# taz.de -- Technologie für Blinde: Der sprechende Bildschirm | |
> Für viele Sehbehinderte wird das Internet ein "Tor zur Welt" - aber erst | |
> durch spezielle Hilfsprogramme. Ein Verein informiert regelmäßig über | |
> Neuerungen. | |
Bild: Auch viele alte Menschen gehören zur Gruppe der Sehbehinderten | |
Steffis Stimme schnarrt aus dem Lautsprecher: "Arbeitsplatz, neue | |
Dokumente, Systemeinstellungen". Steffi ist kein Mensch, sondern ein | |
Programm, mit dem Blinde ihren Computer steuern können. Steffi liest | |
Menüpunkte und Ordnernamen einfach vor. Auch dem blinden Lehrer Hasan | |
Karahasan hilft der "Screenreader" bei der Arbeit an seinem Netbook. Mit | |
den Pfeiltasten steuert Karahasan die Menüführung. "Wir müssen uns ein | |
bisschen mehr reinhängen und empfinden vielleicht nicht ganz so intensiv, | |
aber am Ende wird die Technik von den Blinden als Bereicherung empfunden", | |
sagt er über seine PC-Arbeit. | |
Rund 30 Menschen hören Karahasan in der Geschäftsstelle des Allgemeinen | |
Blinden- und Sehbehindertenvereins (ABSV) in Grunewald aufmerksam zu. Die | |
Stimme des Computerlehrers ist klar und sicher. "Nach 14 Jahren | |
Lehrtätigkeit hat man ein entsprechendes Organ", sagt er und lacht. Ab und | |
zu stemmt er die Arme in die Seite. Beim Reden entfernt er sich manchmal | |
etwas vom Tisch und tastet dann unauffällig nach der Tischkante oder dem | |
Stuhlbein. Kleine Zeichen, die Sehende daran erinnern, dass der Lehrer | |
blind ist. | |
Viermal im Jahr kommen Blinde und Sehbehinderte zum Computertreff, um sich | |
über technische Neuerungen unterrichten zu lassen. Karahasan stellt dann | |
etwa vor, wie Blinde mit Windows 7 arbeiten können. Fragen prasseln auf ihn | |
ein: "Wie funktioniert mein Screenreader mit dem neuen System?" - "Ist | |
Windows 7 wirklich schneller?" | |
Der gebürtige Hamburger erzählt von der neuen Menüstruktur. Wo beim alten | |
Betriebssystem die Stimme "Dokumente" schnarrte, heißt es jetzt | |
"Systemeinstellungen". Aber Karahasan kennt Tricks: Er geht mit den Tasten | |
durchs Menü und sagt: "Hören Sie, die Anordnung klingt wie Windows XP." Zur | |
einfacheren Bedienung benennt er Ordner um oder verschiebt sie. Manchmal | |
wird er unterbrochen, wenn ein Teilnehmer die Uhrzeit wissen will: "Es ist | |
17 Uhr 5", ruft das Handy in den Raum. | |
Seit 14 Jahren stellen Referenten technische Entwicklungen für Blinde beim | |
ABSV vor. Eine Revolution war der Screenreader. "Es gehört viel Übung | |
dazu", sagt dennoch Franz Rebele, Gründervater des Treffs. Der Benutzer | |
muss viele Tastenkombinationen kennen, um beispielsweise auf Webseiten von | |
Überschrift zu Überschrift zu springen. Mittlerweile gibt es neben dem | |
Screenreader einen elektronischen Braille-Streifen, der die Inhalte | |
ertastbar macht. | |
Oft bedeuten technische Neuerungen neue Hürden. Der 70-jährige Rebele | |
erinnert sich gern an die Zeit von DOS, ein Betriebssystem, das per Tasten | |
bedient wurde. "Dann kam Windows, die Leute haben nur noch rumgeklickt, und | |
der Blinde stand im Nebel", sagt Rebele, der von Geburt an stark | |
sehbehindert ist. | |
Süleyman Arik lauscht Karahasan - er kommt seit Jahren. "Das Internet ist | |
für mich das Tor zur Welt", erklärt Arik seine Technikbegeisterung. Zwei | |
Stunden am Tag sitzt er am Computer, liest Nachrichten, kauft ein, klickt | |
sich durch Wikipedia. "In Foren tun sich Blinde eher schwer wegen der | |
vielen Werbung", sagt der 43-Jährige. Auch Facebook sei nicht so sein Fall. | |
Jürgen Schneider, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung, | |
kalkuliert, dass rund 6.000 Blinde und 20.000 Sehbehinderte in Berlin | |
leben. Er sieht viel Potenzial im technischen Fortschritt. "Das setzt | |
allerdings ein barrierefreies Internet voraus", sagt Schneider. | |
"Barrierefreiheit", ein Begriff, der in der realen Welt meist für | |
Rollstuhlrampen steht, bedeutet im Internet einfache Menüstrukturen und den | |
Verzicht auf viele Grafiken. Schneider sieht einen "großen Bedarf" an | |
besseren Onlineangeboten für Blinde. | |
Lehrer Karahasan sieht ebenfalls Bedarf: "Wir müssen die Bevölkerung und | |
gerade Webdesigner dafür sensibilisieren, dass es sehschwache Menschen | |
gibt, zu denen ja auch viele alte Menschen gehören." Oft gehe es nur um | |
eine einfachere Struktur der Webseiten. Die nütze auch Sehenden, findet | |
Karahasan. | |
16 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Caspar Schlenk | |
## TAGS | |
Blinde | |
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