldigung nicht schaden.
4 Nov 2010
## AUTOREN
Uwe Rada
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